Schon ein kleiner Fehler in der Spesen- oder Fahrtkostenabrechnung wird dann oft zum Anlass für eine Kündigung genommen. Die finanziellen Beweggründe des Arbeitgebers liegen klar auf der Hand: Er will nicht diejenige Abfindung zahlen, die im Falle der Offenbarung der tatsächlichen Kündigungsmotive fällig würde. Mit einem derartigen Fall hatte sich im Jahre 2010 auch das Arbeitsgericht Oberhausen zu beschäftigen: Einem Arbeitnehmer wurden allen Ernstes gekündigt, weil er ohne entsprechende Erlaubnis sein Mobiltelefon an einer verdeckten Stelle des Betriebes aufgeladen hatte. Durch diesen Stromdiebstahl erlitt der Arbeitgeber einen finanzielle Schaden von 0,015 EUR. Das Arbeitsgericht Oberhausen musste diesen Rechtsstreit, der auch überregional für sehr viel Aufsehen sorgte, nicht entscheiden, weil sich der Arbeitgeber im Lauf des Verfahrens vernünftigerweise dazu entschloss, die Kündigung wieder zurückzunehmen. Daraufhin erklärte der klagende Arbeitnehmer den Rechtsstreit für erledigt. Die Entschluss des Arbeitgebers, es nicht auf eine Entscheidung des Rechtsstreits ankommen zu lassen, war sicherlich weise, denn aller Voraussicht nach wäre das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Abmahnung als milderes Saktionsmittel ausgereicht hätte, um dem Arbeitnehmer die Unrechtmäßigkeit seines Verhaltens vor Augen zu führen.
Zwar ist ein zum Nachteil des Arbeitgebers begangenes Vermögensdelikt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts grundsätzlich ein Grund, der für eine außerordentliche Kündigung herangezogen werden kann, wobei die Höhe des erlittenenen Schadens zunächst keine Rolle spielt. Allerdings muss ein mit der Sache befasstes Arbeitsgericht die Umstände des konkreten Einzelfalls immer umfassend würdigen. Ein Arbeitsverhältnis, das jahrzehntelang beanstandungsfrei verlaufen ist, kann in der Regel nicht fristlos gekündigt werden, nur weil der Arbeitnehmer einen Pfennigartikel gestohlen hat. Grundsätzlich gehen die Gericht zunehmend davon aus, dass ein Arbeitgeber im Falle des Diebstahls geringwertiger Sachen zunächst zum Ausspruch einer Abmahnung verpflichtet ist und erst im Wiederholungfall mit einer (fristlosen) Kündigung reagieren darf. Dies entspricht wohl auch dem gesetzlichen Leitbild, denn in § 314 Absatz 2 BGB ist im Zuge der Schuldrechtsreform für Dauerschuldverhältnisse das Erfordernis einer erfolglosen Abmahnung vor jeder Kündigung aus wichtigem Grund festgeschrieben worden. Das Kündigungsschutzrecht wird somit vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht. Eine Abmahnung kommt grundsätzlich dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer selbst die Störung des Arbeitsverhältnisses für die Zukunft beheben kann und die Abmahnung geeignet ist, die vertragsgerechte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu bewirken. Dass im Einzelfall die Abmahnung nicht immer das ausreichende Mittel zur Wahrung der Interessen des Arbeitgebers sein kann und dass es Ausnahmen gibt, in denen wegen der Art und der Auswirkung der Vertragsverletzung das Erfordernis der Abmahnung entfällt, zum Beispiel bei ausgesprochen schwerwiegenden Pflichtverletzungen eines Arbeitnehmers in einer Vertrauensposition, bedeutet noch lange nicht, dass bei vertrauensbelastenden Verhaltensweisen des Arbeitnehmers von vornherein eine Abmahnung für entbehrlich gehalten werden kann. Instruktiv zum Erfordernis einer Abmahnung ist die ausführliche Urteilsbegründung des Arbeitsgerichts Hamburg (Urteil vom 02.10.2000 - 21 Ca 233/00). Zutreffend weist das Arbeitsgericht Hamburg darauf hin, dass die Aufrechterhaltung von belasteten und gestörten Beziehungen im Einzelfall produktiver sein kann als ihr Abbruch. In der lesenswerten Entscheidung heißt es hierzu wörtlich: "Vertrauen ist kein Feststoff, der entweder heil dasteht oder zerbrochen ist. Vertrauen ist eine Haltung, die sich von konkreten Schritten nährt. Besonnene Arbeitgeber wissen, dass sich Vertrauen entwickeln kann und wieder herstellbar ist."
Anhand aktueller Entscheidungen lässt sich zum Glück vieler Arbeitnehmer die begrüßenswerte Tendenz erkennen, dass die Arbeitsgerichte immer höhere Anforderungen an die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung stellen. Ausgangspunkt dieser Rechtsprechungsentwicklung ist unter anderem der Fall "Emmely", in dem einer langjährig beschäftigten Kassiererin einer Supermarktkette vorgeworfen wurde, zwei ihr nicht gehörende Pfandbons im Wert von nur 1,30 EUR eingelöst zu haben. Dieses Kündigungsschutzverfahren erregte bundesweit ein sehr kontroverses Medienecho und rief eine gesellschaftliche Diskussion zu Bagatellkündigungen hervor. Das Bundesarbeitsgericht erklärte die Kündigung bekanntlich für sozial ungerechtfertigt (Urteil vom 10.06.2010 - 2 AZR 541/09) und hat damit bei den Instanzgerichten einen großen Nachahmeffekt ausgelöst.
Diesem Beispiel sind in der Folgezeit eine ganze Reihe von Arbeitsgerichten gefolgt, welche sich ebenfalls mit Bagatellkündigungen zu beschäftigten hatten. So unter anderem auch das Arbeitsgericht Bonn, das die Kündigung eines Betriebsratsvorsitzenden für unwirksam erklärte, der drei Schrauben an einen früheren Arbeitskollegen verschenkt hatte (Beschluss vom 21.10.2010 - 1 BV 47/10). Der Kläger, ein 50-jähriger Betriebsratsvorsitzender ist seit mehr als 30 Jahren bei seinem Arbeitgeber tätig. Er "schenkte" einem früheren Arbeitskollegen drei Schrauben aus der Produktion des Arbeitgebers im Wert von 28 Cent. Durch einen anonymen Brief erfuhr der Arbeitgeber von diesem Vorfall und reagierte unmittelbar durch den Ausspruch einer fristlosen Kündigung. Mit der hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklage hatte sich das Arbeitsgericht Bonn zu befassen, welches in seiner Entscheidung vom 21.10.2010 ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Fall "Emmely" Bezug nahm. Das Arbeitsgericht Bonn erklärte, dass ein zum Nachteil des Arbeitgebers begangenes Vermögensdelikt nach der Rechtsprechung grundsätzlich einen Grund darstelle, der für eine außerordentliche Kündigung herangezogen werden kann, wobei die Höhe des erlittenenen Schadens zunächst keine Rolle spielt. Allerdings seinen auch die konkreten Umstände des Einzelfalls umfassend zu würdigen. Diese Interessenabwägung fiel zu Gunsten des Klägers aus. Vor allem sei die langjährige Betriebszugehörigkeit des Betriebsratsvorsitzenden zu berücksichtigen. Positiv bewertete das Arbeitsgericht auch, dass der ertappte Betriebsratsvorsitzende die Tat nicht geleugnet hat, sondern sein Vergehen sofort glaubhaft bedauerte.
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