Bundesgerichtshof
Urt. v. 10.01.1985, Az.: III ZR 93/83
Beweislast für das Vorliegen eines Darlehensvertrages; Auslegung einer Geldhingabe als Schenkung zwischen nicht miteinander verheirateten Partnern; Auslegung von Aufwendungen in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft; Sachdienlichkeit einer Klageänderung
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 10.01.1985
- Aktenzeichen
- III ZR 93/83
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1985, 14002
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- KG Berlin - 08.04.1983
- LG Berlin
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- MDR 1985, 741 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1985, 1841-1842 (Volltext mit amtl. LS)
Prozessführer
Petra Annegret H., Dietrich-S.-Straße ..., K.,
Prozessgegner
Margarete Meta Kn., B. allee ..., Be.,
Amtlicher Leitsatz
Eine Klageänderung kann sachdienlich sein, wenn der Kläger einen neuen Klagegrund einführt und sich hierbei hilfsweise das Verteidigungsvorbringen des Beklagten zu eigen macht.
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
hat auf die mündliche Verhandlung vom 10. Januar 1985
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Krohn
und die Richter Dr. Tidow, Kröner, Dr. Halstenberg und Dr. Werp
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 21. Zivilsenats des Kammergerichts vom 8. April 1983 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Rückzahlung von Darlehen in Anspruch.
Die Beklagte ist die Alleinerbin ihres am 15. April 1980 verstorbenen Ehemannes. Seit dem Jahr 1972 lebte die Klägerin mit ihm in eheähnlicher Gemeinschaft. Der Erblasser und die Klägerin besaßen nebeneinander liegende Eigentumswohnungen. Im Jahre 1977 sollte die Wohnung des Erblassers als Heilpraktiker-Praxis eingerichtet werden. Die Klägerin bezahlte auf den Erblasser ausgestellte Rechnungen für die Einrichtung der Räume in Höhe von mehr als 40.000,- DM.
Die Klägerin hat vorgetragen: Dem Erblasser hätten die für die Einrichtung der Praxis erforderlichen Mittel gefehlt. Deshalb habe sie ihm diese darlehensweise zur Verfügung gestellt. Der Erblasser habe diese Leistungen zurückerstatten sollen, sobald er dazu in der Lage sei.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 42.819,71 DM nebst Zinsen zu zahlen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat geltend gemacht, die Klägerin habe die Aufwendungen nicht für den Erblasser allein gemacht; sie habe vielmehr die Praxis zusammen mit dem Erblasser gemeinsam betreiben wollen. Zu diesem Zweck habe sie einen Lehrgang für Heilpraktiker besucht und auch erfolgreich abgeschlossen. An eine Rückforderung der aufgewendeten Mittel habe die Klägerin nicht gedacht. Soweit diese Leistungen dem Erblasser zugute gekommen seien, habe es sich um Schenkungen gehandelt. Wenn die Klägerin ihm sonst Geld geliehen habe, habe er entsprechende Quittungen ausgestellt.
Die Klägerin hat erwidert: Der Erblasser habe die Praxis allein betreiben sollen. Ihr selbst habe die dafür erforderliche berufliche Qualifikation gefehlt.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin den Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1.
Zutreffend hat das Berufungsgericht die Klägerin als beweispflichtig für den von ihr behaupteten Anspruch auf Rückzahlung eines Darlehens angesehen (Senatsurteil vom 24. Mai 1976 - III ZR 63/74 = WM 1976, 974, 975 und Palandt/Putzo BGB 44. Auflage § 607 Anm. 4, jeweils m.w.Nachw.).
2.
Dem Berufungsgericht ist entgegen der Meinung der Revision auch darin beizutreten, daß die Klägerin für den Abschluß eines Darlehensvertrages zwischen ihr und dem Erblasser beweisfällig geblieben ist.
a)
Das Berufungsgericht geht davon aus, daß die Klägerin, die mit dem Erblasser seit Jahren zusammenlebte, die Gelder in der Hoffnung zur Verfügung gestellt hat, von den erwarteten Praxiseinnahmen werde der gemeinsame Lebensunterhalt bestritten werden können. Diese Auffassung ist mit dem festgestellten Sachverhalt vereinbar. Was die Revision dagegen vorbringt, stellt im Ergebnis einen im Revisionsrechtszug unzulässigen Angriff gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts dar.
