Kein Computer, kein WLAN – Trotzdem muss Rentnerin Abmahnkosten wegen Filesharing tragen

Abmahnung Filesharing
19.12.2011283 Mal gelesen
Das Amtsgericht München hat mit Urteil vom 23.11.2011 (142 C 2564/11) eine Rentnerin auf Erstattung von Abmahnkosten in Höhe von € 651,80 verurteilt, obwohl diese keinen Computer besaß. Auch konnte nicht festgestellt werden, dass sie über einen WLAN-Router verfügte.

Der beklagten Rentnerin war vorgeworfen worden, an einem Morgen im Januar 2010 einen Hooligan-Film im Rahmen eines Filesharing-Systems zum Download für andere angeboten, also öffentlich zugänglich gemacht zu haben.

Nachdem sie zur Vermeidung weiterer Kosten vorgerichtlich ohne Anerkennung einer Rechtspflicht eine modifizierte, strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hatte, wurde sie nunmehr seitens der klagenden Rechteinhaber vor dem Amtsgericht München auf Erstattung der Abmahnkosten (€ 651,80) sowie Schadensersatz (€ 68,20) in Anspruch genommen.

Das Amtsgericht München kommt zwar in seinen Entscheidungsgründen richtigerweise zu dem Ergebnis, dass ein Schadensersatzanspruch sich nicht begründen ließe, allerdings habe die Beklagte dennoch die Abmahnkosten zu tragen, weil doch davon auszugehen sei, dass das streitgegenständliche Filmwerk über ihren Internetanschluss angeboten worden sei.

Seitens der alleinlebenden, zudem auch pflegebedürftigen Beklagten wurde aber konkret dargelegt und unter anderem auch unter Beweis gestellt, dass sie zwar vertraglich einen Internetanschluss noch besaß, weil sie aus dem 2-Jahres-Vertrag so schnell nicht rauskam. Allerdings hatte sie schon ein halbes Jahr vor der behaupteten Rechtsverletzung ihren damaligen Computer verkauft und nur noch ein Telefon besessen. Die Beklagte verfügte noch nicht einmal über eine eigene Email-Adresse.

Desweiteren hatte sie vorgetragen, dass zu keinem Zeitpunkt, insbesondere nicht zum streitgegenständlichen Zeitpunkt, irgendeine dritte Person Zugriff auf ihren nur theoretisch vorhandenen Internetanschluss gehabt hatte. Insofern wurde erheblich bestritten, dass die fragliche Datei überhaupt über ihren Internetanschluss angeboten wurde. Insbesondere wurde umfänglich bestritten, dass die Ermittlungsmaßnahmen, die zu einer Zuordnung der angeblich ermittelten IP-Adresse zur Beklagten geführt haben sollen, ganz und gar korrekt und einwandfrei erfolgt sind.

Aufgrund der Beweisaufnahme, in dem sowohl ein sachverständiger Zeuge, der ein Privatgutachten über die eingesetzte Software der Ermittlungsfirma angefertigt hatte, als auch zwei Mitarbeiter der Ermittlungsfirma sowie die Schwester der Beklagten vernommen wurden, ging das Gericht nunmehr davon aus, dass die streitgegenständliche Urheberrechtsverletzung vom Anschluss der Beklagten begangen wurde und diese auch verantwortlich sei.

Die Entscheidung, dass die Beklagte somit als sog. Störerin die Abmahnkosten zu tragen habe, ist deswegen äußerst irritierend, weil das Gericht ganz unabhängig davon, ob ein WLAN-Netzwerk vorlag oder nicht bzw. ob etwaige Prüf- und Sicherungspflichten verletzt wurden oder nicht, von einer tatsächliche Vermutung dafür ausgehe, dass die Beklagte verantwortlich sei. Woraus sich diese Verantwortlichkeit konkret ergeben soll, lässt das Gericht jedoch völlig offen. Es stützt sich lediglich darauf, dass die Beklagte die "tatsächliche Vermutung ihrer Verantwortlichkeit" nicht habe entkräften können.

Dass eine Störerhaftung jedoch gerade die Verletzung etwaiger Prüfpflichten und somit auch die konkrete Feststellung darüber voraussetzt, scheint das Gericht anscheinend vergessen zu haben. Auch der Bundesgerichtshof hat dies jedoch in seiner auch vom AG München selbst herangezogenen Entscheidung (Urteil vom 12.05.2010, I ZR 121/08, Sommer unseres Lebens) unmissverständlich zum Ausdruck gebracht:

 "Als Störer kann.auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer - ohne Täter oder Teilnehmer zu sein - in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung des geschützten Rechts beiträgt..Da die Störerhaftung nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden darf, . setzt die Haftung des Störers nach der Rechtsprechung des Senats die Verletzung von Prüfpflichten voraus. Deren Umfang bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten ist." (Hervorhebung durch Autor)

 Der BGH hatte in seinem beurteilten Fall die Auffassung vertreten, dass adäquat kausal ein nicht ausreichend gesicherter WLAN-Anschluss gewesen sei. Vergleichbare Feststellungen hatte das Amtsgericht München jedoch hier nicht treffen können und hat seine Entscheidung auch nicht damit begründet, sondern diesen Aspekt sogar völlig offen gelassen.

