Schmerzensgeld für Glatze nach rechtswidriger Chemotherapie: Sind 20.000 Euro zu wenig?

Arzthaftung Behandlungsfehler
08.11.2018104 Mal gelesen
Wegen irreversiblen Haarausfalls hat das Oberlandesgericht (OLG) Köln einer Patientin 20.000 Euro als Schmerzensgeld zugesprochen. Dieser ist Folge einer rechtswidrig durchgeführten Chemotherapie.Wir sind der Meinung, das ist zu wenig!

Wegen irreversiblen Haarausfalls hat das Oberlandesgericht (OLG) Köln einer Patientin 20.000 Euro als Schmerzensgeld zugesprochen. Dieser ist Folge einer rechtswidrig durchgeführten Chemotherapie. Da die Frau durch den Eingriff lebenslang entstellt sein wird, glauben wir, dass ihr eine deutlich höhere Entschädigung zusteht. Schließlich hat der behandelnde Arzt das Erscheinungsbild der Frau dauerhaft und grundlegend verändert - mit allen psychischen und physischen Konsequenzen.

Aufklärungsfehler: Haarverlust nach Chemotherapie

Bei der Klägerin war im Herbst 2007 ein Mammakarzinom entdeckt worden. Sie war daraufhin an der Brust operiert worden, anschließend empfahlen die Ärzte ihr eine Chemotherapie.

Allerdings klärten sie die Klägerin nicht über das Risiko des dauerhaften Haarverlustes auf, der dann jedoch als Nebenwirkung der Therapie auftrat und schließlich zum vollständigen Verlust der Haare führte.

Seitdem befindet sich die Frau in psychotherapeutischer Behandlung, weil ihre Selbstakzeptanz durch den Haarausfall stark gestört ist und sie sich aus dem sozialen Leben zurückgezogen hat.

Aufklärungsfehler führt zur Rechtswidrigkeit des Eingriffs

Der beklagten Klinik warf die Frau vor, die bei ihr angestellten Ärzte hätten sie nicht über das Risiko des irreversiblen Haarausfalls aufgeklärt und außerdem keine etwaigen Behandlungsalternativen genannt.

Nachdem sie vor dem Landgericht Köln mit ihrer Klage noch gescheitert war, gab das OLG Köln ihr nun recht: Die Che­mo­the­ra­pie sei ohne die notwendige Aufklärung durch die behandelnden Ärzte und somit aufgrund dieses Wissensmangels ohne die rechtfertigende Einwilligung der Klägerin erfolgt. Ziel der vom Gesetzgeber vorgesehenen Aufklärung ist es, den Patienten in die Lage zu versetzen "im Großen und Ganzen" beurteilen zu können, worin er einwilligt. Dazu muss er seine Entscheidung auch vor dem Hintergrund der mit der Behandlung verbundenen Risiken und Alternativen treffen, weshalb die behandelnden Ärzte hierüber informieren müssen. Im konkreten Fall schließt das auch die Gefahr des dauerhaften Haarverlusts ein. Das beklagte Kran­ken­haus wandte ein, die Klägerin hätte in die Therapiemaßnahme auch bei vollständiger Auf­klä­rung eingewilligt, wurde damit vor dem OLG jedoch nicht gehört. Das Gericht gelangte zu der Überzeugung, dass die Angst der Klägerin vor dem drohenden Haarverlust so groß war, dass sie der Empfehlung zur Chemotherapie im Wissen um dieses Risiko nicht ohne weiteres gefolgt wäre, sondern zuvor weitere Ärzte konsultiert hätte.

20.000 ? als Schmerzensgeldes hal­ten wir für untersetzt

Deshalb verurteilte das OLG Köln die beklagte Klinik zu einem Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 Euro. In den Gründen heißt es, nach außen ließe sich das fehlende Haar nur teilweise durch eine Perücke oder dauerhaftes Make-up kaschieren. Die Klägerin leide seit der Behandlung unter erheblichen und nach­hal­ti­gen psychischen und seelischen Belastungen. Die Höhe des gewährten Schmerzensgeldes ist indes nach unserer rechtlichen Beurteilung untersetzt. Das OLG hat zwar die psy­chi­schen Folgen der rechtswidrigen Behandlung gewürdigt, die äußerlichen Beeinträchtigungen aber unzureichend berücksichtigt. Durch den totalen Haarverlust ist die Klägerin in ihrem Erscheinungsbild lebenslag entstellt. Das beeinträchtigt ihren sozialen Umgang nachhaltig, da Dritte sich ihr gegenüber zukünftig anders verhalten werden als vor dem Eingriff.

Andere Gerichte haben in ähnlich gelagerten Prozessen den Opfern deutliche hö­he­re Schmerzensgelder zu­ge­spro­chen, beispielsweise in den Entscheidungen des OLG Zweibrücken vom 28. Februar 1996 - 1 U 210/94 (76.694 ?) und des OLG Köln vom 01. Juni 2001 - 19 U 158/00 - (76.694 ?).

Die Rechtsprechung soll­te dauerhafte Entstellungen - wie im vorliegenden Fall den kompletten Haarverlust - bei der Berechnung des Schmerzensgeldes an­ders ge­wich­ten und somit die beklagten Krankenhäuser insgesamt zu höheren Zahlungen verpflichten.