Fahrradfahrer ohne Helm

Fahrradfahrer ohne Helm
11.07.2013396 Mal gelesen
Fahrradfahrer sind in der Regel nicht verpflichtet, im Straßenverkehr einen Helm zu tragen. Gleichwohl können Gerichte im Schadensfall ein Mitverschulden annehmen, wenn der Fahrradfahrer ohne Helm verunglückt. Wie passt das zusammen?

Wer schuldlos in einen Unfall verwickelt wird, bekommt den ihm dadurch entstandenen Schaden ersetzt. Oder vielleicht doch nicht immer? Das OLG Schleswig war in seinem Urteil vom 5. Juni 2013 - Az. 7 U 11/12 - anderer Meinung. Das OLG Schleswig hat die Klage eines Fahrradfahrers teilweise abgewiesen, obwohl dieser vollständig unverschuldet in einen Unfall verwickelt gewesen war. Die Richter waren der Auffassung, den Fahrradfahrer treffe ein erhebliches ]Mitverschulden, weil er keinen Helm aufgehabt habe. Darüber streiten sich jetzt die Gemüter.

In der LTO diskutiert Prof. Dr. Dieter Müller darüber unter dem arg in die Irre führenden Titel "Helmpflicht durch die Hintertür" (http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/olg-schleswig-holstein-urteil-7-u-11-12-fahrrad-helmpflicht-mitschuld/).

Ganz so einfach, wie es sich Prof. Dr. Müller in der LTO macht, ist es allerdings nicht. Der vertritt die Auffassung, nur "wer sich falsch verhält, darf belastet werden" und kommt zu dem Ergebnis, der bloße Umstand, dass "ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung zur Vermeidung eigenen Schadens beim Radfahren einen Helm tragen wird" (Zitat aus dem Urteil des OLG Schleswig), dürfe nicht "in eine juristische Verpflichtung umgedeutet werden". Und das ist so leider falsch.

Die von Prof. Dr. Müller vertretene Meinung hat einiges für sich, mit der Rechtsprechung der Obergerichte stimmt sie aber leider nicht überein, und das nicht erst seit dem Urteil des OLG Schleswig. Das sollte man als Laie wissen, als Fachmann hätte man es erörtern müssen. Denn die Rechtslage ist um einiges differenzierter:

Nach § 254 BGB trägt ein Mitverschulden, wer an der Entstehung eines Schadens mitwirkt. Das kann zum einen die ]Verursachung des Schadens betreffen. Verhalten sich beide Verkehrsteilnehmer nicht verkehrsgerecht, haben beide den Unfall mitverursacht. Das Mitverschulden erstreckt sich aber nicht nur auf die Verursachung, sondern auch auf die Entwicklung eines Schadens, und somit die Schadenshöhe. Wer z. B. mit seinem Gipsarm Handstand macht, trägt eine Mitverantwortung dafür, wenn der Bruch deshalb langsamer heilt und die Heilung mehr Kosten verursacht.

Der Helm gehört somit eindeutig in den Bereich der Schadenshöhe. Es reicht daher nicht, sich darauf zurückzuziehen, dass der Fahrradfahrer am eigentlichen Unfall keine Schuld gehabt habe.

Nun gibt es unstreitig kein Gesetz, dass Fahrradfahrern vorschriebe, einen Helm zu tragen. Mit diesem Umstand als Argument möchte Prof. Müller jegliches Mitverschulden verneinen; genau darum geht es aber nicht. Denn das Urteil stellt gar nicht auf eine Verpflichtung ab, sondern darauf, dass es eine so genannte Obliegenheit" wäre, als Fahrradfahrer einen Helm zu tragen. Deshalb ist auch das Wort "Helmpflicht" im Titel so irreführend. Niemand wird verpflichtet, einen Helm zu tragen. War aber ohne Helm einen dadurch begünstigten Schaden erleidet, hat für diesen Schaden teilweise selbst einzustehen. Das ist ein feiner Unterschied, der aber große Auswirkungen haben kann.

Eine Obliegenheit ist eine Verpflichtung gegen sich selbst: etwas, das man nicht tun muss (Pflicht), aber im eigenen Interesse tun sollte. Dass die Verletzung solcher Obliegenheiten - wie sie z. B. im Versicherungsrecht zahlreich vorkommen - ein Mitverschulden im Sinne des § 254 BGB begründen kann, ist in der Rechtsprechung seit langem anerkannt.

Es fragt sich jetzt nur noch, ob das Tragen eines Helms tatsächlich eine solche Obliegenheit ist. Man könnte z. B. damit argumentieren, dass dann auch eine entsprechende Obliegenheit ("Helmpflicht") für Autofahrer diskutiert werden müsste. Autofahrer erleiden nämlich bei Unfällen mindestens genauso häufig Kopfverletzungen wie Fahrradfahrer.

Die Entscheidung der Frage ist kompliziert und durchaus offen. In solchen Fällen lohnt es sich, einen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung zu beauftragen.