Widerruf eines Lebens- oder Rentenversicherungsvertrages trotz Kündigung

Widerruf eines Lebens- oder Rentenversicherungsvertrages trotz Kündigung
21.09.2016208 Mal gelesen
Fast jeder Deutsche schloss in den vergangen 10 – 15 Jahren eine Lebens- bzw. Rentenversicherung zur Altersvorsorge ab. Schließlich wird durch die Politik immer wieder deutlich betont, dass sich jeder um seine eigene Altersvorsorge zusätzlich kümmern sollte, da die gesetzliche Rente nicht ausreichend sei, um den gleichen Lebensstandard wie während des Arbeitslebens aufrecht zu erhalten. Die Lebens- und Rentenversicherungen sind daher nach wie vor die beliebteste Anlageform in Deutschland. Warum auch immer.

Dennoch haben sich zwischenzeitig viele Versicherungsnehmer bereits von ihren Lebens- bzw. Rentenversicherungsverträge im Wege einer vorzeitigen Kündigung gelöst und den entsprechenden Rückkaufswert erhalten. Gerade bei Verträgen, welche noch sehr jung waren, also die Laufzeit der Verträge nur wenige Jahre betrug, musste der kündigende Versicherungsnehmer herbe finanzielle Verluste hinnehmen.

Der zur Auszahlung gelangte Rückkaufswert lag in den allermeisten Fällen deutlich unter den gezahlten Beiträgen.

Nun hat der Bundesgerichtshof hierzu weitere bahnbrechende und verbraucherfreundliche Entscheidungen getroffen, die den gebeutelten Versicherungsnehmern zu einem weiteren Zahlungsanspruch gegenüber den Versicherungsgesellschaften verhelfen können.

Widerspruchsrecht: Entscheidung vom Bundesgerichtshof - Europäisches Gerichtshof

Das erste erfreuliche Urteil des Bundesgerichtshofs geht bereits auf das Jahr 2014 zurück. Grundlage für dieses Urteil ist die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 19.12.2013.

Der Europäische Gerichtshof hatte entschieden, dass das in § 5a Absatz 2 Satz 4 Versicherungsvertragsgesetz alte Fassung (VVG a.F.) geregelte Widerspruchsrecht europarechtswidrig ist. Mit einfachen Worten bedeutet dies, dass der Versicherungsnehmer auch noch nach Jahren seinen Versicherungsvertrag widerrufen kann, wenn er nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt wurde. Dies betrifft vor allem Vertragsabschlüsse zwischen Juli 1994 und Dezember 2007.

Die Argumentation, dass die Regelung zur Beschränkung bzw. Verkürzung des Widerspruchsrechts europarechtswidrig sei, hatten Rechtsanwalt Dr. Tintemann und sein Team aus kanzleiinternen und auch externen Experten und Rechtsgelehrten maßgeblich mit entwickelt und gestaltet sowie die ersten zwei Instanzen der Klage, die letztendlich bei EuGH Erfolg hatte, begleitet.

In seinem Urteil vom 07.05.2014 zum Aktenzeichen IV ZR 76/11 sprach der Bundesgerichtshof dem Versicherungsnehmer das Recht zu, dass er auch noch nach Jahren den Versicherungsvertrag widerrufen konnte. Warum?

Der vor dem Bundesgerichtshof klagende Versicherungsnehmer ist vor bzw. bei Abschluss des Versicherungsvertrages nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt worden. Nach der damals geltenden Rechtslage war jedoch zu dem Zeitpunkt als der Versicherungsnehmer den Widerspruch des Versicherungsvertrages erklärte, das Widerspruchsrecht bereits abgelaufen. § 5a Abs. 2 Satz 4 Versicherungsvertragsgesetz alte Fassung (VVG a.F.) schrieb vor, dass der Versicherungsvertrag nach Ablauf eines Jahres selbst dann zustande kommt, wenn der Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt wurde oder nicht alle Vertragsunterlagen erhalten hatte.

Nachdem der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 19.12.2013 zum Aktenzeichen C-209/12 klargestellt hat, dass diese zeitliche Beschränkung des Widerspruchsrechts europarechtswidrig ist, entschied der Bundesgerichtshof, dass § 5a Abs. 2 Satz 4 Versicherungsvertragsgesetz alte Fassung (VVG a.F.) im Bereich der Lebens- und Rentenversicherung und der Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung nicht anwendbar wäre. Damit bestand für den Versicherungsnehmer das Widerspruchsrecht fort, so dass er auch noch Jahre nach dem Vertragsschluss von seinem Widerspruchsrecht Gebrauch machen konnte.

