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Bundesgerichtshof
Urt. v. 20.09.1989, Az.: IVa ZR 118/88

Vermögensübernahme; Gläubiger; Übernahme; Sicherung der Forderung; Gläubigerwillen

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
20.09.1989
Aktenzeichen
IVa ZR 118/88
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1989, 13523
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • BGHZ 108, 320
  • DB 1989, 2220 (Volltext mit amtl. LS)
  • KTS 1990, 47-48
  • MDR 1990, 137-138 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1990, 509 (amtl. Leitsatz)
  • NJW-RR 1990, 58-59 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZIP 1989, 1263-1264

Amtlicher Leitsatz

Wenn der Gläubiger an der Vermögensübernahme selbst maßgeblich mitgewirkt hat, ohne für eine Sicherung seiner Forderung zu sorgen, ist § 419 BGB nicht anwendbar, weil es sich bei der Übernahme i. S. dieser Vorschrift um einen dem Gläubigerwillen zuwiderlaufenden Vorgang handelt.

Tatbestand:

1

Der Kläger meint, die beklagten Eheleute müßten wegen Übernahme des Vermögens seiner Schwester deren Kostenschulden in Höhe von noch 15 704,72 DM bezahlen, für die er Kostenfestsetzungsbeschlüsse besitzt.

2

Der Kläger und seine Schwester sind testamentarische Erben ihrer Eltern. Sie wurden in Erbengemeinschaft als Eigentümer eines Nachlaßgrundstücks eingetragen. Dieses und eine dort betriebene Bäckerei waren Hauptbestandteile des Nachlasses. Nach der Teilungsanordnung der Eltern sollten die Schwester das Hausgrundstück und der Kläger den Bäckereibetrieb erhalten. Beide prozessierten jahrelang gegeneinander wegen der Auseinandersetzung. Erst 1984/85 gelang es, die wechselseitigen Ansprüche im Rahmen eines gerichtlichen Vergleiche und notarieller Vereinbarungen zu regeln. Die Schwester hatte jedoch schon am 18. Februar 1983 nach einem Urteil des Landgerichts, in dem festgestellt wurde, daß ihr das Alleineigentum an dem Grundstück bei der Auseinandersetzung zu übertragen sei, das Grundstück an die Beklagten auf Rentenbasis verkauft. Die beklagte Ehefrau ist ihre Stieftochter.

3

Dem gerichtlichen Vergleich vom 11. Oktober 1984 traten die Beklagten und die Ehefrau des Klägers bei. Darin war nämlich unter anderem vereinbart, daß der Kläger und seine Schwester in Erbengemeinschaft einerseits und die Beklagten andererseits die Auflassung bezüglich des Grundstücks mit der Maßgabe erklärten, daß das Eigentum von der Erbengemeinschaft unmittelbar auf die Beklagten übergehen sollte. Der Kläger erhielt für die Gewerberäume ein Dauernutzungs- und für seine Wohnung ein Dauerwohnrecht. Beides lösten die Beklagten später ab. Wegen der in jenem Prozeß gegen seine Schwester festgesetzten Kosten betrieb der Kläger erfolglos die Zwangsvollstreckung.

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Das Landgericht hat die Beklagten antragsgemäß verurteilt. Die Berufung der Beklagten ist zurückgewiesen worden. Die zugelassene Revision führte zur Klageabweisung.

Entscheidungsgründe

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1. Das Kammergericht hält die Klage für begründet, weil die Beklagten das Vermögen der Schwester des Klägers gemäß § 419 BGBübernommen hätten. Zwar habe das Grundstück niemals in deren Eigentum gestanden. Obwohl die Beklagten das Eigentum an dem Grundstück von der Erbengemeinschaft erworben hätten, müsse das Grundstück aber bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise als im Vermögen der Schwester des Klägers befindlich gewesen angesehen werden. (von der weiteren Darstellung wird abgesehen)

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Dagegen wendet sich die Revision mit der Erwägung, die Vorfrage für den Anwendungsbereich von § 419 BGB, ob ein übertragener Gegenstand überhaupt Vermögen des Übertragenden sei, könne nur aufgrund rechtlicher Zuordnung beantwortet werden. Die vom Berufungsgericht in den Vordergrund gestellte wirtschaftliche Betrachtungsweise sei erst in einem späteren Stadium der Prüfung, nämlich dann angebracht, wenn entschieden wird, ob die von der Übertragung ausgeschlossenen Gegenstände im Verhältnis zum ganzen unbedeutend sind.

