Suche

Nutzen Sie die Schnellsuche, um nach den neuesten Urteilen in unserer Datenbank zu suchen!

Bundesverwaltungsgericht
Urt. v. 06.09.1974, Az.: BVerwG I C 17.73

Anwendung und Verhältnismäßigkeit unmittelbaren Zwangs

Bibliographie

Gericht
BVerwG
Datum
06.09.1974
Aktenzeichen
BVerwG I C 17.73
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1974, 14072
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OVG Berlin - 18.10.1972 - AZ: I B 86/71
BVerwG - 15.05.1973 - AZ: BVerwG I B 1.73

Fundstellen

  • BVerwGE 47, 31 - 41
  • BayVBl. 1975, 308
  • DVBl 1974, 846-849 (Volltext mit amtl. LS)
  • DokBer. A 1974, 369
  • DokBer.A 1974, 295
  • DÖV 1975, 661
  • DÖV 1975, 172-174 (Volltext mit amtl. LS)
  • GewArch 1974, 384
  • JArbBl. 1975, 191
  • JR 1975, 168
  • JZ 1974, 754-757 (Volltext mit amtl. LS)
  • JuS 1975, 184
  • MDR 1975, 77-79 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1975, 130-132 (Volltext mit amtl. LS)
  • VerwRspr 26, 580 - 587
  • VerwRspr. 26, 580

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Der verfassungsrechtliche Begriff der "Durchsuchung" stimmt mit dem herkömmlichen Durchsuchungsbegriff inhaltlich überein.

  2. 2.

    Allein das Betreten einer Wohnung ohne Einwilligung des Inhabers und die Anordnung der Polizei, die Wohnung zu verlassen, sind keine Durchsuchungen im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG.

  3. 3.

    Die polizeiliche Generalermächtigung entspricht dem Normierungsgebot des Art. 13 Abs. 3 GG. Ist die polizeirechtliche Ermächtigung zu Eingriffen in die Wohnungsfreiheit nicht auf die Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung beschränkt, ergibt sich diese Einschränkung unmittelbar aus dem Grundgesetz.

  4. 4.

    Eine "dringende Gefahr" im Sinne von Art. 13 Abs. 3 GG liegt vor, wenn ohne das Einschreiten der Polizei- oder Ordnungsbehörde mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein wichtiges Rechtsgut geschädigt würde. Bei der Beurteilung der Gefahrenlage ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten.

Der I. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat
auf die mündliche Verhandlung vom 6. September 1974
durch
den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Zeidler,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heinrich, Dr. Paul und Dörffler sowie
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eckstein
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 18. Oktober 1972 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

1

I.

Nach einer Truppenparade der Alliierten in B. kam es vor der Technischen Universität zu Ausschreitungen, die mehrere Stunden dauerten. Hierbei warfen zahlreiche Personen vom Universitätsgelände aus Steine und andere Gegenstände auf die in der H.straße eingesetzten Polizeibeamten. Die Polizei ging daraufhin auf dem Universitätsgelände, wo sich auch ein dem Kläger zur Nutzung überlassenes Studentenwohnheim befindet, gegen die Störer vor. Da die Polizei vom Dach und von den oberen Stockwerken dieses Heimes aus mit Steinen und Flaschen beworfen wurde, betraten mehrere Beamte von einem anderen Haus aus die Dachterrasse des Wohnheimes. Nachdem nach Darstellung des Beklagten die Aufforderung der Polizei, das Werten von Steinen und Flaschen einzustellen und das Dach und die Dachterrasse zu verlassen, ohne Erfolg geblieben war, drang die Polizei von oben in das Treppenhaus ein, verschaffte sich gegen den Widerstand des Hausmeisters Zugang zum Flur des vierten Obergeschosses, betrat einzelne Zimmer, soweit diese nicht verschlossen waren, und forderte die dort angetroffenen Personen teilweise unter Anwendung unmittelbaren Zwanges auf, sich in den Hof zu begeben. Andere Polizeigruppen drangen gegen den Willen des Hausmeisters von unten in das Studentenwohnheim ein und veranlaßten die meisten Personen im dritten Obergeschoß zum Verlassen des Gebäudes. Danach wurde der größte Teil der aus dem Haus gewiesenen Personen zu einer Polizeidienststelle gebracht, dort fotografiert und am Abend entlassen.

