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Konstruktionsfehler

 Normen 

§ 823 BGB

ProdHaftG

 Information 

1. Definition

Ein Konstruktionsfehler ist ein Produktfehler, der eine vertragliche oder deliktische Produkthaftung des Herstellers begründet.

Ein Konstruktionsfehler liegt nur vor, wenn schon bei der Planung des Produkts gegen technische Erkenntnisse verstoßen wird. Der Fehler liegt zeitlich also vor der Herstellung und ist dann auch für die komplette Produktionsserie typisch.

Beispiel:

Die Konstruktion eines Bremssystems für Pkw, das keine ausreichende Bremskraft entwickelt. Konstruktionsfehler können sich aber auch aufgrund einer zu schwachen Materialverbindung (z.B. Verschraubung oder Schweißnaht) ergeben.

Ein Konstruktionsfehler liegt u.a. vor, wenn das Produkt schon seiner Konzeption nach unter dem gebotenen Sicherheitsstandard bleibt. Zur Gewährleistung der erforderlichen Produktsicherheit hat der Hersteller bereits im Rahmen der Konzeption und Planung des Produkts diejenigen Maßnahmen zu treffen, die zur Vermeidung einer Gefahr objektiv erforderlich und nach objektiven Maßstäben zumutbar sind. Erforderlich sind die Sicherungsmaßnahmen, die nach dem im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produkts vorhandenen neuesten Stand der Technik und Wissenschaft konstruktiv möglich sind (BGH 16.06.2009 - VI ZR 107/08).

2. Pflichten des Herstellers

Grundsatz:

Der Hersteller haftet für einen schuldhaften Verstoß gegen Verkehrssicherungspflichten bei der Konstruktion des Produktes. Er muss alle zumutbaren Vorkehrungen treffen, um Konstruktionsfehler zu vermeiden und zu diesem Zwecke alle ihm zugänglichen technischen und wirtschaftlichen Erkenntnisse und Möglichkeiten ausnutzen und alle technisch möglichen Sicherheitsvorkehrungen treffen. Er muss vermeiden, dass nach dem jeweiligen Stand der Technik und Wissenschaft vorhersehbare Konstruktionsfehler entstehen.

Die berechtigte Sicherheitserwartung geht grundsätzlich nur dahin, dass von einem Produkt bei vorhersehbarer üblicher Verwendung unter Beachtung der Gebrauchs- bzw. Installationsanleitung keine erheblichen Gefahren für Leib und Leben der Nutzer oder unbeteiligter Dritter ausgehen, das Produkt also so konzipiert ist, dass es unter Beachtung der Installations- und Gebrauchsanleitung bei bestimmungsgemäßem Gebrauch oder vorhersehbarem Fehlgebrauch gefahrlos benutzt werden kann (BGH 05.02.2013 - VI ZR 1/12).

Eingrenzung der Pflicht:

Im Allgemeinen genügt es, dass Produkte bei bestimmungsgemäßem Gebrauch nicht zu einer Gefahrenquelle werden. Dies gilt vor allem dann, wenn die bei unsachgemäßem Gebrauch entstehenden Gefahren ohne Weiteres erkannt werden können. Dann sind weder besondere Sicherheitsvorkehrungen des Herstellers noch eine Warnung vor unsachgemäßem Gebrauch erforderlich.

Beispiel:

Dies gilt z.B. für weitverbreitetes Handwerkszeug, wie Hammer, Säge, Messer. Der vorsichtige Umgang hiermit wird bereits den Kindern beigebracht und braucht deshalb nicht Gegenstand einer besonderen Produktwarnung zu sein.

Pflichtenumfang bei bestehenden Risiken:

Sind bestimmte mit der Produktnutzung einhergehende Risiken nach dem maßgeblichen Stand der Technik und Wissenschaft nicht zu vermeiden, ist unter Abwägung von Art und Umfang der Risiken, der Wahrscheinlichkeit ihrer Verwirklichung und des mit dem Produkt verbundenen Nutzens zu prüfen, ob das gefahrträchtige Produkt überhaupt in den Verkehr gebracht werden darf (BGH 16.06.2009 - VI ZR 107/08).

Billigprodukte:

Auch Billigprodukte müssen eine gewisse Basissicherheit aufweisen. Der Hersteller eines Produktes muss auf die aus der Verwendung einer Sache resultierenden Gefahren hinweisen. Diese Pflicht erstreckt sich auch auf einen innerhalb des allgemeinen Verwendungszwecks naheliegenden und für den Hersteller erkennbaren Fehlgebrauch. Dabei sind besonders strenge Maßstäbe dort anzulegen, wo Körper- und Gesundheitsschäden drohen (OLG Naumburg 21.11.2013 - 1 U 38/12).

