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Bundesgerichtshof
Urt. v. 11.10.1994, Az.: VI ZR 303/93

Unfall; Schadensersatz aus Billigkeit; Berücksichtigung wirtschaftlicher Verhältnisse; Schmerzensgeld

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
11.10.1994
Aktenzeichen
VI ZR 303/93
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1994, 15245
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • BGHZ 127, 186 - 194
  • DAR 1995, 69-72 (Volltext mit amtl. LS)
  • MDR 1995, 992 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJ 1995, 111 (amtl. Leitsatz)
  • NJW 1995, 452-454 (Volltext mit amtl. LS)
  • NZV 1995, 65-66 (Volltext mit amtl. LS)
  • VersR 1995, 96-99 (Volltext mit amtl. LS)
  • zfs 1995, 53-55 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

1. Bei der Frage, ob dem Unfallverletzten aus Billigkeitsgründen Schadensersatz nach § 829 BGB zuzubilligen ist, kann im Rahmen der wirtschaftlichen Verhältnisse der Unfallbeteiligten berücksichtigt werden, daß für den schuldlos handelnden Schädiger Versicherungsschutz aufgrund einer Kfz-Pflichtversicherung besteht (Ergänzung zu BGHZ 76, 279 [BGH 18.12.1979 - VI ZR 27/78] = VersR 80, 625).

2. Erhält der Geschädigte bereits vollen Ersatz seiner materiellen Schäden aufgrund der Gefährdungshaftung nach dem StVG, so kommt ein Schmerzensgeld nach § 829 BGB nur in Betracht, wenn die Billigkeit es erfordert, ihm über den materiellen Schadensausgleich hinaus auch noch ein Schmerzensgeld zukommen zu lassen.

Tatbestand:

1

Die Klägerin begehrt von den Beklagten Schmerzensgeld zu einem Teilbetrage von 10.000 DM wegen Verletzungen, die sie bei einem Verkehrsunfall am 17. Juli 1989 erlitten hat.

2

An diesem Tage bog der damals 21-jährige Beklagte zu 1) (künftig Beklagter) mit dem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw in L. von der B 437 kommend nach rechts in die Straße "Zum J." in Richtung D. ein. Dabei verlor er die Kontrolle über das Fahrzeug, kam auf die gegenüberliegende Fahrbahnseite und stieß dort mit der ihm auf einem Fahrrad entgegenkommenden, damals 18 Jahre alten Klägerin zusammen. Diese erlitt bei dem Unfall schwere Verletzungen, u.a. ein Schädelhirntrauma, eine Schädelfraktur mit Felsenbeinbruch und Frakturen beider Unterschenkel. Sie befand sich bis zum 16. September 1989 in stationärer Behandlung und war sodann bis Mitte Februar 1990 arbeitsunfähig. Als Folge ihrer Verletzungen kann die Klägerin nicht hocken oder knien. Ihre Hörfähigkeit ist beeinträchtigt. Sie ist in ihrer Erwerbsfähigkeit zu 20% gemindert und erhält eine Erwerbsunfähigkeitsrente sowie Leistungen nach dem BAFÖG. Nach Beendigung ihrer durch den Unfall um ein halbes Jahr verlängerten Ausbildung zur Schauwerbegestalterin besuchte die Klägerin die Fachoberschule für Gestaltung in Oldenburg. Nach erfolgreichem Schulabschluß ist sie zur Zeit arbeitslos. Sie beabsichtigt, nunmehr eine Ausbildung zur Rechtspflegerin aufzunehmen. Eine Ausübung ihres erlernten Berufes kommt aufgrund der Unfallfolgen nicht in Betracht.

3

Die materiellen Schäden der Klägerin wurden auf der Grundlage einer vollen Einstandspflicht nach dem Straßenverkehrsgesetz reguliert. Die Zahlung eines Schmerzensgeldes haben die Beklagten mit der Behauptung abgelehnt, der Beklagte sei im Zeitpunkt des Unfalls deliktsunfähig gewesen.

4

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch weiter.

