Behindertentestament - keine Sittenwidrigkeit auch bei großem Vermögen

26.10.201899 Mal gelesen
Mit einem Behindertentestament stellen Eltern von behinderten Kindern sicher, dass die Kinder das elterliche Vermögen von Todes wegen erhalten, ohne dass ihr Anspruch auf Sozialhilfeleistungen darurch gefährdet wird.

I. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs

Der Bundesgerichtshof (BGH) musste sich erstmals im Jahr 1990 mit der Frage auseinandersetzen, ob derartige testamentarische Gestaltungen sittenwidrig und damit unwirksam sind, weil sie im Ergebnis die Allgemeinheit belasten. Der BGH stellte fest, dass ein Behindertentestament grundsätzlich nicht sittenwidrig sei, sondern vielmehr Ausdruck der sittlich anzuerkennenden Sorge der Eltern für das Wohl des Kindes über den Tod der Eltern hinaus. An dieser Rechtsprechung hält der BGH seither in zahlreichen Entscheidungen fest. Bei den Sozialhilfeträgern stößt diese Rechtsprechung nicht durchgehend auf Zustimmung. Die von ihnen als anstößig empfundenen Versuche, Nachlasszuwendungen an behinderte Menschen am Fiskus vorbei zu schleusen, veranlassen sie, die Gerichte immer wieder mit Rechtsfragen zu beschäftigen, die auf unterschiedliche Art und Weise im Zusammenhang mit einem Behindertentestament stehen.

Den Entscheidungen des BGH lagen jeweils Fälle zugrunde, in denen die Eltern ein überschaubares Vermögen hinterlassen hatten, das nicht ausreichte, um die Versorgung des behinderten Kindes auf Lebenszeit sicherzustellen. Daher hatte der BGH bisher keine Gelegenheit, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die konkreten Vermögensverhältnisse die grundsätzliche Wirksamkeit eines Behindertentestaments ausnahmsweise in Frage stellen können. Diese Gelegenheit bekam das Oberlandesgericht Hamm (OLG Hamm) im Jahr 2016 (Urt. v. 27. Oktober 2016 - 10 U 13/16, ZEV 2017, 158).

II. Entscheidung des OLG Hamm

In dem entschiedenen Fall belief sich der Wert des hinterlassenen Vermögens auf ca. EUR 7 Mio. und der Erbteil des behinderten 40-jährigen Sohnes der Verstorbenen auf mehr als EUR 960.000,00.

Hätte der Sohn die Erbschaft ausgeschlagen, hätte er Pflichtteilsansprüche i.H.v. mindestens EUR 930.000,00 geltend machen können. Der Sohn lebte in einem Behindertenwohnheim und arbeitete in einer Behindertenwerkstätte. Die monatlichen Kosten für die stationäre Eingliederungshilfe beliefen sich auf ca. EUR 1.800,00. Der Sozialhilfeträger hatte in den der Klage vorausgehenden 12 Jahren Leistungen i.H.v. ca. EUR 106.000,00 erbracht. Er hielt das Testament für sittenwidrig, weil die Höhe der erbrechtlichen Ansprüche des behinderten Sohnes ausreichen würde, um sämtliche anfallenden Kosten für die stationäre Eingliederungshilfe bis zu seinem Lebensende bezahlen zu können.

Letztlich ging es um die Frage, ob auch ein Behindertentestament, das sehr vermögende Leute errichten, wirksam ist.

Das OLG Hamm bestätigte die Rechtsprechung des BGH zur grundsätzlichen Wirksamkeit des Behindertentestaments und stellte klar, dass für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit nicht danach differenziert werden könne, wie groß das dem behinderten Kind hinterlassene Vermögen ist. Der Umstand, dass der Gesetzgeber in Kenntnis der jahrzehntelangen Rechtsprechung zur Zulässigkeit des Behindertentestaments keine spürbaren Sanktionen umgesetzt habe, mache deutlich, dass es sich bei der Tolerierung dieser zulasten der öffentlichen Kassen wirkenden testamentarischen Gestaltung letztlich um eine rechtspolitische Entscheidung handelt, die nicht über das Verdikt der Sittenwidrigkeit ausgehebelt werden könne.

III. Hinweise

Die - rechtskräftige - Entscheidung des OLG Hamm ist zu begrüßen, denn sie verschafft nunmehr auch sehr wohlhabenden Eltern von behinderten Kindern mehr Rechtssicherheit im Rahmen ihrer Testamentsgestaltung.

 

Siegrid Lustig, Fachanwältin für Erbrecht

Schindhelm Rechtsanwaltsgesellschaft, Hannover