2

Mit der am 16. Juli 1970 beim Verwaltungsgericht erhobenen Klage beantragten der Kläger und dreizehn betroffene Personen, festzustellen, daß die polizeiliche Besetzung des Studentenwohnheims, die vorläufige Festnahme der dreizehn Personen und deren erkennungsdienstliche Behandlung rechtswidrig waren. Nachdem der Beklagte in der mündlichen Verhandlung erklärt hatte, daß diese Personen zu Unrecht festgenommen und fotografiert worden seien, setzte nur noch der Kläger den Rechtsstreit fort. Er beantragte nunmehr,

festzustellen, daß das Eindringen der Polizei in das Studentenwohnheim und die Anordnung der Räumung rechtswidrig waren.

3

Klage und Berufung blieben ohne Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht führte zur Begründung aus: Die zulässige Klage sei unbegründet. Die strittigen Maßnahmen seien durch §§ 14, 21, 41 und 44 Abs. 1 Satz 2 des Polizeiverwaltungsgesetzes - PVG - und §§ 6 Abs. 2 und 12 des Verwaltungs-Vollstreckungsgesetzes gedeckt. Die Polizei habe davon ausgehen können, daß ein Teil derjenigen Personen, die auf die Polizeibeamten in der H.straße Steine und andere Gegenstände geworfen hätten, sich vorübergehend in das Studentenwohnheim zurückgezogen habe, um die strafbaren Handlungen fortzusetzen, sobald die Polizei das Universitätsgelände wieder verlassen hätte. Weitere Störungen hätten nur dadurch verhindert werden können, daß die Polizei das Wohnheim betreten und dessen Räumung angeordnet habe. Die zur Gefahrenabwehr erforderlichen Maßnahmen hätten auch gegen den Kläger getroffen werden dürfen. Wegen der Notwendigkeit des sofortigen Einschreitens hätten die Zwangsmaßnahmen keines voraufgegangenen Verwaltungsaktes bedurft.

4

Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei gewahrt worden. Das Eindringen der Polizei in das Studentenwohnheim und die Räumungsanordnung hätten nicht gegen Art. 13 GG verstoßen. Das Polizeiverwaltungsgesetz enthalte allerdings keine ausdrückliche Ermächtigung der Polizei zur Durchsuchung einer Wohnung. Die Generalermächtigung dieses Gesetzes sei dafür keine verfassungsrechtlich hinreichende Rechtsgrundlage. Jedoch stelle § 16 Abs. 1 des Gesetzes in Verbindung mit Art. 13 GG eine noch ausreichende Ermächtigungsgrundlage für präventivpolizeiliche Wohnungsdurchsuchungen dar.

5

Mit der vom Bundesverwaltungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Feststellungsbegehren weiter. Er wendet sich insbesondere gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, daß nach § 16 Abs. 1 PVG in Verbindung mit Art. 13 Abs. 2 GG die Durchsuchung zulässig gewesen sei.

6

Der Beklagte tritt der Revision entgegen.

7

Der Oberbundesanwalt beteiligt sich am Verfahren. Er vertritt die Auffassung, die polizeiliche Generalermächtigung bilde keine hinreichende Rechtsgrundlage für die Durchsuchung einer Wohnung. Die Polizei habe im vorliegenden Fall aber dann rechtmäßig gehandelt, wenn ihre Maßnahmen gegen den Kläger andere Eingriffe in die Wohnungsfreiheit im Sinne von Art. 13 Abs. 3 GG gewesen sein sollten.

8

II.

Die Revision ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO).

9

1.

Nach der das Urteil tragenden Auffassung des Berufungsgerichts waren die polizeilichen Maßnahmen, deren Rechtswidrigkeit der Kläger feststellen lassen will, nach §§ 14 Abs. 1, 21, 41 und 44 Abs. 1 Satz 2 des Berliner Polizeiverwaltungsgesetzes in der Fassung vom 2. Oktober 1958 (GVBl. S. 961) - PVG - und §§ 6 Abs. 2 und 12 des Verwaltungs-Vollstreckungsgesetzes vom 27. April 1953 (BGBl. I S. 157) - VwVG - rechtmäßig.