Entscheidungsgründe

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I. Das Berufungsgericht verneint einen Anspruch aus § 823 Abs. 1, § 847 BGB, weil sich der Beklagte zur Zeit des Unfalles in einem seine freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand befunden habe (§ 827 BGB). Nach seiner Auffassung hat die Sachverständige Dr. B. überzeugend dargelegt, daß sich bei dem Beklagten allmählich ein Anfallsleiden herausgebildet habe, welches erstmals während der Fahrt vom 17. Juli 1989 zu einer epileptischen Dämmerattacke geführt habe, die bei ihrem Auftreten für den Beklagten nicht mehr beeinflußbar gewesen sei. Anhaltspunkte für eine andere Unfallursache seien nicht vorhanden. Dem Beklagten sei es auch nicht anzulasten, daß er vor dem Unfall aufgetretenen Kopfschmerzen und Konzentrationsstörungen keine besondere Bedeutung beigemessen habe, nachdem sich bei einer fachärztlichen Untersuchung keine Hinweise auf eine Funktionsstörung des Gehirns ergeben hätten.

6

Nach Auffassung des Berufungsgerichts kommt auch eine Haftung aus Billigkeitsgründen nach § 829 BGB nicht in Betracht. Wenn auch die Unfallverletzungen der Klägerin erheblich gewesen und nicht folgenlos verheilt seien, so sei die Klägerin hierdurch nicht in einer solchen Weise beeinträchtigt, daß unter Billigkeitsgesichtspunkten ein Ausgleich auch der immateriellen Folgen zwingend geboten sei. Ihre Ausbildung habe sich lediglich um ein halbes Jahr verlängert; zum Ausgleich der Erwerbsminderung erhalte sie eine Rente. Auch der Beklagte sei durch seine anläßlich des Unfalles festgestellte Erkrankung auf lange Sicht weiterhin beeinträchtigt. Trotz erfolgreicher ärztlicher Behandlung bleibe er mit der Unsicherheit belastet, daß sich die Zystenbildung wiederhole. Wegen dieser Belastung erhielten die Unfallfolgen der Klägerin kein solches Gewicht, daß schon aufgrund des beiderseitigen Lebensschicksales neben dem Ersatz des materiellen Schadens noch ein Ausgleich des Nichtvermögensschadens unabweisbar notwendig sei.

7

Ebensowenig gebiete ein Vergleich der Vermögenslagen beider Unfallbeteiligter einen Ausgleich. Der monatliche Verdienst des Beklagten als kaufmännischer Angestellter von 3.800 DM brutto sei nicht so hoch, daß sich hieraus ein erhebliches wirtschaftliches Gefälle ergebe, zumal die Lebenshaltungskosten in der von der Klägerin bewohnten Region gegenüber denjenigen des Beklagten deutlich niedriger seien und die Klägerin im übrigen ihrerseits einen höher qualifizierten Beruf anstrebe. Der Deckungsanspruch aufgrund der bestehenden Kfz-Haftpflichtversicherung dürfe dem Beklagten nicht als eigener Bestandteil des Vermögens zugerechnet werden. Jedenfalls könne der bestehende Versicherungsschutz allein ohne Hinzutreten weiterer Umstände eine Haftung aus Billigkeitsgesichtspunkten nicht rechtfertigen.

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II. Die Revision ist in vollem Umfang zulässig.

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Zwar hat das Berufungsgericht die Revision im Hinblick auf die in BGHZ 76, 279 [BGH 18.12.1979 - VI ZR 27/78] ausdrücklich auf die freiwillige Versicherung beschränkten Erwägungen zu § 829 BGB zugelassen. Damit ist die Zulassung aber nicht auf diesen Aspekt beschränkt worden. Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei der Zulassungsfrage überhaupt um einen abtrennbaren Teil des Gesamtstreitstoffes handelt, auf den nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Zulassung wirksam beschränkt werden kann (BGHZ 111, 160, 166 [BGH 20.04.1990 - V ZR 282/88] m.w.N.; Senatsurteil vom 3. Mai 1988 - VI ZR 276/87 - NJW 1989, 774). Jedenfalls geht der Wille des Berufungsgerichts, die Revision auf die genannte Frage beschränken zu wollen, aus dem angefochtenen Urteil nicht klar und eindeutig hervor. Das Berufungsgericht teilt darin nur den Anlaß mit, der es zur Zulassung der Revision bewogen hat. Es kann dem Urteil aber nicht mit hinreichender Klarheit entnommen werden, daß damit auch die revisionsrechtliche Prüfung auf diese Frage beschränkt werden sollte. Deshalb muß der Senat davon ausgehen, daß sich die Zulassung auf den gesamten in der Berufungsinstanz anhängigen Rechtsstreit erstreckt (Senatsurteil vom 22. Dezember 1992 - VI ZR 53/92 - NJW 1993, 2611 [BGH 22.12.1992 - VI ZR 53/92] m.w.N.).