In einer weiteren Entscheidung vom 29. Juli 2015 hat der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung aus dem Jahr 2014 fortgeführt und ausgebaut. Bedeutung kommt dieser Entscheidung des Bundesgerichtshofs in den Punkten zu, dass der Bundesgerichtshof selbst bei bereits gekündigten Lebensversicherungen bzw. Rentenversicherungen den Versicherungsnehmern ein Widerspruchsrecht zugesprochen hat und das Versicherungsunternehmen zur Rückabwicklung des Versicherungsvertrages verurteilt hat. Gleichzeitig machte der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 29. Juli 2015 zum Aktenzeichen IV ZR 384/14 deutlich, dass das Versicherungsunternehmen dem Versicherungsnehmer auch die bereits verrechneten Abschluss- und Verwaltungskosten zurückerstatten muss, da der Widerspruch des Versicherungsvertrages die Wirksamkeit des Versicherungsvertrages von Anfang beseitigt und somit das Versicherungsunternehmen auch keinen Anspruch auf die Abschluss- und Verwaltungskosten haben könne.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29. Juli 2015 zum Aktenzeichen IV ZR 384/14 ist aber noch aus einem anderen Grund sehr interessant.

Keine Verwirkung des Widerspruchsrecht: Bundesgerichtshof lässt Widerspruch nach Kündigung eines Versicherungsvertrages gelten

In seinem Urteil vom 29. Juli 2015 macht der Bundesgerichtshof deutlich, dass die Kündigung eines Versicherungsvertrages jedenfalls dann einem späteren Widerspruch nicht entgegensteht, wenn das Versicherungsunternehmen den Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt hat.

Das Versicherungsunternehmen hatte sich auf den Einwand der Verwirkung berufen, weil der Versicherungsnehmer seinen Versicherungsvertrag bereits gekündigt hatte.

Der Bundesgerichtshof entschied, dass der Versicherungsnehmer das Recht zum Widerspruch nicht verwirkt habe. Zur Begründung führte der Bundesgerichtshof aus, dass das Versicherungsunternehmen kein schutzwürdiges Interesse für sich in Anspruch nehmen könne, weil es die Situation selbst herbeigeführt habe, indem es den Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrte.

Bedeutung und Auswirkung für Versicherungsnehmer - Was ist Versicherungsnehmern zu raten?

Gerade Versicherungsnehmer, welche sich bereits nach kurzer Laufzeit von ihren Lebens- oder Rentenversicherungsverträgen getrennt haben, sei es, weil sie von der Entwicklung des Versicherungsvertrages enttäuscht waren oder sich den Versicherungsvertrag nicht mehr finanziell leisten konnten, sollten ihre Versicherungsverträge vor dem Hintergrund überprüfen lassen, ob sie ordnungsgemäß über ihr Widerspruchsrecht belehrt wurden und/oder nicht alle Vertragsunterlagen erhalten haben.

So haben die Versicherungsnehmer auch noch heute die Möglichkeit, über den ausgezahlten Rückkaufswert hinaus, Geld von den Versicherungsunternehmen zurück zu erhalten.

Fazit: Widerspruchsrecht besteht für Versicherungsnehmer auch nach Kündigung bei kurzer Vertragslaufzeit - Anspruch auf Rückkaufswert

Gerade Versicherungsverträge, welche nach einer kurzen Laufzeit aufgelöst wurden, hatten nur einen sehr geringen bzw. gar keinen Rückkaufswert.

Grund dafür war, dass allein die Abschluss- und Verwaltungskosten gleich zu Beginn des Versicherungsvertrages von den Versicherungsunternehmen in Abzug gebracht wurden. Das hatte zur Folge, dass die Sparbeiträge nur sehr gering waren und somit wenig bis keine Rendite erwirtschaftet werden konnte. Dies hatte erhebliche Auswirkungen auf die Bildung des Rückkaufswertes.

Durch die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ist nunmehr klar, dass die Versicherungsnehmer nach wie vor ein Widerspruchsrecht haben, wenn das Versicherungsunternehmen nicht ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt hat. Folge ist, dass die Versicherungsnehmer auch heute noch Geld von den Versicherungsunternehmen zurückfordern können.

Die erfahrenen Rechtsanwälte der Kanzlei AdvoAdvice Rechtsanwälte mbB helfen gerne weiter, wenn das Versicherungsunternehmen nicht zahlt, steht mit Rat und Tat zur Seite.