Einstehen für Pflichtverletzungen des angestellten Arztes in seinem MVZ durch das Versorgungszentrum

Gesundheit Arzthaftung
24.04.20102526 Mal gelesen
Verstößt ein Arzt, der in einem medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) angestellt ist, gegen seine Berufspflichten gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung, kommen zwei mögliche Gegner in Betracht: einmal er selbst und einmal das MVZ. Gegen wen richten sich mögliche Ansprüche? Wessen Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung wäre ggfls. zu entziehen?
 
Für Rechtsverstöße aus das MVZ betreffenden Pflichtenkreisen (Abrechnung, Wirtschaftlichkeitsprüfung) hat ausschließlich dieses ? und nicht etwa nur nachrangig nach den pflichtwidrig handelnden Ärzten ? einzustehen. Andernfalls wäre das MVZ durch die Benennung eines ärztlichen Leiters von den die Abrechnung betreffenden Pflichten gegenüber der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung frei geworden, jedenfalls, wenn das MVZ ihn als "verantwortlich für die korrekte Leistungserbringung und -abrechnung der im MVZ tätigen Ärzte unter Zugrundelegung der individuellen fachlichen Voraussetzungen und persönlichen Leistungserbringung bei Beachtung der einzuhaltenden Qualitätsanforderungen" stellt. Soweit MVZ nach der Legaldefinition (§ 95 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V -) ärztlich geleitet sein müssen, ist damit zwar noch nichts über die konkreten Rechte und Pflichten des ärztlichen Leiters ausgesagt. Mit dem Erfordernis ärztlicher Leitung, das das SGB V für zahlreiche Einrichtungen auf medizinischem Gebiet vorsieht (allgemein in § 95 Abs. 1 Satz 1 SGB V, im Besonderen in § 118 Abs. 2 Satz 1 , § 119 Abs. 1 Satz 1, § 119a Abs. 1 Satz 1 SGB V) weist das Gesetz dessen Inhaber weit reichende Pflichten zu: der ärztliche Leiter trägt die Verantwortung für sämtliche medizinischen Fragen. Hierzu zählt auch der Bereich der Abrechnung ärztlicher Leistungen. § 95 Abs. 1 Satz 2 SGB V nimmt insoweit auch auf das dem Landesrecht zugehörige ärztliche Berufsrecht Rücksicht, welches z.B. in § 2 Abs. 4 der Berufsordnung der Ärztekammer Berlin (BO-ÄKB) Weisungen von Nicht-Ärzten bei ärztlichen Entscheidungen verbietet. Die Verantwortung des ärztlichen Leiters  "für die korrekte Leistungserbringung und -abrechnung der im MVZ tätigen Ärzte unter Zugrundelegung der individuellen fachlichen Voraussetzungen und persönlichen Leistungserbringung bei Beachtung der einzuhaltenden Qualitätsanforderungen" ist nur eine in der MVZ-internen Organisation. Eine solche auch im Außenverhältnis gegenüber der KV unter Ausschluss der Verantwortlichkeit des MVZ als Rechtsträger und Zulassungsinhaber, ist dem Zulassungsbescheid nicht zu entnehmen. Eine so gestaltete rechtliche Konstruktion - das Auseinanderfallen von Zulassungsinhaberschaft und Verantwortlichkeit im Außenverhältnis - würde nicht nur im Vertragsarztrecht, sondern im gesamten (Sozial-)Verwaltungsrecht eine solche Besonderheit darstellen, dass es einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedurft hätte. Eine von den Zulassungsgremien dennoch ausgesprochene Haftungsfreistellung des MVZ wäre unzulässig. Die von der Kassenärztlichen Vereinigung gezogene Parallele zur (allein prozessrechtlich wirkenden) Haftungsbefreiung in Rechtsanwaltskanzleien nach § 85 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) verbietet sich bereits deswegen, weil eine entsprechende Norm im Vertragsarztrecht nicht existiert Doch selbst wenn der Zulassungsausschuss eine Übertragung von Verantwortung mit befreiender Wirkung zugunsten des MVZ entgegen den gesetzlichen Bestimmungen hätte regeln wollen, hätte sie zu ihrem Wirksamwerden wegen der rechtlichen Belastungen, die für den ärztlichen Leiter damit einhergehen, diesem nach § 37 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) bekannt gegeben werden müssen. Eine Bekanntgabe an den damaligen ärztlichen Leiter, d.h. eine willentliche, nicht nur zufällig über das MVZ herbeigeführte Kenntnisverschaffung ist aber nicht ersichtlich.
 
Die Zulassungsentziehung müsste auch verhältnismäßig sein. Insbesondere wäre sie erforderlich, wenn weder das SGB V noch die Zulassungsverordnung-Ärzte den Zulassungsgremien ein milderes Mittel zur Verfügung stellen.
In welchem Verhältnis die Entziehung der einem MVZ erteilten Zulassung und der Widerruf einer Anstellungsgenehmigung zueinander stehen, bleibt weiter offen. Es spricht viel dafür, dass bei gröblichen Pflichtverletzungen durch Mitarbeiter eines MVZ primär eine Zulassungsentziehung zu prüfen ist. Denn der Widerruf einer Anstellungsgenehmigung ist weder im SGB V noch in der Zulassungsverordnung-Ärzte (Ärzte-ZV) ausdrücklich vorgesehen. Ob für den Widerruf auf § 47 SGB X zurückgegriffen werden kann, obwohl nach der Rechtsprechung des BSG die Vorschriften des SGB V und des ihm nachgeordneten Rechts wegen § 37 Satz 1 SGB I die Regelungen des SGB X verdrängen, bedarf an dieser Stelle keiner abschließenden Entscheidung. Ein Bedürfnis, anstelle einer Zulassungsentziehung gegenüber dem MVZ nur einen Widerruf der Anstellungsgenehmigung - auch unter dem Blickwinkel des milderen Mittels - vorzunehmen, ist allenfalls dann denkbar, wenn die zum Widerruf berechtigenden Umstände ausschließlich in der Person des angestellten Arztes auftreten und vom MVZ in keiner Weise zu beeinflussen sind (z.B. Verlust der Approbation, Diebstahl zu Lasten der Versicherten während des Bereitschaftsdienstes). Der Widerruf der Anstellungsgenehmigung einzelner Ärzte geht deshalb der Zulassungsentziehung gegenüber dem MVZ grundsätzlich auch dann nicht vor, wenn nur Pflichtverletzungen einzelner Ärzte feststellbar sind. Selbst wenn man dieser strengen Auffassung nicht folgte, käme ein Widerruf der Anstellungsgenehmigung für den ärztlichen Leiter jedenfalls nur dann als milderes Mittel in Betracht, wenn die zur Zulassungsentziehung führenden Pflichtverstöße allein auf den ärztlichen Leiter zurückzuführen wären.