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III. Das Rechtsmittel ist auch begründet.

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1. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen greifen allerdings nicht durch.

12

a) Nicht zu beanstanden ist, daß das Berufungsgericht die Sachverständige Dr. E. nicht nochmals vernommen hat, weil ihre protokollierte Aussage, wie die Revision meint, für das Berufungsgericht keine ausreichende Urteilsgrundlage darstelle. Das Landgericht hat die Sachverständige zu ihrem im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren erstatteten schriftlichen Gutachten auf Antrag der Klägerin mündlich angehört. In der Sitzungsniederschrift ist von ihrer Aussage lediglich festgehalten, daß "nach (ihrem) Dafürhalten zivilrechtlich davon auszugehen (sei), daß bei dem Beklagten im Zeitpunkt des Unfalls ein Zustand vorgelegen hat, der seine freie Willensbestimmung ausschloß". Ferner vermerkt das Protokoll als Aussage der Sachverständigen, ihr sei nicht bekannt, "ob der Beklagte wegen des Anfallsleidens bereits vorher ärztlich behandelt worden ist und ob er deswegen Medikamente einnehmen sollte und ob ihm ärztlicherseits gesagt worden ist, daß er nicht Autofahren dürfe".

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Der Revision ist zuzugeben, daß die so protokollierte Aussage für sich genommen dem Berufungsgericht keine ausreichende Grundlage für die Feststellung bot, der Beklagte sei im Augenblick des Unfalls nicht zurechnungsfähig gewesen. Genügt die Protokollierung einer Aussage nicht den Anforderungen des § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO, so kann das Rechtsmittelgericht allerdings verpflichtet sein, den Sachverständigen nochmals anzuhören, um sich selbst die volle Überzeugung zu verschaffen (vgl. Senatsurteil vom 24. Februar 1987 - VI ZR 295/85 - BGHR ZPO § 160 Abs. 3 Nr. 4 Protokollinhalt 1 und § 411 Abs. 3 Anhörung, erneute 2 = MDR 1987, 751, insoweit in VersR 1988, 290 nicht vollständig abgedruckt). § 160 Abs. 3 Nr. 4 ZPO erlaubt aber bei einer wiederholten Vernehmung, die Aussage eines Sachverständigen nur insoweit in das Protokoll aufzunehmen, als sie von der früheren abweicht. Die Sachverständige hat sich bei ihrer Aussage schlüssig auf ihr schriftliches, im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren erstattetes Gutachten gestützt und hat dieses, wie das Urteil des Landgerichts erkennen läßt, mündlich näher erläutert. Sie hat lediglich ihr zunächst unter strafrechtlichen Gesichtspunkten erstattetes Gutachten entsprechend dem ihr vom Landgericht gestellten Auftrag durch eine für das Zivilrecht relevante Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit des Beklagten ergänzt. Da sich bei der mündlichen Anhörung keine Abweichungen oder Widersprüche zu dem schriftlichen Gutachten ergeben haben, bedurfte es keiner Protokollierung über das hinaus, was als zusammenfassender Inhalt der Aussage im Protokoll festgehalten ist. Das Berufungsgericht konnte sich daher ohne Verfahrensverstoß seine Überzeugung, wie im angefochtenen Urteil geschehen, aufgrund der Ausführungen in dem Gutachten, das durch ein neurochirurgisches Gutachten gestützt wird, verschaffen.

