Private Unfallversicherung: Versicherungen müssen bei allergischen Reaktionen zahlen

Schaden, Versicherung und Haftpflicht
04.03.2012516 Mal gelesen
Eine versehentliche bzw. unbewusste Aufnahme von Allergenen in einem Lebensmittel durch eine bekannterweise auf verschiedene Stoffe allergische Person und die dadurch ausgelöste Reaktion des Körpers stellt einen Unfall im Sinn der privaten Unfallversicherung dar.

Einer aktuellen Grundsatzentscheidung des OLG München (Urteil vom 01.03.2012, Az. 14 U 2523/11) aus dem Bereich der privaten Unfallversicherung liegt ein tragischer Fall zu Grunde: Eine geistig behinderte 15-Jährige aß an Heiligabend 2009 wohl unbemerkt nusshaltige Schokolade und verstarb daraufhin an einer allergischen Reaktion. Die Mutter des Kindes, die eine private Unfallversicherung abgeschlossen hatte, bei der das Kind mitversichert war, machte daraufhin gegenüber der Versicherung einen Betrag von 27.000,-- € geltend, den Betrag, den die Versicherung für den Fall eines Unfalltodes den gesetzlichen Erben schuldet.

Die Versicherung und auch das erstinstanzlich zuständige Landgericht Memmingen verweigerten die Zahlung. Zum einen sei die Todesursache nicht geklärt, zum anderen falle die hochallergische Reaktion als Todesursache nicht unter den Unfallbegriff. Ein willensgesteuerter normaler Verzehr von Vollmilchschokolade sei kein von außen auf den Körper wirkendes Ereignis.

Das OLG München hob diese Entscheidung nun auf und bestätigte den Anspruch auf die Versicherungsleistung.

Nach § 178 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) ist bei der Unfallversicherung der Versicherer verpflichtet, bei einem Unfall der versicherten Person oder einem vertraglich dem Unfall gleichgestellten Ereignis die vereinbarten Leistungen zu erbringen.

Nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens stand für den Senat im vorliegenden Fall zunächst fest, dass der Tod des Kindes mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Folge einer allergischen Reaktion auf Nahrungsmittel war, wobei sehr vieles für eine Haselnussallergie sprach, letztlich aber nicht entscheidungserheblich war, welches Nahrungsmittel die fatalen Folgen auslöste. Mit großer Sicherheit hatte das Kind unbemerkt Schokoladetäfelchen von dem gedeckten Weihnachtstisch gegessen, die möglicherweise Nussbestandteile beinhalteten.

Im Weiteren stellt nach Auffassung des Oberlandesgerichts das versehentliche bzw. unbewusste Verzehren von Allergenen zusammen mit anderen Nahrungsstoffen im Privatversicherungsrecht (ähnlich wie auch im Sozialversicherungsrecht laut dazu bereits ergangenen Entscheidungen) auch einen versicherten Unfall dar. 

Ein solcher versicherter Unfall liegt dann vor, wenn die versicherte Person durch ein

- plötzlich von außen auf ihren Körper einwirkendes Ereignis

-unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet (§ 178 Abs. 2 VVG).

Das Erfordernis des von außen auf den Körper einwirkenden Ereignisses dient der Abgrenzung zu dem nur inneren Körpervorgang. Das Merkmal der Unfreiwilligkeit bezieht sich, so das Oberlandesgericht, nicht auf die Einwirkung von außen, sondern auf die dadurch bewirkte Gesundheitsschädigung.

Diese Voraussetzungen waren vorliegend erfüllt. Das Aufeinandertreffen (nusshaltiger) Schokolade auf die Mundschleimhaut des Kindes stellte eine plötzliche Einwirkung von außen dar. Da die gesundheitsschädigende Einwirkung der Allergene auf den Körper des Kindes auch unfreiwillig und plötzlich geschah, liegt nach dem Senat ein Unfallgeschehen vor. Die Leistungspflicht der privaten Unfallversicherung vermindert sich dabei auch nicht etwa wegen der Mitwirkung bereits vorhandener Krankheiten oder Gebrechen bei den Unfallfolgen. Unter Krankheit im Sinne dieser Klausel versteht man einen regelwidrigen Körperzustand, der eine ärztliche Behandlung erfordert. Solange der allergene Stoff aber vermieden wird, kann der allergische Versicherte problemlos und uneingeschränkt ohne ärztliche Behandlung leben. Allein die allergische Reaktionsbereitschaft stellt daher nach Ansicht des Senats keine Krankheit dar. 

Beachte:Der Senat hat mangels bislang vorliegender höchstrichterlicher Klärung der entscheidungserheblichen Fragen zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Revision gegen sein Urteil zum Bundesgerichtshof zugelassen.

 

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