Rechtswörterbuch

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Entgeltfortzahlung

 Normen 

EFZG

 Information 

1. Einführung

Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfall.

Arbeitnehmer haben bei einer unverschuldeten Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit durch das Entgeltfortzahlungsgesetz für die Dauer von bis zu sechs Wochen einen Anspruch auf Fortzahlung ihres Arbeitsentgelts.

Kleinbetriebe werden von den Entgeltfortzahlungskosten durch ein bei den Krankenkassen durchgeführtes pflichtiges Umlageverfahren entlastet (Aufwendungsausgleichsgesetz).

2. Voraussetzungen

2.1 Allgemein

Zeitliche Voraussetzung ist, dass das Arbeitsverhältnis mindestens vier Wochen ununterbrochen bestanden hat.

Der Anspruch kann gemäß § 3 EFZG nur geltend gemacht werden, wenn der Arbeitnehmer unverschuldet arbeitsunfähig erkrankt ist. Der Begriff des Verschuldens wird im Gesetz nicht definiert, es erfolgt eine Ausfüllung durch die Gerichte:

Nach der Rechtsprechung hat der Arbeitnehmer seine durch Krankheit bedingte Arbeitsunfähigkeit dann zu vertreten, wenn er gröblich gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstoßen hat. Es kann daher im konkreten Fall nur durch eine Prüfung der Umstände des Einzelfalls entschieden werden, ob der Arbeitnehmer schuldhaft gehandelt hat.

Anhand der bisher in der Rechtsprechung entschiedenen Fälle kann als Richtschnur für ein Verschulden ein grob fahrlässiges Verhalten des Arbeitnehmers angesehen werden. So genügt bei Unfällen im Straßenverkehr eine grob fahrlässige Fahrweise. Bei Sportunfällen ist die Arbeitsunfähigkeit dann verschuldet, wenn es sich um besonders gefährliche Sportarten handelt, wobei selbst Reiten, Drachenfliegen oder Wildwasserkanu noch nicht als gefährliche Sportarten im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes angesehen werden. Ein Verschulden liegt aber bei einer Arbeitsunfähigkeit nach einem Bungeejumping oder Kick-Boxen vor.

Die Beweislast für das Verschulden des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber, d.h. wenn er die Entgeltfortzahlung mit der Begründung verweigert, der Arbeitnehmer habe die Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet, muss er diese Behauptung im Prozess beweisen.

Die Entgeltfortzahlungspflicht bei mehrfachen, kurz aufeinander folgenden Erkrankungen des Arbeitnehmers richtet sich danach, ob es sich um eine Fortsetzungserkrankung oder um eine Wiederholungserkrankung handelt.

2.2 Alkoholabhängigkeit

Auch bei der Alkoholabhängigkeit besteht der Entgeltfortzahlungsanspruch. Wird ein Arbeitnehmer infolge seiner Alkoholabhängigkeit arbeitsunfähig krank, kann nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht von einem Verschulden im Sinne des Entgeltfortzahlungsrechts ausgegangen werden. Die Entstehung der Alkoholsucht ist vielmehr multikausal, wobei sich die unterschiedlichen Ursachen wechselseitig bedingen. Dies gilt im Grundsatz auch bei einem Rückfall nach einer durchgeführten Therapie (BAG 18.03.2015 - 10 AZR 99/14).

2.3 In-vito-Fertilisation

Es war umstritten, ob durch eine In-vitro-Fertilisation verursachte krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit verschuldet ist. Nach der Entscheidung BAG 26.10.2016 - 5 AZR 167/16 ist, ausgehend von der Zielsetzung des Entgeltfortzahlungsgesetzes, wie folgt zu differenzieren:

  • Wird erst durch In-vitro-Fertilisation willentlich und vorhersehbar eine Arbeitsunfähigkeit bedingende Erkrankung herbeigeführt, ist von einem vorsätzlichen Verstoß gegen das Eigeninteresse eines verständigen Menschen, Gesundheit zu erhalten und zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankungen zu vermeiden, auszugehen und ein Entgeltfortzahlungsanspruch wegen Verschuldens ausgeschlossen.