Wesentliche Umstände sind vom Berufungsgericht nicht übersehen worden. Es hat berücksichtigt, daß der Klägerin keine gesetzlichen Erbansprüche gegen den Erblasser zustanden. Ob und wann mit dem Tode des Erblassers zu rechnen war, brauchte das Berufungsgericht mangels näherer Anhaltspunkte für ein alsbald zu erwartendes Ableben des Erblassers nicht zu prüfen.
Insbesondere "zwingt" die Lebenserfahrung nicht, wie die Revision meint, zu der Annahme, die Klägerin müsse das Geld dem Erblasser als Darlehen überlassen haben. Die Rüge der Revision, das angefochtene Urteil verstoße gegen Grundsätze der Logik, wenn es "offenbar" eine Schenkung annehme, aber gleichwohl feststelle, die erhofften Praxiseinnahmen hätten dem gemeinsamen Unterhalt dienen sollen, geht schon deshalb fehl, weil das Berufungsgericht eine Schenkung der umstrittenen Beträge nicht festgestellt hat.
3.
Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, daß die Klägerin Ersatz ihrer Aufwendungen in Geld nach gesellschaftsrechtlichen oder gemeinschaftsrechtlichen Regeln verlangen kann.
a)
Bei einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft stehen allerdings die persönlichen Beziehungen derart im Vordergrund, daß, sofern nichts besonderes vereinbart ist, weder in persönlicher noch in wirtschaftlicher Hinsicht eine Rechtsgemeinschaft besteht. Dementsprechend werden persönliche und wirtschaftliche Leistungen grundsätzlich nicht gegeneinander auf- oder abgerechnet (BGHZ 77, 55, 58). Aufwendungen trägt danach ersatzlos jeweils der Partner, der sie aufbringen kann. Darunter fallen grundsätzlich auch Aufwendungen, die der Einrichtung eines Betriebes eines der Partner und der Begründung oder Erweiterung der Lebensgrundlage der Gemeinschaft zu dienen bestimmt sind (BGH Urteil vom 3. Oktober 1983 - II ZR 133/82 - FamRZ 1983, 1213, 1214; BGH Urteil vom 23. Februar 1981 - II ZR 124/80 = WM 1981, 526, jeweils m.w.Nachw.).
b)
Eine Auseinandersetzung nach gesellschaftsrechtlichen oder gemeinschaftsrechtlichen Regeln kommt erst in Betracht, wenn der mit den Aufwendungen eines Partners geschaffene Wert nach dem Willen beider Partner ihnen nicht nur zur gemeinsamen Nutzung dienen, sondern auch - mindestens wirtschaftlich - gemeinsam gehören soll (BGHZ 84, 388, 390; 77, 55, 57). Ansprüche auf dieser Grundlage kommen hier in Betracht.
Die Erträge der Praxis sollten beiden Partnern zugute kommen. Davon geht das Berufungsgericht im Anschluß an den Vortrag der Klägerin aus und stellt damit zugleich den Rechtsgrund für die Hingabe der Gelder fest. Daraus allein folgt zwar noch nicht, daß mit den Aufwendungen ein beiden Partnern gemeinsam gehörender Wert geschaffen werden sollte. Für einen dahingehenden Willen der Partner kann indes sprechen, daß sie Darlehen, die die Klägerin dem Erblasser gewährt hat, stets als solche behandelt haben. Wenn sie das hier bei wesentlich größeren Beträgen als den darlehensweise gegebenen anders gehandhabt haben, so spricht dies nicht nur gegen eine Hingabe der hier interessierenden Aufwendungen als Darlehen, sondern auch für die Annahme, daß die damit erworbene Praxiseinrichtung nicht dem Erblasser allein gehören, sondern der Gemeinschaft als gemeinsamer Wert verbleiben sollte. Da eine Schenkung ebenso wie ein Darlehen nach den Feststellungen des Berufungsgerichts als Rechtsgrund für die Hergabe der Gelder ausscheidet, liegt es nahe, daß die Klägerin damit einen Beitrag zum Aufbau einer gemeinsamen Praxis und zur gemeinsamen Alterssicherung leisten wollte.