10

Nach der Generalermächtigung des § 14 Abs. 1 PVG haben die Polizeibehörden im Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtgemäßem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, um von der Allgemeinheit oder dem einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird. Nach § 44 Abs. 1 Satz 2 PVG steht die unmittelbare Ausführung einer polizeilichen Maßnahme dem Erlaß einer polizeilichen Verfügung gleich. Gemäß § 41 Abs. 1 PVG sind polizeiliche Verfügungen, sofern sie nicht auf Grund einer Verordnung zur Gefahrenabwehr oder eines besonderen Gesetzes erlassen werden, nur gültig, soweit sie zur Beseitigung einer Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung oder zur Abwehr einer im einzelnen Falle bevorstehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung erforderlich sind. Kommen zur Beseitigung einer Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung oder zur wirksamen Abwehr einer polizeilichen Gefahr mehrere Mittel in Frage, so genügt es nach Absatz 2, wenn die Polizeibehörde eines dieser Mittel bestimmt. Dabei ist tunlichst das den Betroffenen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigende Mittel zu wählen. Nach Absatz 3 in Verbindung mit § 31 Abs. 1 und 2 Satz 1 FVG dürfen polizeiliche Verfügungen nicht lediglich den Zweck haben, den Polizeibehörden die ihnen obliegende Aufsicht zu erleichtern, und müssen in ihrem Inhalt bestimmt sein. Zur Beseitigung einer bereits eingetretenen Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung oder zur Abwehr einer unmittelbar bevorstehenden polizeilichen Gefahr dürfen die Polizeibehörden nach § 21 PVG, falls die Beseitigung der Störung oder die Abwehr der Gefahr auf andere Weise nicht möglich ist, Maßnahmen auch gegen Personen treffen, die nach den §§ 18 bis 20 nicht polizeipflichtig sind. Diese Maßnahmen dürfen indessen nur getroffen und aufrechterhalten werden, soweit oder solange die Polizeibehörde nicht andere zur Beseitigung der Gefahr führende Maßnahmen treffen kann. Nach § 6 Abs. 2 VwVG kann der Verwaltungszwang ohne vorausgehenden Verwaltungsakt angewendet werden, wenn der sofortige Vollzug zur Verhinderung strafbarer Handlungen oder zur Abwendung einer drohenden Gefahr notwendig ist und die Behörde hierbei innerhalb ihrer gesetzlichen Befugnisse handelt. Wenn im Einzelfall die Zwangsmittel der Ersatzvornahme oder des Zwangsgeldes nicht zum Ziel führen oder untunlich sind, kann die Vollzugsbehörde nach § 12 VwVG den Pflichtigen zur Vornahme der gebotenen Handlung zwingen (unmittelbarer Zwang).

11

Diese Vorschriften sind irrevisibles Landesrecht. Die §§ 6 Abs. 2 und 12 VwVG gelten für die Behörden des beklagten Landes nicht nach Art. I des Gesetzes zur Übernahme des Verwaltungs-Vollstreckungsgesetzes vom 30. Mai 1953 (GVBl. S. 361), sondern gemäß § 16 Abs. 2 des Gesetzes über das Verfahren der Berliner Verwaltung vom 2. Oktober 1958 (GVBl. S. 951). Da sie insoweit auf Grund eines Gesetzesbefehls des Landesgesetzgebers gelten, sind sie ebensowenig revisibel wie die Vorschriften des Polizeiverwaltungsgesetzes (vgl. BVerwGE 32, 252[BVerwG 27.06.1969 - VII C 20/67] [254]).