  • Ein Verschulden liegt nicht vor, wenn im Rahmen einer In-vitro-Fertilisation, die nach allgemein anerkannten medizinischen Standards vom Arzt oder auf ärztliche Anordnung vorgenommen wird, eine zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung auftritt, mit deren Eintritt nicht gerechnet werden musste.

  • Verwirklichen sich Krankheitsrisiken, weil die mit der In-vitro-Fertilisation einhergehenden Maßnahmen und Eingriffe - für die Arbeitnehmerin ohne Weiteres erkennbar oder mit ihrem Wissen - nicht nach anerkannten medizinischen Standards vom Arzt oder auf ärztliche Anordnung vorgenommen wurden, ist von einem Verschulden auszugehen.

  • Ab dem Zeitpunkt des Embryonentransfers gelten im Hinblick auf ein Verschulden die gleichen Grundsätze wie bei einer durch natürliche Empfängnis herbeigeführten Schwangerschaft.

3. Inhalt des Anspruchs

Der Entgeltfortzahlungsanspruch beginnt am auf die Arbeitsunfähigkeit folgenden Tag und besteht für genau 42 Tage, d.h. auch wenn der 42. Tag ein Freitag ist, endet der Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung am Freitag. Bereits am Wochenende beginnt sein Anspruch auf das in der Höhe geringere Krankengeld, das von der Krankenkasse ausgezahlt wird.

Die Höhe des zu zahlenden Entgelts richtet sich nach dem Gehalt, das der Arbeitnehmer verdient hätte, wenn er nicht arbeitsunfähig krank geworden wäre. Ausschlaggebend ist die tatsächliche regelmäßige Arbeitszeit, die über einen Vergleichszeitraum von 12 Monaten festzustellen ist.

Für die Entgeltfortzahlung ist maßgeblich, welche Arbeitszeit aufgrund der Arbeitsunfähigkeit ausgefallen ist. Da Gutschriften auf einem Arbeitszeitkonto nur eine andere Form von Entgelt sind, das lediglich nicht (sofort) ausgezahlt, sondern verrechnet wird, sind im Krankheitsfall grundsätzlich auch Zeitgutschriften zu gewähren, unabhängig davon, ob das Arbeitsentgelt verstetigt ausgezahlt wird. Für die Ermittlung der ausgefallenen Arbeitszeit muss aber nicht die individuelle Arbeitszeit maßgeblich sein, es kann vielmehr auch auf die betriebsübliche oder die regelmäßig tarifliche Arbeitszeit abgestellt werden (BAG 16.07.2014 - 10 AZR 242/13).

Für die Frage, ob das Entgelt für eine Rufbereitschaft einzubeziehen ist, hat das BAG in der folgenden Einzelfallentscheidung wie folgt geurteilt:

"Bei der Berechnung der Entgeltfortzahlung für Krankheits- und Urlaubszeiten ist das im Referenzzeitraum erzielte Entgelt für die tatsächliche Inanspruchnahme während einer Rufbereitschaft nach § 22 Satz 2 TV-Ärzte/VKA einzubeziehen" (BAG 06.09.2017 - 5 AZR 429/16). Entscheidend für diese Entscheidung war, dass der Tarifvertrag eine Rechtsfolgenverweisung - und keine Rechtsgrundverweisung - enthält.

Zum Anspruch auf die Einbeziehung von Überstunden/Überstundenzuschlägen siehe den Beitrag "Entgeltfortzahlung - Überstunden".

4. Erneute Erkrankung während der Entgeltfortzahlung

Nach dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls ist der Anspruch auf Entgeltfortzahlung auch dann auf die Dauer von sechs Wochen seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit beschränkt, wenn während bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. In diesem Fall kann der Arbeitnehmer bei entsprechender Dauer der durch beide Erkrankungen verursachten Arbeitsverhinderung die Sechs-Wochen-Frist nur einmal in Anspruch nehmen. Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits in dem Zeitpunkt beendet war, in dem die weitere Erkrankung zu einer erneuten Arbeitsverhinderung führt (BAG 25.05.2016 - 5 AZR 318/15).