Pflichten bei bestimmungswidrigem Gebrauch:

Die Produktsicherheit muss aber anderseits auch in bestimmten Fällen bestimmungswidrigen Gebrauchs noch gegeben sein. Laut BGH müssen Produkte bei jedem "vorhersehbaren üblichen Umgang" sicher sein. Dies gilt z.B. für die Überbeanspruchung von Produktteilen.

Beispiel:

Mit der Überlastung eines Personenaufzuges muss man rechnen und deshalb sind die Stahlseile, an denen die Aufzugskabinen hängen, entsprechend stark zu bemessen.

Achtung:

  1. a)

    Auch wenn Normen regelmäßig aktualisiert werden, können sie doch überholt sein. Der Hersteller muss deshalb auch beim Vorhandensein einschlägiger Normen oder Regelwerke prüfen, ob diese noch dem aktuellen Stand der Technik entsprechen.

  2. b)

    Werden von der Konkurrenz Neuerungen entwickelt, die wesentliche Sicherheitsvorteile aufweisen, müssen diese durch von den übrigen Herstellern in der betreffenden Branche übernommen werden. Dies ist jedoch dann nicht erforderlich, wenn die vom Verkehr erwartete Basissicherheit noch gegeben ist und die Übernahme wirtschaftlich unzumutbar sein würde.

  3. c)

    Da der Hersteller für die Produktsicherheit im Augenblick des Inverkehrbringens des einzelnen Produktes verantwortlich ist, muss er unter Umständen die Auslieferung einer laufenden Serie stoppen, wenn sich während der Serienproduktion neue Erkenntnisse bezüglich der Sicherheit des Typmusters ergeben.

  4. d)

    Bei Neuentwicklungen ist auch der neueste Stand der Wissenschaft zu beachten. Dies gilt vor allem, wenn es sich nicht um technische, sondern um andere Produkte, wie z.B. chemische oder pharmazeutische Produkte handelt.

  5. e)

    Die Beschaffenheit des Produktes muss sich nach den Kenntnissen und Erfahrungen richten, die bei den Verbrauchern anzunehmen sind, die das Produkt benutzen sollen. Bei unterschiedlichen Verbrauchergruppen muss sich der Produzent auf die am meisten gefährdete Gruppe einstellen. Auch ungeschulte und ungeschickte Verbraucher müssen vor Schäden geschützt werden.

Aber die Pflicht ist eingeschränkt:

"Von dem Hersteller kann dagegen nicht verlangt werden, für sämtliche Fälle eines unsorgfältigen Umgangs mit dem Produkt, zu dem auch die fachwidrige Installation gehören kann, Vorsorge zu treffen" (BGH 05.02.2013 - VI ZR 1/12).

3. Sicherungspflichten nach dem Inverkehrbringen

Die Sicherungspflichten des Herstellers nach Inverkehrbringen seines Produkts sind nicht notwendig auf die Warnung vor etwaigen Gefahren beschränkt. Sie können etwa dann weiter gehen, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass die Warnung, selbst wenn sie hinreichend deutlich und detailliert erfolgt, den Benutzern des Produkts nicht ausreichend ermöglicht, die Gefahren einzuschätzen und ihr Verhalten darauf einzurichten.

Ferner kommen weiter gehende Sicherungspflichten dann in Betracht, wenn die Warnung zwar ausreichende Gefahrkenntnis bei den Benutzern eines Produkts herstellt, aber Grund zu der Annahme besteht, diese würden sich - auch bewusst - über die Warnung hinwegsetzen und dadurch Dritte gefährden.

In solchen Fällen kann der Hersteller aufgrund seiner Sicherungspflichten aus § 823 BGB verpflichtet sein, dafür Sorge zu tragen, dass bereits ausgelieferte gefährliche Produkte möglichst effektiv aus dem Verkehr gezogen oder nicht mehr benutzt werden (BGH 16.12.2008 - VI ZR 170/07).

 Siehe auch 

Fabrikationsfehler

Instruktionsfehler

Produkthaftung

Produktbeobachtungsfehler

Produkthaftung - Deliktshaftung

Produkthaftungsgesetz

BGH 15.02.2005 - X ZR 43/02 (Konstruktionsfehler bei einer Maschine)

BGH 03.10.1984 - IVa ZR 170/82 (Definition des Konstruktionsfehlers)

OLG Schleswig 19.10.2007 - 17 U 43/07 (Konstruktionsfehler einer Geschirrspülmaschine)

Gomille: Herstellerhaftung für automatisierte Fahrzeuge; Juristenzeitung - JZ 2016, 76

Klindt/Molitoris: Aktuelle Entwicklungen im Produktsicherheits- und Produkthaftungsrecht; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2019, 2284

Klindt/Handorn: Haftung eines Herstellers für Konstruktions- und Instruktionsfehler; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2010, 1105

Molitoris/Klindt: Entwicklungen im Produktsicherheits- und Produkthaftungsrecht 2015; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2015, 1568