12

Die in Anwendung des irrevisiblen Landesrechts vertretene Auffassung des Berufungsgerichts, daß die strittigen Maßnahmen durch Landesrecht gedeckt gewesen seien, ist gemäß §§ 137 Abs. 1, 173 VwGO in Verbindung mit § 562 ZPO auch für die Revisionsentscheidung maßgebend. Das Bundesverwaltungsgericht hat aber zu prüfen, ob die Vorschriften in der ihnen vom Berufungsgericht gegebenen Auslegung mit den - auch im Lande Berlin geltenden (BVerfGE 1, 70 [BVerfG 25.10.1951 - 1 BvR 24/51]) - Grundrechten des Grundgesetzes, insbesondere dessen Art. 13, und mit dem bundesverfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit, insbesondere dem daraus ableitbaren Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, vereinbar sind oder ob die angefochtene Entscheidung Insoweit Bundesrecht verletzt (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 28. Juni 1966 - BVerwG II C 10.64 - [BVerwGE 24, 235, 237 ff.[BVerwG 28.06.1966 - II C 10/64]], Beschluß vom 8. Februar 1967 - BVerwG IV B 87.65 - [Buchholz 340 § 9 VwZG Nr. 5]). Das ist nicht der Fall. Der Kläger ist dadurch, daß die Polizei gegen seinen Willen das Studentenwohnheim betreten und es kurzfristig teilweise geräumt hat, nicht in dem Grundrecht der Wohnungsfreiheit oder einem anderen Recht verletzt.

13

2.

Nach Art. 13 Abs. 1 GG ist die Wohnung unverletzlich. "Durchsuchungen" dürfen nach Absatz 2 nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden. "Eingriffe und Beschränkungen", die nicht Durchsuchungen sind, dürfen nach Absatz 3 nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen oder auf Grund eines Gesetzes zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorgenommen werden.

14

a)

Das Bundesverfassungsgericht hat bisher ausdrücklich unentschieden gelassen, "wie weit der verfassungsrechtliche Begriff der Durchsuchung im einzelnen zu erstrecken ist" (vgl. BVerfGE 32, 54 [BVerfG 12.10.1971 - 2 BvR 65/71] [73]). Es hat jedoch das Betreten und die Besichtigung der Geschäftsräume einer Apotheke durch Überwachungsorgane (§ 18 Abs. 2 des Gesetzes über das Apothekenwesen vom 20. August 1960 [BGBl. I S. 697]) sowie das Betreten und die Vornahme von Prüfungen und Besichtigungen der Geschäftsräume auskunftpflichtiger Gewerbetreibender durch Beauftragte der Handwerkskammer (§ 17 Abs. 2 der Handwerksordnung i.d.F. vom 28. Dezember 1965 [BGBl. 1966 I S. 1]) nicht als Durchsuchungen im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG betrachtet (BVerfGE 17, 232 [251]; 32, 54 [72 f.]). Im Einklang damit hat der erkennende Senat in dem Urteil vom 12. Dezember 1967 - BVerwG I C 112.64 - (BVerwGE 28, 285) ausgeführt, unangemessene Erschwerungen der Verwaltungstätigkeit durch die Anwendung des Art. 13 Abs. 2 GG auf verwaltungsbehördliche Durchsuchungen ließen sich durch eine vernünftige, nicht zu weite Auslegung des Begriffs "Durchsuchung" vermeiden. Mit dieser Rechtsprechung stimmt der Durchsuchungsbegriff nicht überein, der dem angefochtenen Urteil zugrunde liegt. Zu Unrecht geht das Oberverwaltungsgericht von der Annahme aus, jedes Eindringen von Staatsorganen in eine Wohnung sei äußerlich bereits eine Durchsuchung, weil sich staatliche Maßnahmen niemals im Eindringen erschöpften, sondern jedes Eintreten bestimmte Ziele verfolge und verfolgen müsse. Damit wird der bundesrechtliche Begriff der Durchsuchung zu weit ausgelegt. Die Ansicht, daß schon allein durch das Betreten einer Wohnung (ohne oder gegen den Willen des Inhabers) eine "Durchsuchung" vorgenommen werde, steht auch im Widerspruch zur o.g. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, derzufolge die sogenannte Nachschau einer Überwachungsbehörde keine Durchsuchung ist.

