Kino.to, die GVU und das Amtsgericht Leipzig

Internet, IT und Telekommunikation
06.01.2012514 Mal gelesen
Seit am 22.12.2011 die Pressemeldung der GVU über den vom Leipziger Amtsgericht verurteilten Mitentwickler von Kino.to ins Netz gestellt wurde, gibt es auf zahlreichen Webseiten viele Berichte über Halbwahrheiten und angeblich stichfeste Tatsachen.

Wahrscheinlich kennt fast jeder deutsche Internetnutzer das Portal Kino.to, auf dem man sich kostenlos Filme und Serien im Stream anschauen konnte, eine so genannte Video-On-Demand Seite. Kino.to hatte kein Einverständnis der Rechteinhaber für den Abruf der Inhalte erworben. Auch aktuelle Kinofilme erschienen bei Kino.to. Um Filme ansehen zu können, konnte je nach Videoformat und Streamhoster ein Adobe-Flash-Plug-in, DivX-Web-Player oder bestimmter Browser erforderlich sein. Ob ein Stream funktionierte, hing von der Auswahl und der Serverbelastung des jeweiligen Streamhosters ab.

Kino.to hostete jedoch keine eigenen Streams, sondern verlinkte größtenteils nur auf die Dateien die bei verschiedenen Anbietern gespeichert waren. Mit den Standardeinstellungen des jeweiligen Players konnten die gestreamten Filme zumeist nicht auf dem eigenen Rechner gespeichert und damit auch nicht weiterverbreitet werden. Jedoch war zumindest bei allen DivX, FLV und RTMP-Hostern die Möglichkeit gegeben, Webinhalte zu extrahieren und damit vollständige Filmdateien im AVI- bzw. FLV-Format herunterzuladen.

Der Server der Website war niederländisch, der Firmensitz unbekannt. Die Domainendung .to der Website steht für den Südsee-Archipel Tonga. Die Zulassungsbehörde für Internet-Adressen in Tonga macht keinerlei Angaben zu den Daten der Domain-Inhaber. Das Geschäftsmodell der Seite selbst basierte auf Werbung und soll bis zum Zeitpunkt der Schließung einen Gewinn im Millionen-Bereich gebracht haben

Wenn man sich Filme angesehen hat, hat man sie in der Regel zwar nicht heruntergeladen, sondern in der "Live"-Übertragung angesehen. Jedoch wurden im Arbeitsspeicher des Rechners Fragmente des Films vorübergehend gespeichert, um den Film fehlerlos und ohne "Ruckeln" anspielen zu können. Soviel zur Funktionsweise von Kino.to.

Im Juni 2011 wurde die Website vom Netz genommen und die Betreiber verhaftet. Am 21.12.11 wurde ein weiterer Mitbetreiber, ein 47-jähriger Mann aus Köln, von dem Leipziger Amtsgericht verurteilt. Die gesamte Berichterstattung über das Urteil verlief über eine Pressemeldung der GVU (Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechten e.V.), es liegen keine offiziellen Dokumente dazu vor. In der Pressemeldung heißt es, dass Amtsrichter Mathias Winderlich das Mitglied der Kerngruppe von Kino.to zu 3 Jahren und 5 Monaten Haft verurteilt hat. Er begründet sein Urteil damit, dass "der Angeklagte das illegale Geschäftsmodell Kino.to von Anfang an mitentwickelt und perfektioniert habe." Der Verurteilte habe sich mit dem Anmieten und technischen Betreuen der Internetrechner im Ausland beschäftigt. Außerdem betrieb er den ältesten Filehoster mit 10.754 Filmtiteln. Der Angeklagte erwirtschaftete mit Werbung und Abofallen seit 2008 mehr als 630.000 Euro Einnahmen, die Hälfte davon als Gewinn. Des Weiteren wird in der Pressemitteilung von den Beziehungen zu dem Hauptschuldigen Kino.to Betreiber berichtet.

Für Aufruhr sorgte allerdings weniger die Verurteilung des Angeklagten als der Kommentar des Richters, der - und das ist dringlichst zu beachten (!) - lediglich von der GVU wiedergegeben wird. Demnach heißt es:

Der Richter stellte zudem in seiner Urteilsbegründung unmissverständlich klar, dass beim Nutzen von Streams eine Verbreitung und Vervielfältigung stattfindet. Mit dem Begriff "vervielfältigen" habe der Gesetzgeber das "Herunterladen" gemeint, führte Richter Winderlich aus. Dazu gehöre auch das zeitweilige Herunterladen. Nichts anderes finde beim Streaming statt: Es würden Datenpakete sukzessive heruntergeladen. Dies sei eine sukzessive Vervielfältigung. Jeder Nutzer von illegalen Streaming-Portalen müsse sich bewusst sein, dass dahinter eine Vervielfältigungshandlung stehen könne.

