Wussow - Informationen zum Versicherungs- und Haftpflichtrecht (Bsp. eines Beitrags aus dem Bereich Zivilprozeßrecht)

Schaden, Versicherung und Haftpflicht
13.07.2011723 Mal gelesen
Umfang der zulässigen Ermittlungspflicht eines gerichtlichen Sachverständigen Körperliche Untersuchung durch einen medizinischen Sachverständigen (§ 407 a ZPO)

Grundlagen  

Der Sachverständige darf die Parteien und Zeugen über wesentliche Streitpunkte grundsätzlich nicht selbständig vernehmen. Zulässig ist es jedoch, wenn z. B. ein medizinischer Sachverständiger den Probanden, auch wenn dieser Partei ist, Fragen wegen derjenigen Erscheinungen stellt, die der Proband dem fraglichen Ereignis zuschreibt (Baumbach/Lauterbach, ZPO, 68. Aufl. 2010, § 407 a ZPO, Rdnr. 11). Grundsätzlich hat sich ein Sachverständiger bei seiner Begutachtung auf Tatsachen zu stützen, welche er auch, soweit sie für die Beurteilung maßgeblich sind, ermitteln kann (OLG Köln, VersR 1994, 611). Ein medizinischer Sachverständiger darf bei seiner Ermittlungstätigkeit auch die ihm übergebenen Unterlagen und Schriftstücke, z. B. fremde Röntgenaufnahmen auswerten und in seine Begutachtung einfließen lassen. Genügen dem im Rechtsstreit bestellten medizinischen Sachverständigen derartige Unterlagen, um seine Begutachtung vornehmen zu können, kann der Sachverständige auch auf eine eigene Untersuchung des Patienten verzichten (OLG Hamm, VersR 1997, 1533).

 Aktuelles

Das OLG Frankfurt am Main hat in einem Beschluß vom 01.07.2010 (AZ 7 U 102/09) festgestellt, daß eine körperliche Untersuchung des Klägers durch den gerichtlichen Sachverständigen dann nicht erforderlich ist, wenn der gerichtliche Sachverständige über 3 Jahre nach dem Unfall mit der Begutachtung verbliebener Unfallfolgen für die Bewertung einer unfallbedingten Invalidität in der privaten Unfallversicherung beauftragt wurde, der VN zwischenzeitlich zweimal im Bereich der Unfallverletzung an der Schulter operiert wurde und eine ganze Reihe bildgebender und intraoperativer Befunde vorlagen, welche der Sachverständige auswerten konnte.

 

Der Senat weist darauf hin, es sei unerheblich, daß der von einer Partei beauftragte Privatsachverständige umfangreiche Untersuchungen und Recherchen durchgeführt hat, da sich aus den Äußerungen des Privatsachverständigen nicht ergibt, daß er trotz dieser eigenen Untersuchungen von anderen Befunden als der gerichtliche Sachverständige ausgegangen ist.

 

Schlußbetrachtung

Aus den Ausführungen des Senats (aaO) folgt im Umkehrschluß, daß unter Berücksichtigung des jeweiligen Einzelfalles der gerichtliche Sachverständige sich dann nicht auf eine bloße Auswertung der bereits vorliegenden schriftlichen und/oder bildgebenden Befunde als Grundlage für seine Begutachtung beschränken kann, er vielmehr eine eigene körperliche Untersuchung des Probanden durchzuführen hat, wenn ein von einer Partei beauftragter privater Sachverständiger aufgrund eigener körperlicher Untersuchung des Probanden zu einem anderen Ergebnis gelangt wie der gerichtliche Sachverständige und die durch den Privatsachverständigen aufgrund seiner eigenen Untersuchung des VN vorliegenden schriftlichen und/oder bildgebenden Befunde nicht allein ausreichen, um zu einem plausiblen, nachvollziehbaren und zweifelsfreien Ergebnis der gerichtlichen Sachverständigenbegutachtung zu gelangen.