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b) Entgegen der Revision gründet sich die Auffassung der Sachverständigen, der Beklagte habe im Zeitpunkt des Unfalls eine epileptische Dämmerattacke erlitten, nicht lediglich auf Vermutungen (zur revisionsgerichtlichen Überprüfung insoweit vgl. BGH, Beschluß vom 8. Mai 1990, - 3 StR 448/89 - NStZ 1990, 501 [BGH 08.05.1990 - 3 StR 448/89] m.w.N.). Einen maßgeblichen Anknüpfungspunkt bildete für die Sachverständige, wie aus ihrem schriftlichen Gutachten hervorgeht, die Tatsache, daß sich bei der neurologischen Untersuchung, der sich der Beklagte wenige Tage nach dem Unfall unterzog, der Befund eines "riesigen, expansiv wachsenden zystischen Prozesses im Bereich der rechten Temporal- und Frontalregion mit beginnender Mittellinienverlagerung und rechtshirnigen Druckzeichen" ergab. Die intrakranielle Raumforderung hatte dem Gutachten zufolge "bereits zu allgemeinen Symptomen, wie Kopfschmerzen und psychischen Veränderungen im Sinne vermehrter Nervosität und Konzentrationsschwäche, geführt".

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Einen weiteren Anhaltspunkt für die Sachverständige stellte das Verhalten des Beklagten unmittelbar nach dem Unfall dar, der nach den im Ermittlungsverfahren vernommenen Zeugen ohne anzuhalten noch 50 m weiter fuhr, dabei das Fahrrad mitschleifte und, als er schließlich anhielt, unter Schockeinwirkung stand, nicht wußte, wo er sich befand und was passiert war. Aus diesen Symptomen ergab sich für sie das "psychopathologische Bild des Dämmerzustandes", das oft so diskret verlaufen könne, daß es erst bemerkt werde, wenn eine Gefahrensituation eintrete. Ein wichtiges Kriterium dafür ist nach den Ausführungen der Sachverständigen "das Mechanische, das Eigengesetzliche des Ablaufs, der nicht unterbrochen werden kann". In dem sich an den Unfall anschließenden Verhalten sah die Sachverständige eine Reorientierungsphase, in der sich der Beklagte "unbeholfen, noch verwirrt und umdämmert" gezeigt habe. Damit lagen den Ausführungen der Sachverständigen greifbare Anhaltspunkte und nicht lediglich Vermutungen zugrunde.

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2. Dagegen hält das Urteil den sachlich rechtlichen Angriffen der Revision nicht stand.

17

Das Berufungsgericht ist aufgrund des unstreitigen Sachverhalts davon ausgegangen, ohne dazu freilich nähere Ausführungen zu machen, daß der Beklagte sich objektiv verkehrswidrig verhalten und damit eine zum Schadensersatz verpflichtende Handlung begangen hat. Dagegen bestehen keine rechtlichen Bedenken. Nicht zu folgen vermag der Senat jedoch den Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht einen Billigkeitsanspruch nach § 829 BGB verneint hat. Insoweit rügt die Revision zu Recht, daß die Ausführungen des Berufungsgerichts zu der Frage, ob ein Vergleich der Vermögenslage der beiderseitigen Unfallbeteiligten unter Billigkeitsgesichtspunkten die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes erfordere, von Rechtsirrtum beeinflußt sind.

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a) Das Berufungsgericht hat zu Unrecht das Bestehen einer Haftpflichtversicherung auf seiten des Beklagten bei der Billigkeitsprüfung unberücksichtigt gelassen. Zumindest bei einer Pflichtversicherung wie hier ist es geboten, die Tatsache, daß für den Unfallschädiger Versicherungsschutz besteht, als einen für die Vermögenslage des Beklagten bedeutsamen Umstand anzuerkennen.