Illegale Streaming-Portale, wie in diesem Fall kino.to, erzeugten eine Situation, in der massenhaft Straftaten begangen werden, so Richter Winderlich. Kino.to sei als ein genau abgestimmtes Gesamtkonzept zu sehen, welches einen bestehenden Anreiz bei den Nutzern kanalisiert habe.

Fazit:

Diese Strafbarkeit der Nutzer im Sinne von § 106 UrhG, die im losen Zusammenhang angesprochen wird, erscheint äußerst fraglich. Zum einen war davon im Rahmen der Verurteilung gar nicht die Rede, zum anderen muss man diese umstrittene Ansicht gründlich durchdenken. Die Problematik liegt hierbei bei der Frage, ob der kurze Zwischenspeicher von Fragmenten, der zum Abspielen notwendig ist, das sogenannte Caching, bereits eine Vervielfältigung im urheberrechtlichen Sinn darstellt. Für einige Meinungen reicht der technische Zwischenspeicher für eine Vervielfältigung im Sinne des §16 UrhG aus. Es gibt aber auch Ausnahmeregelungen zu diesem Fall.

Es könnte mit dem § 53 Absatz 1 Satz 1 UrhG die Sonderregelung der Privatkopie gelten. Diese besagt: Zulässig sind einzelne Vervielfältigungen eines Werkes durch eine natürliche Person zum privaten Gebrauch auf beliebigen Trägern, sofern sie weder unmittelbar noch mittelbar Erwerbszwecken dienen, soweit nicht zur Vervielfältigung eine offensichtlich rechtswidrig hergestellte oder öffentlich zugänglich gemachte Vorlage verwendet wird.

§ 53 Absatz 1 Satz 1 UrhG greift jedoch nur, wenn die Kopie nicht von einer "offensichtlich rechtswidrigen" Quelle erfolgt. Hier stellt sich die Frage ob für die Nutzer klar ersichtlich ist, dass sie den Stream von einer "offensichtlich rechtswidrigen" Quelle entnehmen. Die herrschende Meinung geht davon aus, das sogar unbedarfte Internetnutzer oder Kinder davon ausgehen können, dass eine einschlägige Website mit vielen Werbe Pop-Ups, die sogar aktuelle Kinofilme kostenlos zeigt, nicht rechtmäßig sein kann. So kann diese Ausnahmeregelung nicht greifen.

Eine Weitere Ausnahme stellt § 44a UrhG dar. Diese erlaubt vorübergehende Vervielfältigung unter folgenden Voraussetzungen:

Zulässig sind vorübergehende Vervielfältigungshandlungen, die flüchtig oder begleitend sind und einen integralen und wesentlichen Teil eines technischen Verfahrens darstellen und deren alleiniger Zweck es ist,

1. eine Übertragung in einem Netz zwischen Dritten durch einen Vermittler oder

2. eine rechtmäßige Nutzung

eines Werkes oder sonstigen Schutzgegenstands zu ermöglichen, und die keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung haben.

Es muss sich also um eine flüchtige Kopie handeln, die Teil eines technischen Verfahrens ist, keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung hat und zum Zweck der rechtmäßigen Nutzung dient. Und hier beißt sich die Katze in den Schwanz. Wie will man denn erfahren, ob eine vorübergehende Vervielfältigung rechtens ist, wenn deren Bedingung lautet, zum Zweck der rechtmäßigen Nutzung zu dienen? Es handelt sich dabei um einen Zirkelschluss, bei dem die Aussage der Norm in der Voraussetzung enthalten ist. An dieser Stelle kann sowohl argumentiert werden, dass es für den Nutzer illegal ist, einen Stream anzusehen, es kann genauso gut auch legal sein. Denn hier ist das deutsche Recht nicht eindeutig! Die von der GVU übermittelte "klare Ansage" des Amtsrichters aus Leipzig bietet in Deutschland so oder so keinen Maßstab, da sein Urteil nur in diesem einen spezifischen Fall gilt und kein gültiges Recht schafft. Entgegen den Behauptungen der GVU haben Nutzer von Kino.to aller Voraussicht nach nichts zu befürchten.

Selbst wenn eine Staatsanwaltschaft tausende Kino.to Nutzer aufspüren wollen würde, wäre das schwer bis unmöglich, da Kino.to nach eigenen Angaben keine Log-Daten der IP Adressen gespeichert hat. Und selbst wenn sie doch gespeichert wären, würde das zur Verfolgung nicht ausreichen, der bloße Besuch der Seite Kino.to ist nicht strafbar.

Die Informationen der GVU Pressemitteilung sind also mit Vorsicht zu genießen. Die Frage  nach der Legalität von Streams ist nach wie vor ungeklärt.