15

Nach Auffassung des erkennenden Senats hat der Begriff der Durchsuchung in Art. 13 Abs. 2 GG die gleiche Bedeutung wie die in zahlreichen vor- und nachkonstitionellen Gesetzen geregelte "Durchsuchung" einer Wohnung. Der Grundgesetzgeber setzte offenbar die herkömmliche und allgemein anerkannte Bedeutung dieses Gesetzesbegriffs als bekannt voraus. Es ist nichts dafür ersichtlich, daß er den Begriff der Durchsuchung in anderem Sinne als bisher verstanden wissen wollte. Der Begriff der Durchsuchung muß daher auf dem spezifischhistorischen Hintergrund gesehen werden. Dementsprechend hat der Senat in dem Urteil vom 12. Dezember 1967 auch den Begriff "Gefahr im Verzuge" in Art. 13 Abs. 2 GG in gleicher Weise bestimmt, wie er bisher in § 105 Abs. 1 StPO verstanden wurde. Eine abweichende Auslegung des verfassungsrechtlichen Durchsuchungsbegriffes wäre auch deshalb nicht überzeugend, weil die Fassung des Art. 13 Abs. 2 GG der des § 105 Abs. 1 StPO nachgebildet ist und Abs. 3 für "Eingriffe und Beschränkungen", die nicht "Durchsuchungen" sind, eine besondere Regelung enthält, so daß Art. 13 GG alle denkbaren Einschränkungen der Wohhungsfreiheit durch Maßnahmen der öffentlichen Gewalt berücksichtigt.

16

Die Durchsuchung einer Wohnung durch Träger der öffentlichen Gewalt ist insbesondere im Strafprozeß- und Polizeirecht, aber auch in anderem Verwaltungsrecht und im Zivilprozeßrecht vorgesehen (z.B. §§ 102 StPO ff. [s. dazu BVerfGE 20, 162 [BVerfG 05.08.1966 - 1 BvR 586/62]], §§ 335, 433 Abs. 2, 437 AO, § 758 ZPO [s. dazu BVerfGE 16, 239], §§ 25 f. des Bundesgrenzschutzgesetzes vom 18. August 1972 [BGBl. I S. 1834]). Die gesetzlich zulässigen Durchsuchungen dienen als Mittel zum Auffinden und Ergreifen einer Person, zum Auffinden, Sicherstellen oder zur Beschlagnahme einer Sache oder zur Verfolgung von Spuren. Begriffsmerkmal der Durchsuchung ist somit die Suche nach Personen oder Sachen oder die Ermittlung eines Sachverhalts in einer Wohnung. Eine solche Maßnahme ist mit dem Betreten einer Wohnung durch Träger hoheitlicher Gewalt nicht notwendigerweise verbunden. Eine Wohnung kann auch zur Vornahme anderer Amtshandlungen betreten werden. So ist z.B. die Besichtigung einer Wohnung zur Feststellung, ob der Inhaber seinen Beruf ordnungsgemäß ausübt, keine Durchsuchung der Wohnung. Kennzeichnend für die Durchsuchung ist das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher Organe in einer Wohnung, um dort planmäßig etwas aufzuspüren, was der Inhaber der Wohnung von sich aus nicht offenlegen oder herausgeben will, etwas nicht klar zutage Liegendes, vielleicht Verborgenes aufzudecken oder ein Geheimnis zu lüften; mithin das Ausforschen eines für die freie Entfaltung der Persönlichkeit wesentlichen Lebensbereichs, das unter Umständen bis in die Intimsphäre des Betroffenen dringen kann. Demgemäß macht die beim Betreten einer Wohnung unvermeidliche Kenntnisnahme von Personen, Sachen und Zuständen den Eingriff in die Wohnungsfreiheit noch nicht zu einer "Durchsuchung". Auch die bloße Aufforderung an die sich in einer Wohnung aufhaltenden Personen, den Raum zu verlassen, stellt keine Durchsuchung der Wohnung dar, weil damit die öffentliche Gewalt nicht in der für Durchsuchungen typischen Weise in das private Leben des Bürgers und in die räumliche Sphäre, in der es sich entfaltet, eindringt.

17

b)

Von diesen Grundsätzen ausgehend ergibt sich nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, daß die strittigen Maßnahmen, soweit sie den Kläger betrafen, entgegen der Rechtsmeinung der Vorinstanzen keine Durchsuchungen waren.