7

Ob diese Überlegung zutrifft (vgl. auch Koenig NJW 1971, 1174 gegen BGHZ 55, 105 [BGH 18.12.1970 - IV ZR 1082/68]), kann indessen offenbleiben. Es kann unterstellt werden, daß die Schwester des Klägers durch den Kaufvertrag und den Vergleich ihr wesentliches Vermögen auf die Beklagten übertragen hat. Auch vom Bestehen der Gläubigerforderung im maßgeblichen Zeitpunkt kann ausgegangen werden (vgl. BGH Urteil vom 6. Dezember 1974 - V ZR 86/73 - NJW 1975, 304 = LM Nr. 29 zu § 419 BGB). Der Tatbestand des § 419 BGB ist aus einem anderen Grunde nicht gegeben.

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2. Die Anwendung dieser Bestimmung scheitert daran, daß der Kläger selbst bei der Vermögensübertragung maßgeblich mitgewirkt hat. Das hat er getan, ohne für eine Sicherung der Forderung gegen seine Schwester zu sorgen.

9

a) Zwar sah die Teilungsanordnung der Eltern die Übernahme des Hausgrundstücks durch seine Schwester vor. Auch ist dem Kläger zuzugeben, daß er zur Durchsetzung dieses Willens seiner Eltern mit seiner Schwester gemeinschaftlich verfügen mußte, § 2040 BGB. Er brauchte aber das Eigentum am Nachlaßgrundstück nicht direkt und nicht ohne Sicherungsmaßnahmen hinsichtlich seiner (etwaigen) Kostenforderungen auf die Beklagten zu übertragen. Der Kläger hatte wegen der Durchsetzung seiner eigenen Beteiligung an der Erbschaft, die letztlich in Gestalt des Dauernutzungs- und des Dauerwohnrechts ihm auch eingeräumt worden ist, jahrelang prozessiert. Im Vergleich vom 11. Oktober 1984 erklärte er unter II ausdrücklich alle übrigen Ansprüche mit besonderer und bewußter Ausnahme der noch ausstehenden Kostenregelungen für erledigt. Hinsichtlich dieser offenbleibenden Forderung hat er sich dennoch keine Sicherung vorbehalten.

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b) Soweit zu übersehen, ist in der Rechtsprechung zu § 419 BGB bislang noch kein Fall entschieden worden, in welchem der Gläubiger selbst bei dem Übertragungsakt mitgewirkt hat.

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Das Reichsgericht hat allerdings schon frühzeitig erkannt, daß dann, wenn dem in § 419 BGB geschützten Gläubigerinteresse bereits anderweitig Genüge geschehen ist, eine Anwendung dieser Bestimmung nicht mehr in Frage kommt. Es hat deshalb bei vorausgegangener Liquidation die Anwendung abgelehnt (RGZ 92, 77, 85 ff.). Der Bundesgerichtshof hat in neuerer Zeit § 419 BGB als Ausnahmevorschrift bezeichnet und gegenüber einer ausdehnenden Anwendung deutliche Zurückhaltung erkennen lassen (BGHZ 62, 100, 102;  80, 296, 300) [BGH 13.05.1981 - VIII ZR 117/80].