Abgestellt wurde lediglich auf eine nicht entkräftete Vermutung, wie sie auch der BGH angeblich annehme. Viele Gerichte, so auch das Amtsgericht München, machen es sich jedoch insofern viel zu einfach. Der BGH geht nämlich in seiner Entscheidung zum einen davon aus, dassfeststeht, dass die IP-Adresse der Person zugeteilt wurde, die in Anspruch genommen wurde.

Es erscheint sehr fragwürdig, ob das Gericht hier tatsächlich davon ausgehen durfte, dass die IP-Adresse korrekt der Beklagten zugeordnet wurde. Denn so sehr es auch den Ausführungen des Privatgutachters und der Mitarbeiter der Ermittlungsfirma glauben wollte, hat das Gericht jedoch nicht einbezogen, dass die Zuordnung auch von der richtigen Auskunft beim Provider abhängt und erhebliche Umstände auf Seiten der Beklagten eben gegen die Verantwortlichkeit sprechen.

Zum anderen hat der BGH ebennichterklärt, wie es jedoch leider gerne interpretiert wird, dass ein Anschlussinhaber seiner sekundären Darlegungslast zur Entkräftung der Vermutung nur damit Rechnung tragen könne, wenn er selbst einen anderen Lebenssachverhalt nachweisen kann. Der Anschlussinhaber muss also selbst ermitteln, wer wenn nicht er, die behauptete Rechtsverletzung begangen hat und dies sogar auch beweisen.

Dass dies entgegen der gesetzlichen Regelung faktisch zu einer Beweislastumkehr führt und auch tatsächlich -wie hier- unmöglich ist, einen Rechtsverletzer von außerhalb zu ermitteln, wenn noch nicht einmal zweifelsohne feststeht, dass u.a. die Zuordnung der IP-Adresse einwandfrei war, wird völlig außer Acht gelassen. Die Anforderungen an einen Anschlussinhaber werden im Interesse der Rechteinhaber deutlich überspannt.

Das Halten eines Internetanschlusses wird "zum eigenen Lebensrisiko" des Anschlussinhabers erhoben, das Problem der Rechteinhaber, die vielfach mangels entsprechend attraktiver Angebote dem Internetzeitalter nicht gewachsen sind, zum Problem des Einzelnen gemacht. Faktisch kann man die Beurteilung des Gerichts also auf einen Punkt bringen: Jeder Anschlussinhaber haftet, ohne wenn und aber. Denn das, was der Anschlussinhaber hier entkräften soll, die vermeintliche Vermutung (wohlgemerkt: es handelt sich nur um eine Vermutung, keine feststehende Tatsache!), ist praktisch vielfach - so wie hier - schlichtweg unmöglich.

Das Amtsgericht München, welches sogar anfangs noch "mangels Erfolgsaussicht" den Prozesskostenhilfeantrag der Beklagten zurückgewiesen hatte und erst im Rahmen der sofortigen Beschwerde abgeholfen hatte, hätte nach diesseitiger Auffassung, wie auch in einem anderen Fall das LG Stuttgart (Urteil vom 28.06.2011, AZ: 17 O 39/11), die Klage schlichtweg abweisen müssen, weil eine Verantwortlichkeit (nämlich welche?) eben nicht feststand.

Ob das Urteil am Ende so Bestand haben wird, bleibt noch abzuwarten. Die Rechtsmittelfristen sind jedenfalls noch nicht abgelaufen. Das Urteil des Amtsgerichts findet sich hier.

 Es sei zudem noch angemerkt, dass auch das Verständnis zur örtlichen Zuständigkeit (§ 32 ZPO), welche vorliegend auch gerügt wurde, nach dem Sinn und Zweck der Zuständigkeitsvorschriften in der Zivilprozessordnung und unter grundrechtlichen Gesichtspunkten überaus bedenklich erscheint. Sowohl die Klägerseite als auch die pflegebedürftige Beklagte haben ihren Sitz bzw. Wohnsitz im ca. 600km entfernten Berlin. Schön, wenn dann auch noch die Beklagte die Beweislast für das Gegenteil tragen soll, entgegenstehende Beweise sich aber - soweit möglich - am Wohnsitz der Beklagten befinden.