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aa) Allerdings ist die Rechtsprechung zu der Frage, ob das Bestehen einer Haftpflichtversicherung bei der Schadensersatzpflicht zugunsten des Unfallverletzten Berücksichtigung finden kann, nicht einheitlich verlaufen. Das Reichsgericht hat erstmals im Jahre 1944 unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung für die Einstandspflicht aus deliktischem Verschulden das Bestehen einer Haftpflichtversicherung bei der Bemessung der Schmerzensgeldhöhe für berücksichtigungsfähig erachtet (RG DR 1944, 290, 291). Dem ist der Bundesgerichtshof gefolgt (BGHZ 18, 149, 166; Senatsurteile vom 10. April 1954 - VI ZR 61/53 - VersR 1954, 277, 278 und vom 16. Februar 1993 - VI ZR 29/92 - VersR 1993, 585, 586). Aus entsprechenden Erwägungen hat der Senat diesen Umstand für die Einstandspflicht aufgrund der Billigkeitshaftung des § 829 BGB als für die Höhe der Entschädigung bedeutsam gehalten (Urteil vom 18. Dezember 1979 - BGHZ 76, 279, 283 [BGH 18.12.1979 - VI ZR 27/78] m.w.N.). Dagegen hat er bis zu diesem Urteil das Bestehen eines Versicherungsschutzes als berücksichtigungswerten Umstand abgelehnt, wenn dieser anspruchsbegründend wirke (BGHZ 23, 90, 99 [BGH 15.01.1957 - VI ZR 135/56]; Senatsurteile vom 13. Juni 1958 - VI ZR 109/57 - VersR 1958, 485, 486 f.; vom 24. April 1979 - VI ZR 8/78 - VersR 1979, 645; ebenso für die Berücksichtigung eines Schadensbeitrages des Geschädigten aus § 254 BGB bei der spiegelbildlichen Anwendung des § 829 BGB zu seinen Lasten: Senatsurteile vom 24. Juni 1969 - VI ZR 15/68 - VersR 1969, 860, 861 und vom 26. Juni 1973 - VI ZR 47/72 - VersR 1973, 925).

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In dem genannten Urteil vom 18. Dezember 1979 hat der Senat diese Unterscheidung zwischen Grund und Höhe des Anspruchs aus § 829 BGB für die Berücksichtigung eines Haftpflichtversicherungsschutzes als unbrauchbar aufgegeben. Zugleich hat er aber betont, daß eine Eingrenzung der Berücksichtigung für das "Ob" dieses Ersatzanspruchs unentbehrlich sei, um dem Zweck der Haftpflichtversicherung Rechnung zu tragen, der in erster Linie auf den Schutz des Versicherungsnehmers vor Haftpflichtansprüchen gerichtet und nicht darauf, eine Haftungsgrundlage zu schaffen. In diesem Zusammenhang hat der Senat im Hinblick auf die im Schrifttum gegen die bisherige Rechtsprechung vorgebrachten Einwände erwogen, ob ein inzwischen eingetretener Funktionswandel der Haftpflichtversicherung im sozialwirtschaftlichen Gefüge es ganz allgemein erlaube, den Versicherungsschutz als Vermögensbestandteil des Schädigers voll in die Billigkeitsprüfung des § 829 BGB einzubeziehen. Er hat sich von einem solchen Funktionswandel jedenfalls für den Bereich der freiwilligen Haftpflichtversicherung nicht überzeugen können und hat es daher abgelehnt, den Versicherungsschutz aus einer solchen freiwilligen Haftpflichtversicherung in Höhe der ggf. verfügbaren Deckungshöchstsumme in Rechnung zu stellen. Eine Berücksichtigung lediglich zur Korrektur der Höhe des zu zahlenden Betrages hat er dagegen - wie bisher - anerkannt.

21

bb) Diese Einschränkungen können jedoch entgegen dem angefochtenen Urteil nicht auf die Kfz-Pflichtversicherung, wie sie für den Beklagten bestand, übertragen werden. Deren Zweck ist in erster Linie auf den Schutz des Geschädigten ausgerichtet. Diesem Ziel diente schon das Gesetz über die Einführung der Pflichtversicherung für Kraftfahrzeuge vom 7. November 1939. Wie aus der amtlichen Begründung (DJ 1939, 1771) hervorgeht und das Reichsgericht (DR 1944, 290, 292) und ihm folgend der Senat in den Urteilen vom 10. April 1954 (aaO. S. 278), vom 13. Juni 1958 (aaO. S. 487) und vom 24. Juni 1969 (aaO. S. 861) dargelegt haben, sollte die Pflichtversicherung aufgrund dieses Gesetzes gerade den Verkehrsopfern den ihnen zukommenden Schadensersatz sichern. Den Geschädigten sollte, ein möglichst lückenloser Schutz verschafft werden, und zwar auch in solchen Fällen, in denen der Schädiger nicht leistungsfähig ist. Dies spiegelte sich vor allem in dem damals neu geschaffenen § 158 c VVG wider, wonach u.a. die Verpflichtung des Versicherers auch dann bestehen bleibt, wenn er dem Versicherungsnehmer gegenüber ganz oder teilweise frei wird. Dieser Schutz der Verkehrsopfer ist durch das Pflichtversicherungsgesetz vom 5. April 1965 und dessen nachfolgende Änderungen mit dem Direktanspruch gegen den Versicherer und dem Entschädigungsfond weiter verstärkt und ausgebaut worden (vgl. dazu im einzelnen Bruck/Möller/Johannsen, VVG Bd. V 1 Kraftfahrzeugversicherung (1994), Anm. A 22 und B 4, sowie Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht 32. Aufl., StVZO vor § 29 a Rdn. 2 ff.).