12

Die Kritik des Schrifttums (Erman/H.P. Westermann, BGB 7. Aufl. § 419 Rdn. 1; MünchKomm/Möschel 2. Aufl. § 419 Rdn. 3 und 4; umfassend Schricker JZ 1970, 265 A mit eingehendem Nachweis auch von Dissertationen bis 1969 in Fn. 42; Kritik in späteren Dissertationen z. B.: Viotto, Köln 1970, S.. 39 f. und 56 f.; Brenner, Regensburg 1974, S. 82 ff. und 104 ff.; Gördes, Bielefeld 1970, S. 80 ff.; de Buhr, Bielefeld 1981, S. 3 ff. und 18 ff.; gl. weiter Wilburg, Festschrift für Larenz 1973, S. 661 ff.; Eisemann AcP 176 - 1976 - 487, 511 ff.; Lambsdorff/Lewental NJW 1977, 1854, 1856 f.) reicht bis zu dem Vorschlag, den besonderen Gläubigerschutz des § 419 BGB völlig zu streichen (so z. B. Wilburg, aaO S. 671 und Lambsdorff/Lewental aaO S. 1857). Art. 8 des 1988 vom Bundesministerium der Justiz vorgelegten Entwurfes einer Insolvenzordnung sieht die Aufhebung des § 419 BGB vor (zur Begründung vgl. Entwurf S. B 322 ff.).

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c) § 419 BGB dient vorrangig dem Gläubigerschutz. Die Rechtfertigung für den Haftungsübergang liegt in dem Gedanken, daß das Vermögen des Schuldners die natürliche Grundlage für diesem gewährte Kredite ist, daß da, wo die Vermögensmasse des Schuldners geblieben ist, dessen Gläubiger Befriedigung sollen suchen und finden können (h. M. im Anschluß an RGZ 69, 283, 288). Nach dem Sinn und Zweck des § 419 BGB soll dem Gläubiger sein Zugriffsobjekt erhalten bleiben (BGHZ 62, 100, 101; Urteil vom 9. März 1972 - III ZR 191/69 - BB 1972, 729); es geht um Vermögenswerte, die der Schuldner dem Gläubigerzugriff entziehen will. Rechtsprechung und Schrifttum setzen demgemäß immer voraus oder betonen sogar ausdrücklich, daß der in § 419 BGB als Übernahme des Vermögens bezeichnete Vorgang für den Gläubiger den dauernden Entzug des Zwangsvollstreckungsobjektes mit sich bringt (vgl. z. B. BGHZ 66, 217, 219 [BGH 19.02.1976 - III ZR 75/74];  80, 296, 300 f. [BGH 13.05.1981 - VIII ZR 117/80];  83, 122, 128: »Verflüchtigung von Vollstreckungsobjekten«; Urteil vom 7. März 1985 - III ZR 90/83 - WM 1985, 866 unter II 2 »auf Dauer entzieht«, so auch Urteil vom 20. März 1986 - IX ZR 88/85 - NJW 1986, 1985, 1988; MünchKomm/Möschel 2. Aufl. Rdn. 1 und 25; Soergel/Zeiss, BGB 11. Aufl. Rdn. 1; Palandt/Heinrichs, BGB 48. Aufl. Anm. 1a und 3a; Jauernig/Stürner, BGB 4. Aufl. Anm. 1).

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Bei der Übernahme im Sinne von § 419 BGB handelt es sich demnach um einen dem Gläubigerwillen zuwiderlaufenden Vorgang. Gibt der Gläubiger aus freien Stücken das Haftungsobjekt selbst weg, dann kann von Entzug keine Rede sein. Negatives Tatbestandsmerkmal des in § 419 BGB beschriebenen Vorganges ist, daß der Gläubiger nicht etwa freiwillig bei dem Übertragungsakt mitwirkt. Tut er das, dann begibt er sich des besonderen Schutzes dieser Ausnahmevorschrift, dann ist für die Anwendung von § 419 BGB kein Raum mehr.

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Der Gläubiger ist vor dem Erwerber aufgerufen, für seinen eigenen Schutz zu sorgen. Er ist »näher dran«. Wenn der Gläubiger selbst bei der Übertragung des Vermögensstückes beteiligt ist, dann ist ihm klar, daß jedenfalls dieses Vermögensstück nicht mehr Gegenstand etwaiger Vollstreckungsmaßnahmen wegen seiner Forderungen sein kann. Deshalb hat umgekehrt der Erwerber nicht einmal Anlaß zu Mißtrauen. Er braucht also, wenn der Gläubiger selbst das Haftungsobjekt weggibt, nicht zu befürchten, aufgrund der Ausnahmebestimmung des § 419 BGB wegen der bei der Weggabe - wie hier in dem unter Beitritt der Beklagten geschlossenen Vergleich - sogar angesprochenen Forderungen des Gläubigers herangezogen zu werden. Er wird und kann sich darauf verlassen, daß der Gläubiger sich rechtzeitig vergewissert hat, was es für ihn selbst bedeutet, dieses Haftungsobjekt zu verlieren.

