EuGH: Keine unbegrenzte Ansammlung von Urlaubsansprüchen bei Krankheit

Arbeit Betrieb
26.11.20111091 Mal gelesen
Vor gar nicht langer Zeit hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass der Urlaubsanspruch eines kranken Arbeitnehmers nicht zum 31. März des Folgejahres verfällt, sondern auch noch danach genommen werden kann. Nun rudert der EuGH zurück. Hintergrund und Konsequenzen im Beitrag.

Die erste einschlägige Entscheidung des EuGH hat zu unhaltbaren Ergebnissen geführt. Viele Arbeitnehmer, die bislang als »Karteileiche« gefürht worden waren, hatten auf einmal ganz erhebliche Urlaubsansprüche, die vom Arbeitgeber entweder zu gewähren oder abzugelten waren. Das summierte sich schnell auf fünfstellige Beträge und zwang Arbeitgeber dazu, wesentlich schneller als bisher krankheitsbedingte Kündigungen auszusprechen - eben um die Ansammlung nicht mehr kalkulierbarer Urlaubsansprüche zu verhindern.

Dem EuGH lag nun ein Fall vor, in dem ein Arbeitnehmer von 2002 bis 2008 krank war und dann ausschied. Er machte nun rückwirkend für einige Jahre die Abgeltung des angesammelten Urlaubs geltend. Der Arbeitgeber berief sich demgegenüber auf eine Klausel im Tarifvertrag, in der es hieß, dass Urlaub, der wegen Krankheit nicht genommen werden konnte, 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres erlischt.

Der EuGH hat entschieden: Diese Klausel ist wirksam. Denn nach langer Arbeitsunfähigkeit brauche der Arbeitnehmer Urlaub nur noch als Freizeit, nicht aber als notwendigen Zeitraum der Erholung von der Arbeit. Gehe es aber nur noch um Freizeitgewährung, sei es nicht notwendig, Urlaubsansprüche dauerhaft ansammeln zu können. Hier sei eine Begrenzung möglich. Nicht jede Begrenzung sei allerdings zulässig. In Ordnung gehe ein Zeitraum, wie er im vorliegenden Tarifvertrag gewählt worden sei, nämlich 15 Monate.

Was folgt aus dem Urteil (vom 22.11.11 - C-214/10) nun für deutsche Arbeitgeber und Arbeitnehmer?

1. Der EuGH hat den Fall noch nicht endgültig entschieden, sondern an die deutschen Gerichte zurückgegeben. Der EuGH hat nur die tarifvertragliche Klausel unter europarechtlichen Gesichtspunkten gewürdigt. Die deutschen Gerichte werden dem aber wahrscheinlich folgen und die Klage (teilweise) abweisen - nämlich für die Zeiträume bis 31.12.2006. (Urlaub aus 2007 verfällt nach der Klausel erst zum 31.3.2009 und hätte daher wegen des Ausscheidens in 2008 ausgezahlt werden müssen.)

2. Der EuGH hat sein altes Urteil nicht aufgehoben. Das neue Urteil lässt nur eine Klausel zu, mit der die Ansammlung von Ansprüchen begrenzt werden kann. Ohne eine solche Klausel bleibt alles beim alten: Urlaubsansprüche kumulieren sich unbegrenzt auf.

3. Für Arbeitgeber empfiehlt sich, darauf hinzuwirken, dass in den nächsten Tarifrunden eine entsprechende Klausel in den für sie gültigen Tarifverträgen aufgenommen wird. Daneben empfiehlt sich eine Anpassung ihrer Arbeitsverträge jedenfalls für die Zukunft. Bestehende Verträge können in der Regel nur mit Zustimmung der Arbeitnehmer geändert werden.

4. Ob die Aufnahme einer solchen arbeitsvertaglichen Klausel hilft, ist allerdings nicht gesichert. Der EuGH hat zunächst nur eine Klausel in einem Tarifvertrag gebilligt. Wer seinen Arbeitsvertrag aber nicht anpasst, hat schon von vorneherein keine Chance, sich auf die Klausel zu berufen.

5. Für Arbeitnehmer besteht kein Handlungsbedarf, solange der Arbeitgeber sich nicht rührt. Arbeitnehmer, die sich mit einem Anpassungswunsch des Arbeitgebers konfrontiert sehen, sollten prüfen, ob sie verpflichtet sind, ihm stattzugeben, und/oder ob es sinnvoll ist, darauf einzugehen. Vielleicht lässt sich eine Gegenleistung »herausholen«.

Autor: Rechtsanwalt Walther Grundstein, Frankfurt