Bundesarbeitsgericht: In der Regel kein Verschulden bei langjähriger Alkoholabhängigkeit

Bundesarbeitsgericht:  In der Regel kein Verschulden bei langjähriger Alkoholabhängigkeit
19.03.2015139 Mal gelesen
Wird ein Arbeitnehmer infolge seiner Alkoholabhängigkeit arbeitsunfähig krank, fehlt es suchtbedingt auch im Fall eines Rückfalls nach einer Therapie regelmäßig an einem Verschulden im Sinne des Entgeltfortzahlungsrechts.

(( Urteil vom 18.03.2015 - 10 AZR 99/14 ))
 Dies geht aus einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 18.03.2015 hervor. Eine Arbeitsunfähigkeit sei nur dann verschuldet im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG, wenn ein Arbeitnehmer in erheblichem Maße gegen das von einem verständigen Menschen in seinem eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstößt. Nur dann verliere er seinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung (Az.: 10 AZR 99/14).

Arbeitgeberin geht von Verschulden nach mehrfachem stationärem Entzug aus
Die Klägerin ist eine gesetzliche Krankenkasse. Der alkoholabhängige L., der Mitglied der klagenden Krankenkasse ist, war seit 2007 bis zum 30.12.2011 Arbeitnehmer der beklagten Arbeitgeberin. Er wurde am 23.11.2011 mit einer Alkoholvergiftung (4,9 Promille) in ein Krankenhaus eingeliefert und war in der Folge für über zehn Monate arbeitsunfähig erkrankt. Zuvor hatte er zwei stationäre Entzugstherapien durchgeführt. Es kam jedoch immer wieder zu Rückfällen. Die Klägerin leistete an L. für die Zeit vom 29.11.2011 bis zum 30.12.2011 Krankengeld in Höhe von 1.303,36 Euro. Die Klägerin macht in dieser Höhe Ansprüche auf Entgeltfortzahlung aus übergegangenem Recht (§ 115 SGB X) gegenüber der Beklagen geltend. Sie meint, ein Entgeltfortzahlungsanspruch gegen die Beklagte habe bestanden, da es an einem Verschulden des L. für seinen Alkoholkonsum am 23.11.2011 fehle. Die Beklagte ist der Ansicht, ein Verschulden sei bei einem Rückfall nach mehrfachem stationärem Entzug und diesbezüglich erfolgter Aufklärung zu bejahen. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben.

Alkoholabhängigkeit als Krankheit einzustufen

Die Revision der Beklagten hatte vor dem Zehnten Senat des BAG keinen Erfolg. Bei einer Alkoholabhängigkeit handele es sich um eine Krankheit. Werde ein Arbeitnehmer infolge seiner Alkoholabhängigkeit arbeitsunfähig krank, könne nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht von einem Verschulden im Sinne des Entgeltfortzahlungsrechts ausgegangen werden. Die Entstehung der Alkoholsucht sei vielmehr multikausal, wobei sich die unterschiedlichen Ursachen wechselseitig bedingten. Dies gelte im Grundsatz auch bei einem Rückfall nach einer durchgeführten Therapie.

Kein Verschulden nach langjähriger und chronischer Alkoholabhängigkeit
Im Hinblick auf eine Abstinenzrate von 40% bis 50% je nach Studie und Art der Behandlung könne nach einer durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme jedoch ein Verschulden des Arbeitnehmers an einem Rückfall nicht generell ausgeschlossen werden. Der Arbeitgeber könne deshalb in diesem Fall das fehlende Verschulden bestreiten. Das Arbeitsgericht habe dann ein medizinisches Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob der Arbeitnehmer den Rückfall schuldhaft im Sinne des § 3 Abs. 1 EFZG herbeigeführt hat. Lasse sich dies nicht eindeutig feststellen, weil ein Ursachenbündel hierfür vorliege, gehe dies zulasten des Arbeitgebers. Das im konkreten Fall eingeholte sozialmedizinische Gutachten habe ein Verschulden des Arbeitnehmers unter Hinweis auf die langjährige und chronische Alkoholabhängigkeit und den daraus folgenden «Suchtdruck» ausgeschlossen.

RA Sagsöz

bonn-rechtsanwalt.de