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3. Dem steht nicht entgegen, daß im vorliegenden Fall offengeblieben ist, ob der Kläger die wirtschaftliche Lage seiner Schwester in allen Einzelheiten kannte. Das Berufungsurteil hat seine Kenntnis lediglich unterstellt. Auf diese Kenntnis kommt es jedoch nicht an.

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a) Das subjektive Korrektiv der Kenntnis hat nur Bedeutung für den Erwerber. Es ist der Ausgleich dafür, daß der Erwerber sogar dann zur Haftung herangezogen wird, wenn er durch ein alltägliches Rechtsgeschäft wie z. B. den Kauf eines Hauses nur ein einziges Vermögensstück entgeltlich erwirbt, was nicht von vornherein Anlaß zum Verdacht gibt. Bei der Abwägung der Interessen des Gläubigers an der Erhaltung seines Vollstreckungsobjektes und derjenigen des Erwerbers, nicht für etwaige Schulden des früheren Eigentümers haften zu müssen, war dieses den Erwerber begünstigende Korrektiv erforderlich, damit überhaupt dem zumindest gleichrangigen Verkehrsschutzinteresse (BGHZ 106, 253 unter III 2 a zu § 1365 BGB) Rechnung getragen werden kann. Immerhin haftet der Erwerber schon dann, wenn er die Verhältnisse kennt, aus denen sich ergibt, daß das einzelne Vermögensstück, welches ihm übertragen worden ist, im wesentlichen das Vermögen des Veräußerers ausmacht. Demgegenüber ist der Gläubiger, der ein Haftungsobjekt weggibt, wie bereits ausgeführt »näher dran«. Überdies hat im Regelfall der Kreditgewährung, nämlich durch Banken, die dieses Geschäft gewerbsmäßig betreiben, der Gläubiger erheblich bessere Möglichkeiten zur Überprüfung der Verhältnisse beim Schuldner/Veräußerer als der Erwerber.

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b) Das Berufungsgericht beruft sich dafür, daß eine etwaige Zustimmung des Gläubigers nicht maßgeblich sei, auf die Meinung des Reichsgerichts (RGZ 148, 257, 264). Diese Meinung ist angesichts der Entwicklung und der sie berücksichtigenden Entscheidung des Gesetzgebers überholt. Nach § 1365 BGB kann ein Ehegatte trotz der sich aus dem gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft ergebenden Berechtigungen des anderen Ehegatten mit dessen sogar durch das Vormundschaftsgericht ersetzbarer Einwilligung über sein Vermögen im ganzen verfügen. Allerdings ist bei einer vergleichenden Heranziehung dieser Vorschrift deren anderer Sinn und Zweck zu berücksichtigen (BGHZ 77, 293, 296 f.). Möglicherweise hat dieser andere Zweck gegenüber dem allgemeinen Gläubigerschutz jedenfalls in heutiger Zeit sogar größeres Gewicht. Für die Frage, ob ein Gläubiger sich seines gesetzlichen Rechtes durch Zustimmung soll begeben könne, muß die in § 1365 BGB getroffene Entscheidung des Gesetzgebers jedenfalls beachtet werden. Genügt aber im Rahmen des Familienschutzes schon die formlose und nur konkludent erklärte Einwilligung (MünchKomm/Gernhuber 2. Aufl. § 1365 Rdn. 83 und 84), dann rechtfertigt die vom Gläubiger durch eigenes Mitwirken vollzogene Aufgabe seines Zugriffsobjektes die Nichtanwendung des § 419 BGB allemal.