Allerdings hat die Klägerin stets betont, der Erblasser habe die Praxis "allein führen" sollen. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob dies zutrifft. Nach ihrer Vorbildung hätte die Klägerin möglicherweise in der Praxis mitarbeiten können. Diese Frage braucht auch jetzt nicht abschließend geklärt zu werden. Selbst wenn der Erblasser die Praxis nach außen allein hätte führen sollen, würde dies nicht ausschließen, daß sie beiden - zumindest wirtschaftlich - gemeinsam gehören sollte. Das Berufungsgericht hat nicht berücksichtigt, daß der Vortrag der Klägerin eine Einigung der Partner über den Betrieb der Praxis in Gestalt einer Innengesellschaft nicht ausschließt (vgl. MünchKomm/Ulmer vor § 705 Rn. 40, 45, 51; § 705 Rn. 192 ff und die Nachweise bei Palandt/Thomas, BGB 44. Aufl. § 705 Anm. 8). Eine derartige Gesellschaft braucht kein Gesamthandsvermögen zu haben. Daß der Erblasser die Praxis "allein führen" sollte, steht daher der Annahme nicht entgegen, er habe zwar nach außen Alleinberechtigter sein sollen, im Innenverhältnis hätten jedoch beide Partner an der Substanz der Praxis ihrem Werte nach teilhaben und die Klägerin auf einen Auseinandersetzungsanspruch in Geld verwiesen sein sollen (vgl. BGH Urteil vom 9. Oktober 1974 - IV ZR 164/73 - WM 1974, 1162, 1164; weitere Nachweise bei Ulmer a.a.O. § 730 Rn. 10).
Es fehlt aber für diese Anspruchsgrundlage an ausreichenden Feststellungen, weil das Berufungsgericht eine von der Klägerin beantragte Erklärungsfrist zur Umstellung der Klage auch auf gesellschaftsrechtliche Ansprüche als nicht sachdienlich abgelehnt hat. Es hat dabei jedoch den Begriff der Sachdienlichkeit verkannt, wie die Revision zutreffend rügt.
4.
Allerdings hat das Berufungsgericht den von der Klägerin in der Berufungsverhandlung gestellten Antrag auf Gewährung einer Erklärungsfrist, um den Klageanspruch auch auf Gesellschaftsvertrag stützen zu können, im Ergebnis zutreffend wie eine Klageänderung behandelt. Bei der angekündigten weiteren Begründung der Klage handelte es sich zwar nicht um den typischen Fall einer Klageänderung durch Austausch verschiedener prozessualer Ansprüche, sondern um eine nachträgliche Klagehäufung in Eventualstellung nach § 260 ZPO; denn die Klägerin wollte neben dem bisherigen Anspruch hilfsweise einen auf einen anderen Lebenssachverhalt gestützten Anspruch geltend machen. Eine solche nachträgliche Klagehäufung ist aber wie eine Klageänderung zu behandeln (BGH Urteile vom 5. Mai 1983 - VII ZR 117/82 = WM 1983, 1162, 1163; vom 29. April 1981 - VIII ZR 157/80 = WM 1981, 798, 799; vom 15. Oktober 1969 - VIII ZR 136/67 - WM 1969, 1346, 1347 - jeweils m.w.Nachw.).
a)
Da die Beklagte der beabsichtigten Klageänderung widersprochen hatte, konnte das Berufungsgericht sie nach § 263 ZPO nur zulassen, wenn es sie für sachdienlich erachtete. Das Berufungsgericht hat das mit der Begründung verneint, es müsse dann eine Auseinandersetzung nach § 727, 730 BGB stattfinden, mithin sei also über einen anderen Streitstoff als die bisher behauptete Darlehenshingabe zu entscheiden. Außerdem verzögere die Zulassung der Klageänderung auch die Erledigung des entscheidungsreifen Rechtsstreits. Diese Auffassung ist von Rechtsirrtum beeinflußt.
b)
Bei der Zulassung einer Klageänderung handelt es sich allerdings um eine Ermessensfrage. Das Revisionsgericht kann die Ermessensausübung des Tatrichters nur darauf nachprüfen, ob dieser den Begriff der Sachdienlichkeit und damit die Grenzen seines Ermessens überschritten hat (BGH Urteil vom 21. Februar 1975 - V ZR 148/73 - WM 1975, 600, 601 m.w.Nachw.). Das war hier der Fall, wie die Revision mit Recht rügt.