22

Diese besondere Zweckbestimmung der Pflichtversicherung im Kraftfahrzeugverkehr rechtfertigt es, dem Geschädigten auch im Rahmen des § 829 BGB einen bestehenden Versicherungsschutz des Schädigers schon für das "Ob" des Anspruchs zugute kommen zu lassen. Dem steht nicht entgegen, daß damit das Trennungsprinzip, wonach die Eintrittspflicht des Versicherers dem Anspruch folgt und nicht umgekehrt, durchbrochen wird. Für den besonderen Anspruch des § 829 BGB muß sich der auf den Opferschutz gerichtete Zweck der Kfz-Haftpflichtversicherung gegenüber diesem Prinzip durchsetzen. Der Senat hat die Notwendigkeit einer Durchbrechung des Prinzips, an dem grundsätzlich festzuhalten ist, auch in anderen Fällen anerkannt (BGHZ 116, 200, 209).

23

cc) Die Berücksichtigung von Versicherungsschutz aus einer Kfz-Pflichtversicherung auf seiten des Schädigers bedeutet freilich nicht, daß allein schon deswegen der Billigkeitsanspruch aus § 829 BGB stets zu bejahen wäre. Bei der Prüfung der Frage, ob die Billigkeit eine Schadloshaltung des Verletzten gebietet, muß vielmehr bedacht werden, daß die verschuldensunabhängige Haftung aus § 829 BGB im deliktischen Haftungssystem des BGB eine Ausnahme bildet. Deswegen ist, entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift nach ständiger Rechtsprechung des Senats ein Schadensersatzanspruch aus § 829 BGB nicht schon dann zu gewähren, wenn die Billigkeit es erlaubt, sondern nur dann, wenn die gesamten Umstände des Falles eine Haftung des schuldlosen Schädigers aus Billigkeitsgründen geradezu erfordern (Senatsurteile vom 13. Juni 1958 aaO. S. 486; vom 24. Juni 1969 aaO. S. 861 und vom 26. Juni 1973 aaO. S. 925). Schon dieser Ausnahmecharakter des § 829 BGB zwingt dazu, die Voraussetzungen, unter denen eine Schadloshaltung des Geschädigten als billig anzusehen ist, auch in diesen Fällen hoch anzusetzen.

