Die mit einem Grad der Behinderung von 80 als Schwerbehinderte anerkannte Arbeitnehmerin ist 46 Jahre alt und bei einer Wohnungsbaugesellschaft seit dem 1. Februar 1992 bei einem Gehalt von 3.200 EUR brutto je Monat als Sachbearbeiterin beschäftigt. Bei dieser Wohnungsbaugesellschaft gibt es eine Richtlinie über die Erfassung der Arbeitszeit, die den Mitarbeitern die selbstständige Erfassung der von ihnen geleisteten Arbeitszeit in einer Excel-Tabelle ermöglicht. Indes ist in der Richtlinie auch vermerkt, dass jedes unrichtige Erfassen von Arbeitsbeginn oder Arbeitsende oder der Pausenzeiten einen Grund für eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses darstelle.
Am Dienstag, dem 31. Mai 2011 trug die Arbeitnehmerin als Arbeitsende 16:00 Uhr ein. Tatsächlich beendete sie ihre Arbeitszeit bereits um 15:30 Uhr. Am Mittwoch, dem 1. Juni 2011 trug sie als Arbeitsende 16:30 Uhr ein. Tatsächlich beendete sie ihre Arbeitszeit bereits um 15:30 Uhr.
Nachdem die Arbeitnehmerin am Donnerstag und Freitag nicht im Dienst war, überprüften Mitarbeiter der Wohnungsbaugenossenschaft daraufhin ab Montag, dem 6. Juni 2011 die Arbeitszeit der Klägerin. Da diese davon ausging, dass sie weitere Abweichungen zwischen den eingetragenen und den tatsächlichen Arbeitszeiten festgestellt habe, fand am 14. Juni 2011 von 10:40 Uhr bis 11:08 Uhr ein Personalgespräch statt, zu dem die Arbeitgeberin ein Protokoll fertigte. An diesem Gespräch nahmen auf Seiten der Arbeitgeberin zwei Vorstandsmitglieder, ein Abteilungsleiter und eine Personalsachbearbeiterin teil. Der Themenkomplex des Gespräches wurde der Sachbearbeiterin zuvor nicht mitgeteilt.
Am Ende war es so, dass der Sachbearbeiterin am 29. Juni 2011 die außerordentliche fristlose Kündigung und am 27. Juli 2011 die hilfsweise ordentliche Kündigung ausgesprochen wurde.
Die Sachbearbeiterin erhob gegen die Kündigungen Kündigungsschutzklage. Diese hatten sowohl vor dem Arbeitsgericht, als auch vor dem Landesarbeitsgericht in vollem Umfange Erfolg.
Der vorsätzliche Verstoß einer Arbeitnehmerin gegen ihre Verpflichtung, die abgeleistete Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, sei "an sich" geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darzustellen. Dies gelte für einen vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare. Der Arbeitgeber müsse auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit der am Gleitzeitmodell teilnehmenden Arbeitnehmer vertrauen können. Überträgt er den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und füllt eine Arbeitnehmerin die dafür zur Verfügung gestellten Tabellen wissentlich und vorsätzlich falsch aus, so stelle dies einen schweren Vertrauensmissbrauch dar.
Bei der Prüfung, ob der Arbeitgeberin eine Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmerin trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse der Arbeitgeberin an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse der Arbeitnehmerin an dessen Fortbestand abzuwägen. Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers. Er gibt keine absoluten Gründe für eine fristlose Kündigung. Es sei immer in jedem Fall konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten.
Da der Sachbearbeiterin zuvor keine Abmahnung erteilt worden sei, ist die außerordentliche Kündigung nicht gerechtfertigt.
Das Gericht führt dann abschließen noch aus, dass die Kündigung auch unter dem Gesichtspunkt einer Verdachtskündigung unwirksam sei. Auch sei die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung ebenfalls unwirksam. Der Prüfungsmaßstab sei insoweit bei der ordentlichen Kündigung nicht anders als bei der außerordentlichen.
(Quelle: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.03.2012; 10 Sa 2272/11
Vorinstanz Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 27.10.2011; 38 Ca 10928/11)
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