Nach ständiger Rechtsprechung kommt es für die Frage, ob eine Klageänderung sachdienlich ist, nicht auf die subjektiven Interessen der Partei an, sondern allein auf die objektive Beurteilung, ob und inwieweit die Zulassung der Klageänderung den sachlichen Streitstoff im Rahmen des anhängenden Rechtsstreits ausräumt und einem andernfalls zu gewärtigenden weiteren Rechtsstreit vorbeugt (BGHZ 1, 65, 71) [BGH 17.01.1951 - II ZR 16/50]. Maßgebend ist der Gesichtspunkt der Prozeßwirtschaftlichkeit (BGH Urteil vom 21. Februar 1975 aaO). Deshalb steht der Sachdienlichkeit einer Klageänderung im Berufungsrechtszug regelmäßig nicht entgegen, daß der Beklagte im Fall ihrer Zulassung eine Tatsacheninstanz verliert (BGHZ 1, 65, 72) [BGH 17.01.1951 - II ZR 16/50].
Ebensowenig berührt es die Zulässigkeit einer Klageänderung, daß aufgrund ihrer Zulassung neue Parteierklärungen und Beweiserhebungen nötig werden und dadurch die Erledigung des Prozesses verzögert wird (BGH Urteil vom 5. Mai 1983 - VII ZR 117/82 aaO).
Die Sachdienlichkeit einer Klageänderung ist hingegen im allgemeinen zu verneinen, wenn ein völlig neuer Streitstoff in den Rechtsstreit eingeführt werden soll, bei dessen Beurteilung das Ergebnis der bisherigen Prozeßführung nicht verwertet werden kann (BGH Urteil vom 14. März 1983 - II ZR 102/82 - WM 1983, 604, 605 m.w. Nachw.).
c)
Die Zulassung der Klageänderung entsprach hier der Prozeßwirtschaftlichkeit. Sie beugte einem sonst sicher zu erwartenden zweiten Prozeß vor. Insbesondere wurde aber entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts der bisherige Streitstoff durch Umstellung der Klage auch auf gesellschaftsrechtliche Auseinandersetzungsansprüche nicht gegenstandslos. Der entsprechende Sachvortrag war nämlich schon durch die Beklagte in den Prozeß eingeführt worden. Die Klägerin hat, was das Berufungsgericht nicht hinreichend gewürdigt hat, in zulässiger Weise sich dieses Vorbringen zu eigen gemacht. Mit der Ankündigung, die Klage "auch auf Gesellschaftsvertrag stützen" zu wollen, brachte die Klägerin ausreichend deutlich zum Ausdruck, sie wolle sich nunmehr auch den Vortrag der Beklagten zu eigen machen, daß die Praxis von beiden Partnern gemeinsam "betrieben" werden sollte.
Die Klägerin widersprach damit zwar ihrem Hauptvorbringen, das einen solchen rechtsgeschäftlichen Willen leugnete. Der Partei ist es jedoch nicht verwehrt, sich das Vorbringen der anderen Partei hilfsweise selbst dann zu eigen zu machen, wenn es mit dem eigenen Hauptvortrag nicht vereinbar ist, sofern sie dadurch nur ihre Wahrheitspflicht nicht verletzt (BGHZ 19, 387, 390 [BGH 25.01.1956 - V ZR 190/54]; BGH Urteile vom 3. Februar 1984 - V ZR 190/82 = VersR 1984, 537, 538 und vom 3. Juni 1959 - V ZR 155/58 = MDR 1959, 834; Leipold bei Stein/Jonas ZPO 20. Aufl. vor § 128 Rn. 80, und § 138 Rn. 2; Stephan bei Zöller ZPO 14. Aufl. § 138 Rn. 4; Hartmann bei Baumbach/Lauterbach ZPO 43. Auflage § 138 Anm. 1 B; Thomas/Putzo ZPO 12. Aufl. § 138 Anm. I 2 c jeweils m.w.Nachw.).
Das Berufungsgericht hat die Unrichtigkeit des Vorbringens der Beklagten und damit auch des hilfsweisen Vorbringens der Klägerin nicht festgestellt. Es fehlt ferner ein Anhalt dafür, daß die Klägerin das Vorbringen der Beklagten jemals "vorbehaltlos" (Leipold bei Stein/Jonas a.a.O. vor § 128 Rn. 80) bestritten hat, soweit es die auf eine Innengesellschaft hindeutenden Umstände betrifft.
5.
Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben. Da noch weitere Feststellungen zu treffen sind, ist die Sache an das Berufungsgericht zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Tidow
Kröner
Halstenberg
Werp