§ 35a SGB VIII - Eingliederungshilfe - Typische Probleme des Verwaltungsverfahrens

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03.10.20106603 Mal gelesen
Die Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII gehört zu den schwierigsten und auch umstrittenen Fragen des Jugendhilferechts. Unter den Begriff Eingliederungshilfe fallen die unterschiedlichsten Leistungen und Maßnahmen: Z.B. Legasthenie- oder Dyskalkulietherapien, sog. Schulhelfer (auch Integrationshelfer oder Schulbegleiter genannt), ebenso stationäre Maßnahmen in Form der Heimunterbringung. Der gesetzliche Wortlaut scheint eindeutig zu sein, der Teufel steckt jedoch im Detail.

Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn

  1. ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und
  2. daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.

Zur Feststellung, ob die seelische Gesundheit im o.g. Sinne von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht, muss der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Stellungnahme

  1. eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie,
  2. eines Kinder- und Jugendpsychotherapeuten oder
  3. eines Arztes oder eines psychologischen Psychotherapeuten, der über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen verfügt,

einholen. Diese Stellungnahme ist auf der Grundlage der Internationalen Klassifikation der Krankheiten in der vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information herausgegebenen deutschen Fassung zu erstellen. Dabei ist auch darzulegen, ob die Abweichung Krankheitswert hat oder auf einer Krankheit beruht.

Das bedeutet, dass in medizinischer Hinsicht immer eine ärztliche oder fachpsychologische Stellungnahme einzuholen ist. Verantwortlich hierfür ist das Jugendamt. Mitunter ist zu beobachten, dass bereits diese Feststellung unterlassen wird und ein Gutachten nicht in Auftrag gegeben wird.

Auch die ärztliche Stellungnahme muss besonderen Anforderungen genügen: Der Arzt muss sich in seiner Stellungnahme auf die sog. ICD-10 Klassifizierung beziehen. Sie ist das wichtigste, weltweit anerkannte Diagnoseklassifikationssystem der Medizin. Es wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegeben und ist im Internet unter http://www.dimdi.de/static/de/klassi/diagnosen/icd10/ls-icdhtml.htm veröffentlicht. Genügt das ärztliche Gutachten diesen Anforderungen nicht, wird es schwer, einen Anspruch auf Eingliederungshilfe vor Gericht zu begründen (OVG NRW, 12.11.2007, 12 A 673/06)

Auch wenn der begutachtende Arzt nicht dem im Gesetz genannten Qualifikationen genügt (OVG NRW, 02.03.2010, 12 B 105/10), kann ein Anspruch nicht mit Aussicht auf Erfolg gerichtlich verfolgt werden.

Zu streitigen Auseinandersetzungen führt auch immer wieder die Frage, wer zur Beurteilung der Teilhabebeeinträchtigung berufen ist. Nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte fällt diese Entscheidung in die Kompetenz des Jugendamtes, nicht des Arztes. Die ärztliche Stellungnahme kann aber Hinweise geben, die das Jugendamt berücksichtigen muss. Die Jugendämter berufen sich mitunter darauf, dass ihre Kompetenz "unantastbar" ist, also auch gerichtlich nicht überprüft werden kann. Dies ist so nicht zutreffend: Der Begriff der Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ist ein unbestimmter Rechtsbegriff und unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle (OVG NRW, 29.05.2008, 12 A 3841/06, ebenso OVG Nds. 25.03.2010, 4 LA 43/09).

Ein weiteres "Dauerthema" taucht im Zusammenhang mit Schulhelfern auf. Jugendhilfe ist gegenüber anderen Hilfearten subsidiär, d.h. sie ist nicht zu bewilligen, soweit bestimmte andere Hilfearten in Betracht kommen. Das Gesetz formuliert es so. " Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen und der Schulen, werden durch dieses Buch nicht berührt" (§ 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII). Jugendämter lehnen die Bewilligung von Schulhelfern ab und verweisen auf sonderpädagogischen Förderbedarf und die Zuständigkeit der Förderschulen. Ein solches Vorgehen ist zumindest dann rechtswidrig, wenn das Recht, ein Verfahren zur Feststellung des Sonderpädagogischen Förderbedarfs einzuleiten, bei den Eltern oder der Schule liegt und beide Seiten davon keinen Gebrauch machen, sondern die weiterhin die Regelschule für geeignet halten.

Betroffenen Eltern ist anzuraten, sich vor Antragstellung mit den Einzelheiten des Verfahrens vertraut zu machen und aktiv auf eine ordnungsgemäße Verfahrensgestaltung hinzuwirken.

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