Section-Control - Kommt Big Brother auf Deutschlands Straßen?

Staat und Verwaltung
30.01.2009708 Mal gelesen

Auf dem diesjährigen  Deutschen Verkehrsgerichtstag wird heiß diskutiert, ob die Geschwindigkeitsüberwachung nach der Methode von Section-Control ein probates Mittel für deutsche Straßen ist. Bei dieser Kontrollmethode, die in Österreich, Holland und England schon Realität ist, erfasst das System die Kennzeichen aller Fahrzeuge auf einem bestimmten Streckenabschnitt und ermittelt anhand einer Weg-Zeit-Berechnung ob die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf der Kontrollstrecke eingehalten wurde. Erreicht ein Fahrzeug das Ende des Kontrollabschnitts so früh, dass es mit einer unzulässig hohen Durchschnittsgeschwindigkeit unterwegs gewesen sein muss, erhält der Fahrzeughalter ein Knöllchen von der Bußgeldstelle. 

Ist die Methode von Section-Control in Deutschland überhaupt zulässig? Das darf bezweifelt werden. Mögen sich die Befürworter auch auf Studien berufen, die im Vergleich zu herkömmlichen Radarfallen eine erfolgreichere Disziplinierung der Autofahrer bestätigen, so lassen sich scherwiegende rechtliche Bedenken nicht von der Hand weisen. 
 
Da ist einmal der datenschutzrechtliche Einwand. Zwar können bereits heute an den Mautbrücken die Kennzeichen aller durchfahrenden Fahrzeuge kurzzeitig erfasst werden, doch hätte die Erfassung zur Ermittlung eines möglichen Geschwindigkeitsverstoßes eine ganz andere Dimension. Die  Vorratshaltung von Daten ist in Deutschland nicht mit der Verfassung vereinbar. Sie verletzt das Grundrecht des Einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung. Ohne ein konkretes Verdachtsmoment darf niemand gespeichert werden.
 
Die Vorauserfassung von Kennzeichen widerspricht ferner den strafprozessualen Grundprinzipien. Sie bedeutet eine Vorverlagerung des Ermittlungsverfahrens in einen Bereich, wo es noch keinen zureichenden Anhaltspunkt für die Begehung eines Deliktes gibt. Aus guten rechtsstaatlichen Gründen ist es dem Staat nicht erlaubt, rein präventiv, d.h. ohne einen Anfangsverdacht, gegen Bürger zu ermitteln. Die Regeln des Strafprozesses finden nach deutscher Gesetzeslage auch Anwendung, wo es um Bußgeldverfahren geht.
 
Und es gibt noch einen weiteren prozessrechtlichen Grund, der gegen Section-Control spricht: Eine Halterhaftung wird in Deutschland im Gegensatz zu anderen EU-Ländern nicht praktiziert.  Hier gibt es die sogenannte Halterhaftung nur bei Parkverstößen. Kann der Parksünder nicht ermittelt werden, werden dem Halter des Kfz die Kosten des Verfahrens auferlegt. Für alle anderen Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr muss die persönliche Täterschaft im Zeitpunkt des Verstoßes zweifelsfrei erwiesen sein. Dazu bedarf es bei voll automatisierter Überwachung  eines Frontfotos, das die Person hinter dem Steuer identifizierbar macht.  Die Einführung von Section-Control in Deutschland würde daher die Abkehr von unserem Rechtsverständnis voraussetzen, dass nur derjenige bestraft werden darf, der eine Tat begangen hat. Das kann niemand ernsthaft wollen.
Selbst dann, wenn man  das System für den Einsatz in Deutschland mit einer Fotofunktion ausstatten würde, wäre immer noch nicht zweifelsfrei aufzuklären, ob nicht irgendwo im Streckenabschnitt im Zeitpunkt des Verstoßes ein anderer Fahrzeuginsasse das Steuer übernommen hatte. 
  
Fazit: Die Erhöhung der Verkehrssicherheit ist ohne Zweifel wünschenswert. Doch kein Ziel kann so hehr sein, seinetwegen die strikte Beachtung rechtsstaatlicher Prinzipien beiseite zu schieben.
 
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Der Verfasser,  Christian Demuth  ist Rechtsanwalt mit Kanzleisitz in Düsseldorf, der auf den Bereich Verkehrs- und Bußgeldrecht spezialisiert ist.