Landgericht Berlin, Beschluss vom 09.09.2016, Az. 15 S 50/15
Der beklagte Anschlussinhaber hatte sich in erster Instanz damit verteidigt, die Rechtsverletzung nicht begangen und kein Interesse an dem streitgegenständlichen Werk zu haben. Zugriff auf seinen Anschluss sollen noch seine Ehefrau, seine minderjährigen Kinder sowie die Bewohner einer benachbarten Wohngemeinschaft gehabt haben. Dem Amtsgericht reichte dieser pauschale Vortrag des Beklagten, um ihn aus der Haftung zu entlassen. Der geschädigte Rechteinhaber hatte gegen die Klageabweisung Berufung zum Landgericht Berlin eingelegt.
Das Landgericht hat nunmehr angekündigt, das abweisende Urteil aufzuheben und den Anschlussinhaber vollumfänglich zur Zahlung von Rechtsanwaltskosten und Schadenersatz zu verurteilen.
Die zuständige Berufungskammer des Landgerichts Berlin bestätigt unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (insbesondere Tauschbörse III, Az. I ZR 75/14 vom 11.06.2015) die Auffassung der Klägerseite:
"Es genügt aber nicht bloß anzugeben, wer im Haushalt lebt und/oder ebenfalls den Internetzugang nutzen konnte. Erforderlichenfalls sind eigene Ermittlungen des Anschlussinhabers vorzunehmen, welcher Rechner zur Tatzeit online war und/oder ein Tauschbörsenprogramm installiert hatte (vgl. BGH GRUR 2016, 191 - Tauschbörse III - Rn. 41 nach juris; KG, Beschluss vom 25.April 2013 - 24 W92/12 und 99/12 -)"
An die Nachforschungspflichten sind relativ hohe Anforderungen zu stellen. So muss der Anschlussinhaber die Aussagen der Mitnutzer auch überprüfen und im Prozess bewerten.
"Die Befragung der Zugangsberechtigten ohne Verifikation deren Angaben ist nicht ausreichend. Der Anschlussinhaber muss vielmehr Tatsachen vortragen, die eine bestimmte andere Person ernstlich als Täter in Betracht kommen lassen. (vgl. BGH - Tauschbörse III - a.a.O., Rn. 42 nach juris). Wer sich nicht erkundigt, bestreitet unzulässig ins Blaue hinein (vgl. Kammer, Beschluss vom 29. Juli 2014 - 15 S 15/14).
[.] Diese Anforderungen werden die Einlassungen des Beklagten indes nicht gerecht, indem er vorträgt, er habe den Internetanschluss nicht allein, sondern gemeinsam mit seiner Ehefrau, seinem volljährigen Sohn [.] sowie zwei weiteren - unbenannten und ohne Altersangaben zu machen - minderjährigen Kindern ohne individuelle Nutzungsbeschränkung genutzt. Nach Zugang der Abmahnung habe er alle internetfähigen Geräte [.] stichprobenartig kontrolliert, aber keine Filesharing-Software gefunden. Ehefrau und Sohn [.] hätten auf sein Befragen hin glaubwürdig versichert, dass sie die Rechtsverletzung nicht begangen hätten. [.] Warum er den Angaben von Ehefrau und volljährigem Sohn habe Glauben schenken dürfen, insbesondere ob und wie er deren Einlassung verifiziert habe, sagter nicht.
Vertrauen ist zwar gut, aber Kontrolle wäre besser - und notwendig - gewesen. Es hätte etwa nahe gelegen, das Router-Protokoll auf auffälligen Upload-Datenverkehr (Traffic) im angeblichen Tatzeitraum - immerhin wurde die Internetverbindung gut 90 Minuten aufrechterhalten - hin zu prüfen oder die Browser-Verläufe im Einzelnen nachzuvollziehen.[.] Worin die stichprobenartige Kontrolle bestanden haben soll - notwendig wäre eine Durchsicht aller Programmordner jedes internetfähigen Endgerätes gewesen -, sagt er im Einzelnen nicht. [.] Es stellt sich die Frage, wie er Filesharing-Programme habe erkennen wollen, wenn er selbst diese nicht verwende, diese also offenbar nicht einmal dem Namen nach kennt."
Wenn der Anschlussinhaber die konkreten Umstände nicht aufklären will, muss er die rechtlichen Konsequenzen tragen.
"§ 383 ZPO steht aber einer weitergehenden prozessualen Würdigung eines Stillschweigens grundsätzlich nicht entgegen; als Prozesspartei unterliegt der Beklagte vielmehr der prozessualen Wahrheitspflicht und den aus einem Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrecht von potentiellen Zeugen folgenden allgemeinen Beweis- und Prozessrisiken, welche bei einer Verweigerung der Mitwirkung dennoch prozessual etwa über eine Vermutungswirkung gegen ihn als Anschlussinhaber wirken können. Es ist also die Entscheidung der beklagten Partei, ob sie zumutbare Nachforschungen in ihrem Haushalt anstellt und das Ergebnis in den Prozess einführt oder sie die prozessualen Konsequenzen trägt, indem sie untätig bleibt bzw. zum Schutz der Familie schweigt (Kammer, Hinweisbeschluss vom 28. Juli 2015 - 15 S 5/15 -, bei juris). Sagt er indes nichts oder nichts Hinreichendes, was der Klägerin einen spiegelbildlichen Beweisantritt ermöglichte, bleibt es bei der Vermutungswirkung zulasten des Anschlussinhabers als Täter."
Ebenso positioniert sich das Landgericht klar zur Entstehung von Schadenersatzansprüchen aufgrund der Tauschbörsennutzung und zur pauschal bestrittenen Aktivlegitimation.
"[.] Bei der Festsetzung einer fiktiven Lizenzgebühr stellt sich auch nicht die Frage einer Überkompensation und Vorteilsausgleichung, soweit vielfach derselbe Schaden geltend gemacht werde, ohne die bereits erlangte Ersatzleistung anderer Abgemahnter zu berücksichtigen, die sich außergerichtlich auf Vergleiche eingelassen hätten. Denn die relevante Verletzungshandlung besteht in der Eröffnung der Zugriffsmöglichkeit für Dritte und nicht in dem Absenden und Empfangen eines Dateifragments im Zweipersonenverhältnis. Daraus ergibt sich, dass eine eigenständige Verwertungshandlung im Sinne von §§ 94 Abs.1, 19a UrhG vorliegt, wenn die Zugriffsmöglichkeit für Dritte eröffnet wird (vgl. BGH, Urteil vom 11.Juni 2015 - I ZR 19/14, Rn.64 - Tauschbörse I - für den Tonträgerhersteller)."
Die Aktivlegitimation der Klägerin - zumindest als Lizenznehmerin des Filmhersteller (= Inhaber eines Leistungsschutzrechts nach § 94 UrhG) - ist gemäß § 10 UrhG aufgrund des ©-Vermerks auf dem DVD-Cover zu vermuten. In dem blauunterlegten Textfeld neben dem Barcode ist ausdrücklich niedergelegt, dass die Klägerin "Inhaberin der ausschließlichen Nutzungsrechte" für die Kauf-DVD ist. Ein einfaches Bestreiten genügt daher nicht."
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