18

In Anwendung des irrevisiblen Landesrechts hat das Berufungsgericht festgestellt, daß die Polizei in das Studentenwohnheim ohne Einwilligung des Klägers eingedrungen ist, um von der Allgemeinheit oder einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedroht war. Durch das Einschreiten in diesem Haus sollte verhindert werden, daß weiterhin Steine, Flaschen und andere Gegenstände auf die in der H.straße zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eingesetzten Polizeibeamten geworfen wurden, um diese an der Ausführung ihrer gesetzlichen Aufgaben zu hindern. In der Annahme, daß sich ein Teil der Störer in dem Studentenwohnheim aufhalte, drang die Polizei dort ein und gebot denjenigen Personen, die sie für keine friedlichen Heimbewohner hielt, das Haus zu verlassen. Das Betreten des Hauses und die vom Kläger und vom Berufungsgericht als Räumung bezeichneten Maßnahmen waren keine "Durchsuchungen" des Wohnheimes. Die polizeilichen Mittel dienten nicht einem solchen Zweck, wie ihn die Durchsuchung einer Wohnung verfolgt; das war auch für den Kläger und die von der Räumung unmittelbar betroffenen Personen ohne weiteres ersichtlich. Die Polizei störte durch ihr Vorgehen in dem Heim nicht - gewissermaßen von außen her - den Hausfrieden. Das Studentenwohnheim war nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zu dem Zeitpunkt, in dem es von der Polizei betreten wurde, keine "friedliche" Wohnung, vielmehr war das polizeiliche Einschreiten durch gewaltsame Einwirkungen von Personen in dem Hause auf dessen Umgebung bedingt. Diese Störungen der Umwelt sollten durch das Eindringen der Polizei in das Haus unterbunden werden. Daher wurden dort nicht Nachforschungen angestellt, sondern Personen außerhalb des Hauses dadurch geschützt, daß die Polizei einen Teil der im Hause angetroffenen Personen hinausdrängte, um dadurch (und durch spätere kurzfristige Ingewahrsamnahme) das weitere Werten von Gegenständen auf Polizeibeamte zu verhindern. Diese von einer Wohnungsdurchsuchung verschiedene Zweckrichtung des Polizeieinsatzes wird besonders deutlich, wenn man in Betracht zieht, daß die Polizei in verschlossene Zimmer der Studenten nicht eindrang, sondern nur Personen, die sie in den Fluren und offenen Zimmern antraf, zum Verlassen des Wohnheimes aufforderte. Damit wurde die allgemeine Handlungsfreiheit und körperliche Bewegungsfreiheit der betroffenen Personen eingeschränkt (Art. 2 Abs. 1 und 2 Satz 2 GG) und in die Wohnungsfreiheit im Sinne von Art. 13 Abs. 3 GG eingegriffen. Die strittigen Maßnahmen der Polizei sind daher, soweit sie den Kläger betrafen, am Maßstab des Art. 13 Abs. 3 GG zu messen.

19

c)

Im übrigen hätte der erkennende Senat gegen die Ausführungen im Berufungsurteil auch insoweit Bedenken, als das Oberverwaltungsgericht - einer vielfach vertretenen Meinung folgend - den Standpunkt vertritt, die Durchsuchung einer Wohnung durch die Polizei bedürfe einer über die polizeiliche Generalermächtigung hinausgehenden besonderen gesetzlichen Ermächtigung. Es spricht manches dafür, daß die oben unter Ziff. 1 wiedergegebenen landesrechtlichen Vorschriften die präventiv-polizeiliche Durchsuchung verfassungsrechtlich hinreichend regeln, zumal kein Zweifel bestehen kann, daß das Übermaßverbot des Polizeiverwaltungsgesetzes durch den sich aus dem Grundgesetz ergebenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (siehe dazu Grabitz, AöR 98, 568) ergänzt werden muß.

20

3.

Nach Art. 13 Abs. 3 GG dürfen Eingriffe und Beschränkungen, die nicht Durchsuchungen sind, zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutz gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.

21

Eine gemeine Gefahr und eine Lebensgefahr für Personen innerhalb des Studentenwohnheims lag nicht vor. Dagegen könnte durch das Werten von Gegenständen aus großer Höhe für die auf dem Universitätsgelände eingesetzten Polizeibeamten Lebensgefahr bestanden haben; jedoch braucht dieser Frage nicht nachgegangen zu werden, weil die Maßnahmen jedenfalls auf Grund eines verfassungsgemäßen Gesetzes zur Verhütung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorgenommen wurden.

