BAG: Prüfungszeitraum für die Betriebsrentenanpassung - Fluch oder Segen für die Betriebsrente?

BAG: Prüfungszeitraum für die Betriebsrentenanpassung - Fluch oder Segen für die Betriebsrente?
07.08.20121194 Mal gelesen
Der Beitrag stellt die Grundzüge der Entscheidung des BAG, Urteil vom 11.10.2011 - 3 AZR 527/09 (Vorinstanz: LAG Hamm, Urteil vom 3.2.2009 - 4 Sa 972/08) dar.

1. Sachverhalt

Der Kläger war bei der Beklagten von 1966 bis 1998 beschäftigt. Er bezog seit dem 1. Oktober 1998 eine Betriebsrente. Die Anpassung der Betriebsrenten erfolgte für alle Betriebsrentner jeweils zum 1. Januar. Zum 1. Januar 2007 hob die Beklagte die Rente des Klägers um 3 % an. Im September 2007 teilte sie ihm mit, sie habe bereits entschieden, seine Betriebsrente zum 1. Januar 2010 und zum darauf folgenden Anpassungsstichtag, dem 31. Dezember 2012 jeweils zum 3 % brutto zu erhöhen. Der Kläger verlangt die Anpassung seiner Betriebsrente ab dem 1. Januar 2007 um den seit Rentenbeginn eingetretenen vollen Kaufkraftverlust.

Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht gaben der Klage in unterschiedlicher Höhe teiltweise statt. Die Revision der Beklagten war erfolglos. Das BAG gab der Klage hinsichtlich der verlangten Rentenanpassung in voller Höhe statt.

2. Wesentliche Aussagen der BAG Entscheidung in Auszügen

(vgl. BAG, Urteil vom 11.10.2011 - 3 AZR 527/09)

Der Arbeitgeber habe bei der Entscheidung über die Anpassung der Betriebsrente die Belange des Versorungsempfängers zu berücksichtigen. Diese bestünden im Ausgleich des Kaufkraftverlusts seit Rentenbeginn. Dementsprechend sei der volle Anpassungsbedarf zu ermitteln, der in der seit Rentenbeginn eingetretenen Teuerung bestehe, soweit sie nicht durch vorhergehende Anpassungen ausgeglichen wurde.

Auch dann, wenn der Prüfungszeitraum sowohl Zeiträume vor dem 1. Januar 2003 als auch Zeiträume nach dem 31. Dezember 2002 erfasse, verbleibe es dabei, dass der volle Anpassungsbedarf vom Rentenbeginn bis zum aktuellen Anpassungsstichtag zu ermitteln sei. Hierfür biete sich die sog. Rückrechnungsmethode an.

Danach werde die Teuerungsrate zwar aus den seit 2003 maßgeblichen Indizes berechnet; für Zeiträume, die vor dem 1. Januar 2003 liegen, werde der Verbraucherpreisindex für Deutschland jedoch in dem Verhältnis umgerechnet, in dem sich dieser Index und der Preisindex für die Lebenshaltung von Vier-Personen-Haushalten von Arbeitern und Angestellten mit mittlerem Einkommen im Dezember 2002 gegenüberstanden.

Daraus folgt:

a) Berechnungsmethode zur Ermittlung des Kaufkraftverlustes

(1.) Rechenschritt:

Der Verbraucherpreisindex für Deutschland (Stand: Dezember 2002) sei ins Verhältnis zum Preisindex für die Lebenshaltung von Vier-Personen-Haushalten von Arbeitern und Angestellten mit mittlerem Einkommen (Stand ebenfalls: Dezember 2002) zu setzen.

(2.) Rechenschritt:

Der Preisindex für die Lebenshaltung von Vier-Personen-Haushalten von Arbeitern und Angestellten mit mittlerem Einkommen sei für den Monat vor Rentenbeginn zu ermitteln und mit dem im ersten Rechenschritt errechneten Faktor zu multiplizieren.

