I. Rechtliche Ausgangslage
Trennt sich ein Ehepaar bzw. wird es geschieden, stellt sich bei Vorhandensein von minderjährigen Kindern in der Regel die Frage, ob und wieviel Unterhalt der Elternteil, bei dem die Kinder weiterhin aufwachsen sollen, vom jeweils anderen Elternteil einfordern kann, weil er selbst wegen der Kinderbetreuung an einer eigenen Erwerbstätigkeit gehindert ist.
Im Rahmen des Trennungsunterhalts war und ist die Frage leicht zu beantworten: hier bestand und besteht schon immer wegen der gesetzlich verankerten wirtschaftlichen Einheit der Eheleute bis zur Scheidung die Verpflichtung des wirtschaftlich stärkeren Elternteils, den anderen Elternteil wegen Betreuung der Kinder so zu stellen, wie es auch in Zeiten des gemeinsamen Zusammenlebens war.
2. Nachehelicher Unterhalt
Für den nachehelichen Unterhalt, also den Zeitrahmen nach Rechtskraft der Scheidung, war und ist jedoch seit jeher umstritten, ab wann und in welchem Umfang der die Kinder betreuende Elternteil eine eigene Erwerbstätigkeit aufnehmen muss.
A. Alte Gesetzeslage
Bis zur Gesetzesreform im Jahr 2008 galt im Ergebnis das sogenannte "Altersphasenmodell": Danach bestand eine Erwerbsobliegenheit des kinderbetreuenden Elternteils in der Regel erst dann, wenn das Kind ein Alter von 8 Jahren erreicht hatte. Für die Zeit danach wurde im Rahmen einer Einzelfallprüfung eine mit der Zeit steigende Erwerbsobliegenheit angenommen, so dass grundsätzlich spätestens ab dem 11. Lebensjahr des Kindes zumindest eine Pflicht zur Teilzeitbeschäftigung und ab dem 15. Lebensjahr des Kindes in der Regel eine Pflicht zur Vollzeitbeschäftigung angenommen wurde.
B. Neue Gesetzeslage
Mit der gesetzlichen Unterhaltsreform 2008 wurde dies nun verändert: Hier wurde gesetzlich bestimmt, dass zunächst der betreuende Elternteil in jedem Fall einen auf 3 Jahre befristeten garantierten Basisunterhalt erhält bis zum 3ten Lebensjahr eines Kindes. Ab diesem Zeitpunkt steht nach neuerer Gesetzeslage dem betreuenden Elternteil nur noch ein Anspruch auf Betreuungsunterhalt dann zu, wenn dies aus "Billigkeitsgründen" notwendig erscheint. Bei dieser Billigkeitsentscheidung sind insbesondere etwaige Verlängerungsgründe zu berücksichtigen, auf die insbesondere der betreuende Elternteil keinen Einfluss hat: Hier sind insbesondere zu nennen die Unmöglichkeit der Ganztagsbetreuung oder Entwicklungsdefizite des Kindes.
Die neue Gesetzeslage seit dem Jahr 2008 hat daher vordergründig zunächst wenig geändert, bei genauerem Hinsehen jedoch im Ergebnis eine Umkehrung der Gesetzeslage bewirkt: war vorher das noch geringe Alter des Kindes zwangsläufig gleichbedeutend mit einer Unterhaltsverpflichtung und konnte der betreuende Elternteil sich der eigenen Erwerbsobliegenheit mit dem bloßen pauschalen Hinweis auf das noch nicht fortgeschrittene Alters des Kindes erwehren und entledigen, ist es nun umgekehrt: ab dem 3ten Lebensjahr des Kindes muss nun der betreuende Elternteil nachweisen und darlegen, dass und warum er zur Aufnahme einer eventuell sogar vollschichtigen Erwerbstätigkeit nicht in der Lage sein soll.
II. Das Problem
Nun war und ist Papier relativ geduldig, auch solches, auf dem Gesetzestexte formuliert sind: die Richter an den Familiengerichten, die jahrzehntelang die alte Gesetzeslage angewandt hatten, mussten und müssen nun quasi auf Knopfdruck gedanklich die alte Regel zur Ausnahme erklären und die alte Ausnahme zur Regel.
Insbesondere war es aber wieder mal der Gesetzgeber, der mit relativ pauschalen und unbestimmten Rechtsbegriffen alle Verfahrensbeteiligten eines Rechtsstreites mit der Frage alleine ließen, wie denn nun die neue Gesetzesvorgabe konkret auf den Einzelfall angewandt werden soll.
Dementsprechend hat es seit der Gesetzesreform vielerlei Verfahren gegeben, die nicht zuletzt wegen der Unsicherheit hinsichtlich der Anwendung der neuen Gesetze in die Berufungsinstanz vor die Oberlandesgerichte oder aber sogar in die Revision vor dem BGH gelangten.
III. So auch der konkrete Fall:
Hier stritten die geschiedenen Eheleute über nachehelichen Unterhalt. Ihr gemeinsames Kind war mittlerweile 3 Jahre alt geworden: Die Kindesmutter arbeitete lediglich halbtags, da sie sich und das Kind nach Ansicht der Mutter erst behutsam annähern müssten und das Kind einen gesteigerten Pflegebedarf habe, weil das Kind längere Zeit zuvor in einer Pflegefamilie gewesen war. Der Kindesvater begehrte daraufin Abänderung des bestehenden Unterhaltstitels, da er die Ansicht vertrat, die Kindemutter müsse schlichtweg ab dem dritten Lebensjahr vollzeitig arbeiten gehen.
