Beruht einer Anzeige wegen Geschwindigkeitsüberschreitung auf einer Messung durch Nachfahren sind besonders hohe Anforderungen an die Beweisbarkeit des Vorwurfs zu stellen. Denn die Verlässlichkeit dieser Art der Geschwindigkeitsmessung hängt entscheidend davon ab, mit welcher Zuverlässigkeit das Abstandsverhalten mit bloßem Auge beobachtet wird. Daher darf das Gericht den Verstoß nicht nach den vereinfachten Beweis- Grundsätzen eines sogenannten standardisierten Messverfahrens beurteilten. Das Gericht muss genau feststellen, ob sämtliche Grundlagen der Messung eingehalten wurden. Nach den von der obergerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Anforderungen muss in jedem Fall feststehen:
- wie lang die Messstrecke war
- wie groß der gleichbleibende Abstand zum vorausfahrenden Betroffenen war
- ob der Tachometer des Polizeifahrzeugs binnen Jahresfrist geeicht oder justiert war
- mit welchen Geschwindigkeiten gefahren wurde
Inhaltlich ausgefüllt werden diese Kriterien durch die Verkehrsüberwachungsrichtlinien der Bundesländer. Dort steht z.B. in der Richtlinie für die Geschwindigkeitsüberwachung des Landes NRW, dass:
- die Vergleichsstrecke bei abgelesenen Geschwindigkeiten bis 90 km/h mindestens 400 m,
bei Geschwindigkeiten von mehr als 90 km/h mindestens 500 m lang sein muss;
- der Abstand zwischen zum überprüften Fahrzeug und dem nachfolgenden Polizeifahrzeug zu
Beginn der Messung etwa 50 m bei Tempo von 60 bis 90 km/h und
etwa 100 m bei Geschwindigkeiten von 90 bis 120 km/h betragen muss.
Bei Polizeifahrzeugen mit justiertem Tachometer muss auf die abgelesene Geschwindigkeit ein Toleranzabzug von 15 % vorgenommen werden.
Hatte das Polizeifahrzeug ausnahmsweise keinen justierten Tachometer ist von der abgelesenen Geschwindigkeit ein Sicherheitsabschlag von 20 % abzuziehen. Demgegenüber hat das Oberlandesgericht Köln die Auffassung der Rechtsprechung bestätigt, die bei ungeeichtem Tachometer, grundsätzlich ein Sicherheitsabschlag von 7 % des Skalenwertes als Ausgleich für mögliche Eigenfehler des Tachometers und einen weiterer Abschlag von 12 % der abgelesenen Geschwindigkeit für andere mögliche Ungenauigkeiten für erforderlich hält (OLG Köln, Beschl. v. 19.08.2009, Az: 22 Ss OWI 67/08-B - 52 B -).
Verkehrsüberwachungsrichtlinien sind nur innerdienstliche Weisungen ohne Gesetzescharakter. Deshalb handelt es ich bei den Vorgaben der VÜ-Richtlinien um Richtwerte, deren Unterschreitung aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall möglich sein kann und gegebenenfalls durch entsprechende Abzüge auszugleichen ist. So kann z.B. eine wesentlich längere Messstrecke als grundsätzlich erforderlich die Fehlerquelle durch zu großen Abstand eventuell ausgleichen.
Es müssen dann aber auch weitere Anknüpfungstatsachen dargelegt werden, die eine zuverlässige Messung überprüfbar machen. Das sind:
- Angaben dazu, wann, wo und wie lange welcher Verfolgungsabstand eingehalten wurde
- Angaben zum Straßenverlauf im Bereich der Messstrecke
- uneingeschränkte Sicht der Polizeibeamten auf das vorausfahrende Fahrzeug
- Leistungskriterien des Polizeifahrzeugs
- Erfahrung des nachfahrenden Beamten mit solchen Geschwindigkeitsmessungen
- Angaben zu Beleuchtungs- und Sichtverhältnissen im Messzeitpunkt
- Angaben zu den Witterungsverhältnissen im Messzeitpunkt
Enthält das Urteil eines Amtsgerichtes diese Feststellungen nicht, kann es unter Umständen auf eine Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom Oberlandesgericht aufgehoben werden. Nach Zurückverweisung und neuer Beweisaufnahme kann es dann zu einem Freispruch kommen.
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Der Verfasser, Christian Demuth, Düsseldorf, ist als Rechtsanwalt regional und überregional nahezu ausschließlich auf den Gebieten des Verkehrsstrafrechts, einschließlich Ordnungswidrigkeiten- und Fahrerlaubnisrecht tätig. Weitere Infos: www.cd-verkehrsrecht.de