(3.) Rechenschritt:

Der sich danach ergebende Wert müsse sodann ins Verhältnis zum Verbraucherpreisindex für den Monat vor dem Anpassungsstichtag gesetzt werden.

b) Reallohnbezogene Obergrenze

Die reallohnbezogene Obergrenze (§ 16 Abs. 2 Nr. 2 BetrAVG) rechtfertige keine die Teuerungsrate unterschreitende Anpassung, maW gelte die Verpflichtung nach Abs. 1 als erfüllt, wenn die Anpassung nicht geringer sei als der Anstieg der Nettolöhne vergleichbarer Arbeitnehmergruppen des Unternehmens im Prüfungszeitraum. Der Billigkeit widerspreche es nicht, wenn der Arbeitgeber die Betriebsrente nur bis zur durchschnittlichen Steigerung der Reallöhne der aktiven Arbeitnehmer anpasse. (...) Da die reallonbezogene Obergrenze ebenso wie der Anpassungsbedarf die Belange der Versorgungsempfänger betreffe, gelte für beide derselbe Prüfungszeitraum.

c) Wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers

Die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers sei eine zukunftsbezogene Größe. Sie umschreibe die Belastbarkeit des Arbeitgebers und setze eine Prognose voraus. Dazu müsse die bisherige Entwicklung über einen Zeitraum von (...) mindestens drei Jahren ausgewertet werden. Voraussetzung für die zum Anpassungsstichtag zu erstellenden Prognose sei jedoch, dass die Veränderungen in den wirtschaftlichen Verhältnissen des Unternehmens bereits vorhersehbar waren. Die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers rechtfertige die Ablehnung einer Betriebsrentenanpassung insoweit, als das Unternehmen dadurch übermäßig belastet und seine Wettbewerbsfähigkeit gefährdet würde. Demzufolge käme es auf die voraussichtliche Entwicklung der Eigenkapitalverzinsung und der Eigenkapitalausstattung des Unternehmens an.

Bei der Berechnung der Eigenkapitalverzinsung sei einerseits auf die Höhe des Eigenkapitals andererseits auf das erzielte Betriebsergebnis abzustellen. Beide Bemessungsgrundlagen seien ausgehend von den handelsrechtlichen Jahresabschlüssen zu bestimmen. (...)

Der Arbeitgeber sei darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass seine Anpassungsentscheidung billigem Ermessen entspreche und sich in den Grenzen des § 16 BetrAVG halte. (...)

3. Fazit

Im Ergebnis dürften die von BAG entwickelten Kriterien zum Prüfungszeitraum für die Betriebsrentenanpassung eher ein Segen als ein Fluch für die Anpassung von Betriebsrenten sein. Mit dieser Entscheidung hat das BAG vor allem Rechtssicherheit geschaffen. Liegt der Prüfungszeitraum für die Betriebsrentenanpassung vor und nach dem 1. Januar 2003, so kann die Teuerungsrate mit der Rückrechnungsmethode berechnet werden.

Die Praxisrelevanz und Brisanz dieser Entscheidung resultiert vor allem aus dieser vom BAG entwickelten Berechnungsmethode zur Ermittlung des Anpassungsbedarfs (Kaufkraftverlust) - hier unter Pkt. 2. a) dargestellt -, und zwar konkret bei Prüfungszeiträumen, die sowohl vor als auch nach dem 1. Januar 2003 liegen. Aus § 30c Abs. 4 BetrAVG sowie aus der Gesetzesbegründung geht hervor, dass es für Zeiträume bis Ende 2002 bei dem bisherigen, für diesen Zeitraum weiterhin bestehenden alten Preisindex verbleiben soll (vgl. BT-Dr 15/124, S.6). Das BAG legt das Anknüpfen an den "Stichtag" 1. Januar 2003 so aus, als habe der Gesetzgeber statistische Ungenauikgeiten bewusst in Kauf genommen (der alte Preisindex wurde nur bis zum 31. Dezember 2002 fortgeschrieben!).

Tip: Arbeitgebern ist daher zu empfehlen, sich mit der vom BAG entwickelten sog. Rückrechnungsmethode vertraut zu machen. Nicht selten dürfte hierzu anwaltlicher Rat einzuholen sein.

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Ansprechpartner: Dr. Alexander Pfohl, LL.M., Rechtsanwalt, Schindhelm Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hannover