Das Familiengericht und das Oberlandesgericht (OLG Düsseldorf) hatten der Mutter noch Recht gegeben: Der Kindesmutter und dem minderjährigen Kind müsse die Möglichkeit gegeben werden, einen fließenden Übergang zueinander zu finden. Wegen dieser außerordentlichen Situation müsse der Kindesmutter eine Übergangszeit über die 3 Jahre hinaus eingeräumt werden, um diese schwierige Situation meistern zu können.
IV. Die Entscheidung des BGH:
Der BGH entschied jedoch zugunsten des Kindesvaters, hob das Urteil des OLG auf und verwies den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung zurück:
Der BGH stellte ganz klar fest, dass von dem Grundsatz des neuen Unterhaltsrechts, d.h. der Pflicht zur Selbstversorgung des alleinerziehendes Elternteils ab dem dritten Lebensjahr des Kindes, nur dann eine Ausnahme gemacht werden könne, wenn durchgreifende individuellen Einzelumstände angeführt würden, warum das Kind am Nachmittag von der Mutter persönlich betreut werden müsse. Es sei im vorliegenden Fall auch nicht begründet worden, warum eine Vollzeiterwerbstätigkeit zu einer "überobligatorischen Belastung" der Mutter führen könnte. Die gesetzliche Neuregelung verlange zwar nicht zwingend einen abrupten Wechsel von der elterlichen Betreuung zu einer Vollerwerbstätigkeit, auch ein gestufter Übergang sei denkbar. Allerdings müsse der unterhaltsberechtigte Elternteil entsprechende konkrete Gründe vortragen, die einer Vollerwerbstätigkeit mit Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes entgegenstehen.
Die Bundesrichter hoben die Urteile daher auf und verwiesen den Fall an das OLG Düsseldorf zurück. Die Kindesmutter trägt nun die Beweislast, warum ihr kein Vollzeitjob zugemutet werden kann. Gelingt ihr das nicht, muss sie mit Schulkind ebenso viel arbeiten wie ihr Ex-Mann ohne Betreuungspflicht.
V. Fazit
Der BGH hat in seiner neuerlichen Entscheidung zum sogenannten Betreuungsunterhalt zum wiederholten Male innerhalb kürzester Zeit unmissverständlich klargestellt, dass jegliches Abstellen auf die alte Gesetzeslage im Sinne des seinerzeit angewandten "Altersphasenmodell" gegen die nunmehr geltende Gesetzeslage verstößt: Es ist nach Ansicht des BGH eindeutiger Wille des Gesetzgebers, dass ab dem 3ten Lebensjahr ein Betreuungsunterhalt nur noch dann in Betracht kommt, wenn individuelle Ausnahmegründe vorgetragen und nachgewiesen werden, angesichts derer eine Betreuung seitens Dritter ausscheidet oder aber etwaig keinerlei objektive Möglichkeiten zur Fremdbetreuung gegeben sind.
VI. Bewertung
"BGH-Knallhart" ist man versucht, auszurufen. Bereits vor ein paar Monaten hatten die Bundesrichter das OLG Hamm in einem ähnlichen Fall (BGH XII ZR 63/09) gerüffelt und festgstellt, dass ohne dezidierte Feststellung und Nachweis der individuellen Notwendigkeit eines größeren Betreuungsbedarfes der Grundsatz der Vollzeitarbeit bei Alleinerziehenden angenommen werden müsse. Diesmal traf es nun das OLG Düsseldorf.
Das neue Urteil des BGH zeigt zweierlei ganz deutlich:
1. Familiengerichte und auch Oberlandesgerichte tun sich noch immer damit schwer, die neue Gesetzeslage fehlerfrei anzuwenden: viele Richter können sich offensichtlich noch immer nicht gänzlich von der alten Gesetzeslage und dem dortigen Altersphasenmodell lösen.
2. Der BGH zeigt sich in einer überraschenden Rigorosität und wendet das neue Recht sehr stringent und konsequent an. Wenn man dem 12ten Senat des BGH eines nicht vorwerfen kann, dann ist es mangelnde Vorgabe einer klaren Linie. Familiengerichte als auch Oberlandesgerichte sind nachhaltig aufgefordert, umzudenken und die Maßgaben der neuen Gesetzeslage viel konsequenter als bisher zu befolgen.
Die gesetzliche Grundentscheidung des Gesetzgebers mag man aus rechtlichen, gesellschaftspolitischen oder auch rein menschlichen kritisieren oder ablehnen. Was jedoch nicht sein kann, ist das Hereinlassen der alten Gesetzeslage quasi durch die Hintertür durch verschleierte Anwendung des alten "Altersphasenmodells": der Gesetzgeber hat eindeutig das Unterhaltsrecht dahingehend reformiert, dass Betreuungsunterhalt nur noch dann in Betracht kommt, wenn aus subjektiven kindbezogenen Gründen eine Fremdbetreuung ausscheidet oder aber wenn dies etwaig aus rein objektiven Gründen (mangelnde Unterbringungsmöglichkeiten) gar nicht möglich ist.
Auch die neueste BGH-Entscheidung ist insoweit ein nochmaliger deutlicher Fingerzeig für die Familiengerichte 1ter Instanz und die Berufungssenate bei den Oberlandesgerichten: Hier wurde und wird nach wie vor allzu schnell und ohne ausreichende Aufklärung der Sachlage im einzelnen der gesetzlich verankerte Regeltatbestand der Erwerbsobliegenheit verwässert und bis in einen Ausnahmetatbestand uminterpretiert.
Rechtsanwalt M. Henke - Dortmund.