Wenn das Schlimmste passiert ist - Fahrlässige Tötung im Straßenverkehr

Strafrecht und Justizvollzug
31.03.200810821 Mal gelesen

Zum Glück ist das Risiko eines Verkehrsunfalls mit Todesfolge in Deutschland so niedrig wie seit 50 Jahren nicht. Dennoch trifft dieses Thema immer noch zu viele Menschen. Wer als Autofahrer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht wird wegen fahrlässiger Tötung im Straßenverkehr mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. In den meisten Fällen wird die Justiz einen Verstoß gegen die in StVO und StVZO geregelten Sorgfaltspflichten eines Kraftfahrers vorwerfen. Die Staatsanwaltschaft wird einen solchen Verstoß konstatieren, auch wenn man als Fahrer meint, fehlerfrei gefahren zu sein und sich der tragische Unfall praktisch als unabwendbares Ereignis dargestellt habe oder durch ein Fehlverhalten des verstorbenen Unfallopfers passiert sei.  

Hierzu muss man zunächst wissen, dass der Vertrauensgrundsatz auf das verkehrsgerechte Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer in bestimmten Situationen nicht gilt. Und zwar

-         bei eigenem Fehlverhalten

-         bei erkennbar verkehrswidrigem und unvernünftigen Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer

-         bei kleinen Kindern bis zum frühen Schulalter und bei hilfsbedürftigen oder alten Mitmenschen

-         bei kleinen Kindern, die auf dem Bürgersteig oder am Fahrbahnrand spielen

-         bei Personen an der Straße, die bereits sind, diese zu überqueren 

In diesen Fällen erwartet die Rechtsprechung von einem Fahrer, dass er sich auch auf einfehlerhaftes oder überraschendes Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer einstellt und entsprechend reagieren kann um einen Unfall mit ihnen zu vermeiden. 

Im Übrigen darf ein Kraftfahrzeugführer auf das verkehrsgerechte Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer vertrauen. Anders wäre heute der Straßenverkehr auch gar nicht realisierbar. Zu seinen Sorgfaltspflichten gehört es aber immer, dass er sich auch auf ein überraschendes Ereignis einstellt, das für ihn nicht nur objektiv, d.h. nach gewöhnlicher Erfahrung, sondern auch subjektiv, d.h. nach seinen individuellen Eigenschaften und Fähigkeiten, noch voraussehbar sein muss.  

Für eine Bestrafung wegen fahrlässiger Tötung im Straßenverkehr von ganz entscheidender Bedeutung ist immer die Frage, ob es auch dann zum tödlichen Unfall gekommen wäre, wenn sich der Beschuldigte im Augenblick des Unfallgeschehens verkehrsgerecht verhalten hätte: Nur dann darf dem Unfallverursacher sein pflichtwidriges Verhalten als strafbar zugerechnet werden, wenn über den schuldhaft begangenen Pflichtenverstoß hinaus, nachgewiesen ist, dass bei verkehrsgerechtem Verhalten das tödliche Unglück vermieden worden wäre. Bezugspunkt für diese Frage darf nur die konkrete Situation sein, in der sich der Fahrer vor dem Unfall befunden hat. So ist ihm sein Fahrverhalten, dass zum tödlichen Unfall geführt hat, dann nicht vorwerfbar, wenn es im Augenblick der kritischen Verkehrslage verständlich und vertretbar war, so z.B. wenn er vor einem von rechts kommenden Radfahrer nach links ausweicht, wo sich dann der tödliche Zusammenstoß ereignet. 

Es muss ausgeschlossen sein, dass sich der Unfall bei Beachtung der Verkehrsregeln durch den Fahrer ebenfalls so ereignet hätte.  

Oder, anders ausgedrückt, der tödliche Unfall hätte bei verkehrsgerechtem Verhalten vermieden werden müssen.

     

So kann auch der Schutzzweck der Sorgfaltsnorm, die vom Beschuldigten verletzt wurde, für eine Entlastung vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung von entscheidender Bedeutung sein. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hatte sich mit einem Fall zu befassen, in dem jemand eine Straße mit über 80 km/h befahren hatte, obwohl die zulässige Höchstgeschwindigkeit durch Verkehrszeichen auf 50 km/h beschränkt war. Hätte sich in diesem Fall der Angeklagte ordnungsgemäß verhalten und die 50 km/h eingehalten, wäre es nicht zu einem Zusammenprall mit einem aus einer  Zufahrtsstraße einbiegenden Fahrzeug gekommen, dessen Insassen bei dem ungebremsten seitlichen Aufprall tödlich verunglückten. Gleichwohl waren dem Angeklagten die tödlichen Unfallfolgen objektiv nicht zuzurechnen. Die Geschwindigkeitsbegrenzung diente nämlich nur dazu, einer Rutschgefahr entgegenzuwirken, die durch den neu verlegten Fahrbahnbelag bestanden hat. Auf die Abwendung solcher Gefahren beschränkte sich das vorübergehend nach der Verlegung der neuen Fahrbahndecke aufgestellte Verkehrsschild. Gerade diese Gefahrenlage hatte sich beim Unfall aber nicht ausgewirkt. Zwar wäre der Unfall bei Einhaltung der 50 km/h-Grenze vermeidbar gewesen, die der Angeklagte sorgfaltswidrig missachtet hatte. Dennoch durfte ihm sein sorgfaltswidriges Verhalten nicht zugerechnet werden, denn die Geschwindigkeitsbegrenzung bezweckte hier nicht die Abwendung von Gefahren für den Einmündungsverkehr, wie sie sich in dem tödlichen Unfall verwirklicht hatten.Wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich der Unfall auch auf einem nicht mehr neuen Fahrbahnbelag, bei ansonsten unveränderten Umständen, in gleicher Weise ereignet hätte, entfällt die Strafbarkeit des Unfallverursachers. 

Es muss sich gerade die Gefahr verwirklicht haben, die durch die Pflichtwidrigkeit des Täters gesetzt worden ist und diese Gefahr muss in den Schutzbereich der verletzten Norm fallen. 

 

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Der Beitrag nimmt Bezug auf OLG Karlsruhe, Beschl. v. 25.1.2006 (3 Ss 160/05).

Der Verfasser, Christian Demuth, ist Strafverteidiger und überwiegend im Verkehrsstraf- und Bußgeldrecht tätig.