Dos und Don’ts beim Aufhebungsvertrag - Teil 1

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25.02.202266 Mal gelesen
Aktuelle Rechtsprechung zum Gebot fairen Verhandelns: Dos und Don’ts beim Aufhebungsvertrag - Teil 1

Bekanntlich hat das BAG bereits im Jahr 2019 entschieden, dass ein Aufhebungsvertrag unwirksam ist, wenn er unter Missachtung des Gebots fairen Verhandelns zustande gekommen ist (BAG, Urteil vom 7.2.2019, 6 AZR 75/18). Dieser Beitrag skizziert den Inhalt dieses Gebots, die Folge bei einem Verstoß sowie die hierzu ergangene Rechtsprechung und zeigt dabei auf, welche Handlungsweisen von Arbeitgebern risikobehaftet sind. Dabei wird auch auf das jüngste Urteil des BAG hierzu eingegangen (BAG, Urteil vom 24.2.2022, 6 AZR 333/21, Pressemitteilung Nr. 8/22).

Gebot fairen Verhandelns: kein Novum

Das Gebot fairen Verhandelns beim Aufhebungsvertrag ist kein Novum. Das BAG hatte es bereits in früheren Entscheidungen - wenn auch nur knapp - angesprochen (BAG, Urteil vom 27.11.2003, 2 AZR 135/03; BAG, Urteil vom 22.4.2004, 2 AZR 281/03; BAG, Urteil vom 3.6.2004, 2 AZR 427/03; vgl. auch BAG, Urteil vom 15.3.2005, 9 AZR 502/03 zu einem Schuldversprechen; siehe auch LAG Hamm, Urteil vom 9.6.2011, 15 Sa 410/11):

"Der allgemeinen Gefahr einer möglichen Überrumpelung des Arbeitnehmers, z.B. weil die Vertragsverhandlungen zu ungewöhnlichen Zeiten oder an ungewöhnlichen Orten im Betrieb stattfinden (siehe auch § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB), kann allein über Informationspflichten und das Gebot fairen Verhandelns begegnet werden."

In den Fällen hatte das BAG keine Anhaltspunkte für ein unfaires Verhandeln gesehen, so dass es nicht weiter auf Einzelheiten eingehen musste. Dies hat sich durch die Entscheidung des BAG aus dem Jahr 2019 geändert, so dass das Gebot fairen Verhandelns nunmehr stärker ins Bewusstsein gerückt ist.

Inhalt des Gebots und Folge eines Verstoßes

Das Gebot fairen Verhandelns hat ausweislich des BAG (Urteil vom 7.2.2019, 6 AZR 75/18) folgenden Inhalt:

  • Es handelt sich um eine Nebenpflicht nach § 241 Abs. 2 BGB, wonach jeder Teil zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichtet ist. Bei Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags kann eine Seite hiergegen verstoßen, wenn sie eine Verhandlungssituation herbeiführt oder ausnutzt, die eine unfaire Behandlung des Vertragspartners darstellt. Das Gebot fairen Verhandelns wird missachtet, wenn die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners in zu missbilligender Weise beeinflusst wird. Wichtig: Das Gebot fairen Verhandelns bezieht sich nicht auf den Inhalt des Vertragssondern auf den Weg zum Vertragsschluss.
  • Es geht dabei nicht um ein Erfordernis der Schaffung einer für den Vertragspartner besonders angenehmen Verhandlungssituation, sondern um das Gebot eines Mindestmaßes an Fairness im Vorfeld des Vertragsschlusses. Eine rechtlich zu missbilligende Einschränkung der Entscheidungsfreiheit ist noch nicht gegeben, nur weil der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit noch ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht einräumt, noch das Unterbreiten einer Aufhebungsvereinbarung ankündigt (so bereits BAG, Urteil vom 30.9.1993, 2 AZR 268/93; BAG, Urteil vom 14.2.1996, 2 AZR 234/95).
  • Eine Verhandlungssituation ist vielmehr erst dann als unfair zu bewerten, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wird, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwert oder sogar unmöglich macht. Dies kann je nach den konkreten Umständen der Fall sein bei
    • Schaffung besonders unangenehmer Rahmenbedingungen, die erheblich ablenken oder sogar den Fluchtinstinkt wecken,
    • bei Ausnutzung einer objektiv erkennbaren körperlichen oder psychischen Schwäche oder unzureichender Sprachkenntnisse,
    • bei Nutzung eines Überraschungsmoments, da dieses ebenfalls die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners beeinträchtigen kann (Überrumpelung).
  • Letztlich ist die konkrete Situation im jeweiligen Einzelfall zu bewerten und von einer bloßen Vertragsreue abzugrenzen.
  • Die Beweislast für einen Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns und die Ursächlichkeit dieses Verstoßes für den Abschluss des Aufhebungsvertrags trägt derjenige, der sich auf eine Verletzung beruft. Aber: Im Regelfall kann davon ausgegangen werden, dass ein Arbeitnehmer ohne die unfaire Behandlung seine Eigeninteressen in vernünftiger Weise gewahrt und den Aufhebungsvertrag nicht abgeschlossen hätte (= Vermutung für Ursächlichkeit des Verstoßes).

Die Folge eines Verstoßes gegen das Gebot fairen Verhandelns ist laut BAG, dass der unfair behandelte Vertragspartner einen Schadensersatzanspruch hat, in dessen Folge er im Ergebnis so zu stellen ist, als hätte er den Aufhebungsvertrag nicht geschlossen. Die Rechtswirkungen des Aufhebungsvertrages entfallen unmittelbar. Ergo: Der Aufhebungsvertrag ist unwirksam. Dies führt zu einer Fortsetzung des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses zu unveränderten Bedingungen.

Über den der Entscheidung aus dem Jahr 2019 zugrundeliegenden Fall konnte das BAG mangels hinreichender tatsächlicher Feststellungen nicht abschließend entscheiden, jedoch ausgeführt, wann ein Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns gegeben sein würde:

  • Wenn die Arbeitnehmerin zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags unangekündigt (was streitig war) in ihrer Wohnung aufgesucht worden ist, könnte allein dies einer Überrumpelung gleichkommen.
  • Das Gebot fairen Verhandelns wäre zudem schon für sich genommen - aber erst recht in Verbindung mit einer Überrumpelung - verletzt, wenn sich die Arbeitnehmerin bei den Vertragsverhandlungen erkennbar in einem körperlich geschwächten Zustand befunden (erkrankt) und der Arbeitgeber(vertreter) diese Situation ausgenutzt hätte (auch dies war streitig). Dies würde umso mehr gelten, wenn keine triftigen Gründe für Verhandlungen noch während der Erkrankung der Arbeitnehmerin vorgelegen haben sollten.

 

- Fortsetzung des Fachartikels in Teil 2 und Teil 3 -