24

Dabei muß ferner bedacht werden, daß bei Unfällen im Straßenverkehr der materielle Schaden des Unfallopfers bereits über die verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung nach dem StVG abgedeckt wird. So erhält auch die Klägerin ihren gesamten materiellen Schaden, insbesondere also die Heilungskosten und die Einkommenseinbußen, voll ersetzt. Insofern unterscheidet sich der Streitfall ganz wesentlich von den in BGHZ 76, 279 [BGH 18.12.1979 - VI ZR 27/78] und in den Senatsurteilen vom 13. Juni 1958 und 24. April 1979 (jeweils aaO.) entschiedenen Fällen, in denen es darum ging, dem Geschädigten mit Hilfe des § 829 BGB zunächst einmal einen Ausgleich für die materiellen Schäden zu verschaffen. Erhält aber wie hier der Geschädigte bereits vollen Ersatz seines materiellen Schadens, dann geht es nur noch um die Frage, ob es die Billigkeit erfordert, ihm über den materiellen Schadensausgleich hinaus auch noch ein Schmerzensgeld zukommen zu lassen. Im Rahmen des § 829 BGB ist für ein Schmerzensgeld aus Billigkeitsgründen nur Raum bei schweren Verletzungen, insbesondere bei Dauerschäden. Insgesamt kommt danach die Zubilligung von Schmerzensgeld mit Rücksicht auf den Ausnahmecharakter des § 829 BGB nur in Betracht, wenn bei Berücksichtigung dessen, daß bei schuldlos verursachten Verkehrsunfällen ein Schmerzensgeld regelmäßig nicht verwirkt ist, seine Versagung im Einzelfall dem Billigkeitsempfinden kraß widerspricht. Insofern ist der Ansatz für die Billigkeitsprüfung in § 829 BGB ein anderer als in § 847 BGB, worauf der Senat schon in seinem Urteil vom 18. Dezember 1979 (BGHZ 76, 279, 282) [BGH 18.12.1979 - VI ZR 27/78] hingewiesen hat.

25

b) Ob unter diesen Voraussetzungen die Zuerkennung von Schmerzensgeld im Einzelfall aus Billigkeitsgründen geboten ist, muß der Tatrichter entscheiden. Er hat dabei alle Umstände des Falles zu berücksichtigen. Neben den wirtschaftlichen Verhältnissen der Unfallbeteiligten kann dabei auch die Intensität des Eingriffs in das geschützte Rechtsgut sowie - etwa bei Vorsatztaten - die Besonderheit der die Schadensersatzpflicht auslösenden Handlung von Bedeutung sein (vgl. Senatsurteil vom 24. April 1979 aaO. und BGHZ 23, 90, 99) [BGH 15.01.1957 - VI ZR 135/56].

26

Auch insoweit geben die Ausführungen des Berufungsgerichts zu durchgreifenden Bedenken Anlaß. Das Berufungsgericht stellt den Unfallverletzungen der Klägerin, die eine Verlängerung ihrer zunächst betriebenen Ausbildung "lediglich um ein halbes Jahr" zur Folge gehabt hätten, die anläßlich des Unfalls festgestellte Krankheit des Beklagten gegenüber, durch die er auf lange Sicht weiterhin beeinträchtigt und mit der Ungewißheit belastet sei, daß sich die Zystenbildung trotz der erfolgreichen ärztlichen Behandlung wiederhole. Angesichts dieser Ungewißheit erhalten die Unfallfolgen nach Auffassung des Berufungsgerichts für die Klägerin, die dauerhaft in bestimmten Körperhaltungen und in ihrer Hörfähigkeit beeinträchtigt sei, kein solches Gewicht, daß schon aufgrund des Lebensschicksals der Klägerin und des Beklagten der Ausgleich auch des Nichtvermögensschadens unabweisbar notwendig sei.

27

Diese Ausführungen sind nicht frei von Rechtsfehlern. Die Belastung mit der Ungewißheit seiner künftigen gesundheitlichen Entwicklung mag zwar für den Beklagten schwerwiegend sein. Sie kann aber nicht den Unfallverletzungen der Klägerin als Äquivalent gegenübergestellt werden. Das Berufungsgericht berücksichtigt nicht, daß die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Beklagten schicksalhaft sind und mit dem Unfall nichts zu tun haben. Die Verletzungen der Klägerin sind hingegen durch einen objektiv schwerwiegenden Ausfall des Beklagten bei der Führung seines Kraftfahrzeugs verursacht worden. Der Beklagte hat durch den Unfall jedenfalls keine Verletzungen davongetragen. Diesem Umstand hätte das Berufungsgericht Rechnung tragen müssen, denn es kann keinem Zweifel unterliegen, daß bei den nach § 829 BGB anzustellenden Billigkeitserwägungen den unfallunabhängigen Gesundheitsschäden ein wesentlich geringeres Gewicht zukommt als solchen, die auf dem Unfall beruhen.

28

c) Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, daß auch die Ausführungen, mit denen das Berufungsgericht einen Feststellungsanspruch verneint hat, keinen Bestand haben können.

29

IV. Nach alledem ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.