Beratungsvertrag: Der Bundesgerichtshof entscheidet zugunsten der Anleger hinsichtlich der Prüfungspflicht eines Prospektes und der diesbezüglichen Verjährungsfrage

Schaden, Versicherung und Haftpflicht
16.08.2010906 Mal gelesen
Anleger Emissionsprospekt Prüfungspflicht Verjährung
 
 
Dem Bundesgerichtshof lag ein Verfahren des Landgerichts Potsdam und des Oberlandesgerichts Brandenburg zugrunde: Der dortige Kläger hat im Jahr 2001 einen Fondsanteil gezeichnet und für die Finanzierung desselben einen Kredit aufgenommen. In den ersten Jahren schüttete der Fonds noch aus, im Jahr 2004 stellte der Fonds seine Zahlungen ein, der Fonds geriet ab dem Jahr 2004 in die Schieflage.
 
Der Kläger hat mit seiner Klage Schadensersatzansprüche geltend gemacht und diese damit begründet, dass der Anlageberater ihn nicht zutreffend über die Risiken des Fonds aufgeklärt habe. In dem Verfahren war streitig, wann der Fondsprospekt übergeben wurde, zumindest bei der Unterzeichnung des Beitrittscheines lag der Prospekt dem Kläger vor. Die Beklagten beriefen sich darauf, dass der Kläger den Prospekt mit allen Risikohinweisen im Jahr 2001 hätte lesen und sich innerhalb der Widerrufsfrist von seinem Beitritt hätte lösen können. Aufgrund der unterbliebenen Durchsicht des Emissionsprospektes habe der Kläger grob fahrlässig gehandelt, weshalb die dreijährige Verjährungsfrist (§ 199 BGB) greife und die Klage verjährt sei.
 
Das Landgericht Potsdam und das Oberlandesgericht Brandenburg wiesen die Klage mit der Begründung ab, dass die Risiken der Beteiligung im Fondsprospekt beschrieben seien und dem Kläger aufgrund der mangelnden Lektüre des Prospektes eine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei. Die Richter der I. und II. Instanz sahen die Ansprüche des Klägers aufgrund der unterbliebenen Durchsicht des Prospektes im Jahr 2001 als verjährt an.
 
Der Bundesgerichtshof teilt die Auffassung des Oberlandesgerichts nicht und hat den Rechtstreit zurückverwiesen. Der Bundesgerichtshof führt in seiner Entscheidung vom 22.07.2010, II ZR 99/09, aus, dass einem Anleger keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei, wenn dieser den Emissionsprospekt nicht innerhalb der Widerrufsfrist zur Kenntnis nehme; dies gelte auch bei kreditfinanzierten Kapitalanlagen.
 
Der BGH hat bereits mit Urteil vom 08. Juli 2010, III ZR 249/09, entschieden, dass es auch in verjährungsrechtlicher Hinsicht keine grobe Fahrlässigkeit eines Anlegers darstelle, wenn sich dieser auf die mündliche Darstellung des Anlagevermittlers verlässt und die mündlich erteilten Auskünfte des Anlagevermittlers nicht anhand eines ihm übergebenen Emissionsprospekts überprüft.

In dem Urteil vom 22. Juli 2010, III ZR 99/09, hat der Bundesgerichtshof diese Rechtsprechung bestätigt und weiter ausgearbeitet. Der Bundesgerichtshof stellt in der Entscheidung vom 22. Juli 2010 fest, dass der Anleger auch nicht innerhalb laufender Widerrufsfristen dazu verpflichtet sei, die mündliche Beratung anhand des Emissionsprospektes nachzuprüfen. Nach dem Bundesgerichtshof dient eine Widerrufsbelehrung dazu, den Anleger in die Lage zu versetzen, gegebenenfalls andere Angebote zu prüfen und die Zweckmäßigkeit seiner Anlageentscheidung zu überdenken. Dies führt aber allenfalls zu einer leicht gesteigerten Obliegenheit, den Prospekt auf Risiken zu prüfen, deren Verletzung aber nicht als grob fahrlässig einzustufen sei. Sofern ein Anleger eine Beteiligung mittels Fremdkapital finanziere, führt nach dem Bundesgerichtshof zwar dazu, dass ein solcher Anleger zu größerer Vorsicht Anlass hat als ein "liquider" Anleger, dies bedeute aber nicht, dass die unterbliebene Durchsicht des Emissionsprospektes als grob fahrlässig zu qualifizieren sei.

Die beiden Juli-Entscheidungen des Bundesgerichtshofs stellen klar, dass ein Anleger nicht dazu verpflichtet ist, im Interesse des Beraters möglichst frühzeitig für einen Beginn der Verjährung zu sorgen, sondern sich in erster Linie auf die ihm zuteil gewordene Beratung verlassen darf, die auch Grundlage seiner Anlageentscheidung war. .

Der Bundesgerichtshof schiebt die "grundsätzliche" Annahme vieler Gerichte, dass Schadensersatzansprüche aufgrund einer fehlerhaften Anlageberatung verjährt seien, nur weil der Anleger die mündliche Darstellung von Anlageberatern / Anlagevermittlern nicht anhand des Prospektes kontrolliert und in seinem Zeichnungsscheinen eine Bestätigung über die Kenntnisnahme des Prospektinhalts / der Risiken unterzeichnet hat, einen Riegel vor. Die Verjährungseinrede vieler Vermittler, Berater und Finanzdienstleister dürfte in zukünftigen Verfahren sorgfältig zu prüfen sein, wobei der Bundesgerichtshof die Position des Anlegers erheblich gestärkt hat. Eine fachgerechte Prüfung etwaiger Ansprüche kann sich also noch lohnen.