Verkehrsrecht, Haftpflicht, Betriebsgefahr: Haftung bei Überschreitung der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h

Autounfall Verkehrsunfall
18.06.20111310 Mal gelesen
Das Überschreiten der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h auf Autobahnen kann auch bei einem unverschuldeten Unfall teuer werden. Freie Fahrt für freie Bürger?

Die Rechtsprechung leitet aus der Nichtbeachtung der Richtgeschwindigkeit zwar keinen Schuldvorwurf ab. Bei der Auslegung des Begriffs des unabwendbaren Ereignisses berücksichtigt sie aber das dieser Empfehlung zugrunde liegende Erfahrungswissen, dass sich durch eine höhere Geschwindigkeit als 130 km/h die Unfallgefahren auf der Autobahn deutlich erhöhen.

Kommt es zu einem Unfall, kann man sich nicht mehr auf das Motto "freie Fahrt für freie Bürger" berufen und wird zur Mithaftung herangezogen, wenn der Unfall bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit vermeidbar gewesen wäre.

Nach einem Urteil des OLG Nürnberg vom 09.09.2010, Aktenzeichen: 13 U 712/10 kann ein Autofahrer sich nicht auf die Unabwendbarkeit eines Unfalls berufen, wenn er die auf der Autobahn geltende Richtgeschwindigkeit von 130 km/h erheblich (hier um 30 km/h) überschritten hat und dabei in einen Unfall verwickelt wird. Die Betriebsgefahr entfällt in einem solchen Fall auch bei einem erheblichen Verschulden des Unfallgegners nicht vollständig. Hätte der Unfall bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit vermieden werden können, rechtfertigt dies eine Mithaftung von 25 Prozent. Dies konnte gutachterlich festgestellt werden, nachdem der Unfallgegner und spätere Kläger unachtsam auf die Autobahn aufgefahren war.

Das gewichtige Verschulden auf Klägerseite ließe die Haftung der Beklagten aus Betriebsgefahr nicht vollständig zurücktreten, wenn diese durch eine erhebliche Überschreitung der Richtgeschwindigkeit deutlich erhöht sei. Auch massives Verschulden eines Unfallgegners führe nicht zu einem "Freibrief", zur Nachtzeit mit einem erheblich über der Richtgeschwindigkeit liegenden Tempo auf der Autobahn zu fahren und bei einem dann erfolgten Unfall jede Haftung von sich zu weisen, so die Richter in Ihrer Entscheidung.

Das OLG Hamm hat in seinem Urteil vom 08.09.1999, Az.: 13 U 35/99, bei einer Überschreitung von bereits 20 km/h festgestellt: Hat ein schuldlos an einem Verkehrsunfall beteiligter Autofahrer die Autobahn-Richtgeschwindigkeit deutlich (hier um 20 km/h) überschritten und kann er nicht beweisen, daß der Unfall auch bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h nicht hätte vermieden werden können, so mindert sich ein Ersatzanspruch aufgrund der Betriebsgefahr seines Fahrzeuges um 25 %.

Nach BGH Urteil vom 17.03.1992, Aktenzeichen: VI ZR 62/91 kann sich ein Autofahrer, der die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h überschritten hat, auf die Unabwendbarkeit eines Unfalls regelmäßig nicht berufen, es sei denn, er weist nach, dass der Unfall für ihn auch bei einer Geschwindigkeit von 130 km/h nicht zu vermeiden war und es somit auch bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit zu dem Unfall mit vergleichbar schweren Folgen gekommen wäre.

Der schuldlose Autofahrer trägt demnach allein aufgrund der Überschreitung der Autobahn-Richtgeschwindigkeit im deutlichen Umfang bereits einen erheblichen Mithaftungsanteil und befindet sich selbst in der Beweispflicht.

Diese Überschreitung im Bereich von 20 bis 30 km/h als "deutlich" oder "erheblich" zu bezeichnen, mutet jedoch bei dem technischen Stand der heutigen Fahrzeuge befremdlich an. Solche Geschwindigkeitsdifferenzen sind u.U. kaum bemerkbar und mittlerweile erreicht fast jeder durchschnittlich motorisierte Kompaktwagen 200 km/h.

Diese Rechtsprechungsgrundsätze sind insbesondere zu beachten bei typischen Situationen wie nächtlichem Fahrten, bei Einscheren von Kraftfahrern auf die Autobahn und dem beliebten sofortigen Spurwechsel zum Überholen z.B. eines LKW und auch beim Herannahen an LKW oder langsamere Fahrzeuge, hinter denen sich andere Kraftfahrer mit möglicher Überholabsicht befinden.

Faktisch wird durch die Rechtsprechung somit ein Tempolimit festgelegt, da allein eine an sich erlaubte Geschwindigkeitsdifferenz sanktioniert wird, die naturgemäß immer die Betriebsgefahr erhöht.

Rechtsanwalt Holger Hesterberg

Bundesweite Tätigkeit. Mitgliedschaft im DAV.

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