Tatort Autobahn: Überholvorgang muss zügig abgeschlossen werden

Strafrecht und Justizvollzug
28.06.20094954 Mal gelesen
Elefantenrennen zwischen LKW sind ein ärgerliches Phänomen. In der Straßenverkehrsordnung heißt es, dass nur überholen darf, wer mit wesentlich höherer Geschwindigkeit als der zu Überholende fährt (§ 5 Abs. 2 S. 2 StVO). Nach dem Bußgeldkatalog droht demjenigen, der mit nicht wesentlich höherer Geschwindigkeit als der zu Überholende überholt ein Bußgeld in Höhe von 80,- ?. Außerdem gibt es einen Punkt in Flensburg.   Dieser Gesetzeswortlaut ist vage. Wie hoch muss die danach erforderliche Mindest-Differenzgeschwindigkeit konkret sein und wie lange darf ein Überholvorgang letztlich dauern?
 
Die Rechtsprechung hat sich mit diesen Fragen bis heute nur wenig beschäftigt und Entscheidungen aus den 60er und 70er Jahren sind auf heutige Verkehrsverhältnisse nicht mehr übertragbar. Sehr interessant ist daher eine Entscheidung des Oberlandesgericht Hamm vom 29.10.2008 (Az.:  4 Ss OWi 629/08). Der Entscheidung lag der Fall des Fahrers eines Sattelzuges zugrunde, der auf der BAB 1 bei Ascheberg zum Überholen eines sehr unregelmäßig fahrenden anderen LKWs ansetzte. Die dahinter fahrenden Beamten der Autobahnpolizei beobachteten dann, dass sich der Überholvorgang über zwei Kilometer hinzog, weil der Betroffene an dem anderen LKW nicht wirklich vorbeikam. Während die beiden Laster mit annähernd gleicher Geschwindigkeit beide Fahrspuren blockierten hatte sich dahinter eine PKW-Schlange gebildet.
 
Der Senat merkt in seiner Entscheidung zunächst an, dass die Vorschrift, welche die Pflicht zu angemessen zügigen Überholen begründet, sich in erster Linie an LKW wendet. Aus der Begründung des Verordnungsgebers zur Änderung der Bußgeld-Katalogverordnung vom 01.04.2004, die statt des bisherigen Verwarngeldes den Tatbestand in den Rang eines punktebewährten Bußgeldtatbestandes gehoben hatte, geht hervor, dass man tatsächlich die praktischen Probleme im Auge hatte, die im wesentlichen beim Überholen mit LKW zu beobachten sind. Danach, so die Richter, komme eine Ahndung nach § 5 Abs. 2 S. 2 StVO nur dann in Betracht, wenn der Verkehrsfluss durch einen LKW-Überholvorgang unangemessen behindert wird. Dies sei beispielsweise dann nicht der Fall, wenn sich der Vorgang zu verkehrsarmer Zeit auf einer dreispurigen Autobahn abspiele oder auf einer zweispurigen Bahn, wenn diese ansonsten leer ist. Zur Frage der Überholdauer stellen die Richter folgende Faustregel auf:  Ahndungswürdig ist ein Überholvorgang, der länger  als 45 Sekunden dauert oder bei dem die Differenzgeschwindigkeit zwischen Überholer und Überholenden weniger als 10 km/h beträgt.
 
Unter Berücksichtigung der Länge eines zu überholenden Fahrzeugs von knapp 25 und den vor und nach dem Überholen vorgeschriebenen Sicherheitsabständen von jeweils von 50 m entspräche dies einer Geschwindigkeit von 80 km/h für das Überholend und einer solchen von 70 km/h für das überholte Fahrzeug. Die Entscheidung des OLG Hamm zeigt, dass ein Bußgeld wegen Überholens im Schneckentempo nur für LKW-Fahrer in Betracht kommt und der Überholvorgang zu einer unangemessenen Behinderung des Verkehrsflusses geführt haben muss. Für die Fahrer anderer Fahrzeuge kommt eine Verwarnung mit 10 ? nach Nr. 24 BKatV in Betracht. Danach wird verwarnt, wer sich nach dem Überholen nicht so bald wie möglich wieder rechts einordnet. Das Überholen mit zu geringer Differenzgeschwindigkeit stellt die Polizei übrigens meistens mit dem Video-Überwachungssystem VAMA von Autobahnbrücken oder mit der mobilen Verkehrsüberwachungsanlage "ProViDa" im nachfahrenden oder vorausfahrenden Auto fest. Aber auch eine Messung durch einfaches Nachfahren ist denkbar, wobei an die Aussagen der Beamten dann natürlich besonders hohe Anforderungen zu stellen sind. Wichtig für Betroffene ist nach dem Beschluss des OLG Hamm vor allem, dass auch eine Behinderung des Verkehrsflusses festgestellt werden muss. 
     
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Der Verfasser dieses Beitrags, Rechtsanwalt Christian Demuth, Düsseldorf, ist regional und überregional nahezu ausschließlich auf dem Gebiet des Verkehrsstrafrechts, einschließlich Ordnungswidrigkeiten- und Fahrerlaubnisrecht, tätig.
 
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