22

Soweit die einschlägigen Vorschriften des Polizeiverwaltungsgesetzes zu Eingriffen in die Wohnungsfreiheit ermächtigen, müssen sie das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) nicht ausdrücklich nennen. Denn das verfassungsrechtliche Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG gilt nicht für Gesetze, die zwar nach Inkrafttreten des Grundgesetzes erlassen sind, jedoch lediglich ältere Grundrechtsbeschränkungen unverändert oder mit geringen Abweichungen wiederholen (BVerfGE 28, 36 [BVerfG 18.02.1970 - 2 BvR 531/68] [46]). Die Vorschriften der §§ 14, 21, 41 und 44 Abs. 1 Satz 2 PVG stimmen mit den gleichen Vorschriften des Preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes vom 1. Juni 1931 überein (vgl. § 8 des Polizeizuständigkeitsgesetzes vom 2. Oktober 1958 [GVBl. S 959]).

23

Die Eingriffsermächtigung des Gesetzes muß verfassungsrechtlich nicht unbedingt auf die Abwehr dringender Gefahren beschränkt sein, weil sich aus dem unmittelbar anwendbaren Art. 13 Abs. 3 GG ergibt, daß von der gesetzlichen Ermächtigung nur zur Bekämpfung solcher Gefahren Gebrauch gemacht werden darf. Eine "dringende Gefahr" besteht nicht schon bei einer "bevorstehenden" oder "drohenden Gefahr" im polizeirechtlichen Sinne, aber auch nicht erst bei einer "unmittelbar bevorstehenden Gefahr", die u.a. Voraussetzung für die Ingewahrsamnahme aus präventiv-polizeilichen Gründen ist (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26. Februar 1974 - BVerwG I C 31.72 - [MDR 1974, 513 = NJW 1974, 807]). Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 17, 232 [251 f.]) braucht "eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht bereits eingetreten zu sein; es genügt, daß die Beschränkung des Grundrechts dem Zweck dient, einen Zustand nicht eintreten zu lassen, der seinerseits eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen würde". Diesen Ausführungen kann entnommen werden, daß eine dringende Gefahr im Sinne von Art. 13 Abs. 3 GG vorliegt, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein wichtiges Rechtsgut schädigen wird. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind nach dem aus dem Grundgesetz ableitbaren Grundsatz der Verhältnismäßigkeit um so geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist; aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ergibt sich ferner, daß in die Wohnungsfreiheit nur eingegriffen werden darf, wenn und soweit die Maßnahme zur Gefahrenabwehr geeignet und erforderlich ist, und daß im Einzelfall die rechtsstaatliche Bedeutung der Unverletzlichkeit der Wohnung mit dem öffentlichen Interesse an der Wahrung von Recht und Ordnung abgewogen werden muß.

24

4.

Nach den das Bundesverwaltungsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts war das polizeiliche Einschreiten im Studentenwohnheim zur Verhütung einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit erforderlich, da durch das Werten von Steinen, Flaschen und anderen Gegenständen die Gesundheit, wenn nicht das Leben vieler Menschen gefährdet war und diese Gefahr - da die Polizei vor den Störern nicht zurückzuweichen brauchte - nur durch die strittigen Maßnahmen abgewehrt werden konnte. Diese waren nach den Feststellungen des Berufungsgerichts das mildeste in Betracht kommende Mittel. Durch das Betreten und die Räumung des Hauses wurde auch nicht in anderer Hinsicht zum Nachteil des Klägers der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Die Beeinträchtigung des Klägers war nur ganz geringfügig, stand jedenfalls in keinem unangemessenen Verhältnis zu der schweren Verletzung der öffentlichen Sicherheit durch die Ausschreitungen auf dem Universitätsgelände, deren wirksame Bekämpfung Aufgabe der Polizei war.

25

Die Revision mußte daher ohne Erfolg bleiben.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 6.000 DM festgesetzt.

Dr. Zeidler
Dr. Heinrich
Dr. Paul
Dörffler
Dr. Eckstein