Das BAG hat jetzt Stellung genommen zu den maximalen Zeiträumen, die zwischen den beiden Arbeitsunfähigkeiten liegen dürfen (BAG 11.12.2019 - 5 AZR 505/18):

"Ein einheitlicher Verhinderungsfall ist regelmäßig hinreichend indiziert, wenn zwischen einer "ersten" krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und einer dem Arbeitnehmer im Wege der "Erstbescheinigung" attestierten weiteren Arbeitsunfähigkeit ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Hiervon ist auszugehen, wenn die bescheinigten Arbeitsverhinderungen zeitlich entweder unmittelbar aufeinanderfolgen oder zwischen ihnen lediglich ein für den erkrankten Arbeitnehmer arbeitsfreier Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende liegt."

5. Regress gegen den Verursacher der Arbeitsunfähigkeit

Wenn der Arbeitnehmer durch einen Dritten arbeitsunfähig verletzt wurde, kann auch der Arbeitgeber seinen Schaden (Entgeltfortzahlungspflicht und Arbeitgeberanteil der Sozialversicherung) gegen den Schädiger geltend machen. Dabei steht ihm dann gemäß § 6 EFZG ein Schadensersatzanspruch gegen den Dritten zu, nicht jedoch ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 BGB (BGH 14.10.2008 - VI ZR 36/08).

Häufiger Anwendungsfall dieses doch oft von Arbeitgebern übersehenen Anspruchs sind Verkehrsunfälle! Auch die Kosten einer notwendigen Ersatzkraft sind von dem Schädiger zu übernehmen. Die Umlagen zur gesetzlichen Unfallversicherung und zur Lohnfortzahlungsversicherung sowie für Mutterschaftsleistungen sind jedoch nicht erstattungsfähig.

Der Ersatzanspruch umfasst jedoch auch den auf den Zeitraum ihrer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit entfallenden Anteil des Urlaubsentgelts (BGH 13.08.2013 - VI ZR 389/12).

6. Entgeltfortzahlung während ambulanter Kur

Der Anspruch gesetzlich Versicherter auf Entgeltfortzahlung während einer Kur setzt gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EFZG voraus, dass die Behandlung in einer Einrichtung der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation iSd. § 107 Abs. 2 SGB V erfolgt. Entfallen ist das zuvor bestehende Erfordernis, in der Einrichtung auch untergebracht und verpflegt zu werden, d.h. bei Vorliegen der Voraussetzungen besteht der Entgeltfortzahlungsanspruch auch bei ambulanten Maßnahmen der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation (BGH 25.05.2016 - 5 AZR 298/15).

7. Ausschluss durch eine Ausschlussfrist

Das BAG (BAG 20.06.2018 - 5 AZR 377/17) hat zu der Wirksamkeit einer Ausschlussfrist für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung wie folgt Stellung genommen:

"Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall kann in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns einer Ausschlussfrist nicht unterworfen werden."

 Siehe auch 

Arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer

Entgeltfortzahlung - Überstunden

Fortsetzungserkrankung

Im Ausland arbeitsunfähig erkrankter AN

Wiederholungserkrankung

Marburger: Verweigerung der Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber. Regressmöglichkeit der Krankenkasse bei unberechtigter Verweigerung; Neue Wirtschafts-Briefe - NWB 2013, 1831

Marburger: Entgeltfortzahlung bei Rehabilitationsmaßnahmen; Der öffentliche Dienst - DÖD 2016, 12

Marburger: Anspruchskollision nach erfolgter Entgeltfortzahlung. Abgrenzungsregelungen bei zivilrechtlichen Ansprüchen; Neue Wirtschafts-Briefe - NWB 2007, 2221

Vossen: Die Anspruchsvoraussetzungen für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall; Arbeit und Arbeitsrecht - AA 2003, 110