Wer auffährt hat immer Schuld?

Strafrecht und Justizvollzug
18.08.20061115 Mal gelesen

Schnell ist es beim Autofahren passiert: für den Bruchteil einer Sekunde ist man abgelenkt und schon hängt man auf dem vorderen Wagen. Auffahrunfälle ziehen oft teure Reparaturen nach sich. Rechtlich gilt hier allgemein: Wer auffährt, hat Schuld!
Doch diese Faustregel trifft nicht immer zu und die Sachverständigen und Gerichte entscheiden differenzierter. In der Regel wird vorausgesetzt, dass ein Auffahrunfall durch zu hohe Geschwindigkeit und zu geringen Abstand zum Vordermann verursacht wird.
Als Idealfahrer und Idealfahrerin muss man sich vorausschauend im Straßenverkehr bewegen und einen Abstand zu anderen Verkehrsteilnehmern einhalten, der es noch erlaubt, auf unvorhersehbare Ereignisse zu reagieren.

Nicht immer hat der Fahrer des hinteren Wagens geträumt, wenn es zu einem Auffahrunfall kommt. Wenn es kracht, dann spricht erstmal der Beweis des ersten Anscheins für die volle Schuld des Auffahrenden.

Doch ein Unfall kann sich anders zugetragen haben, als es der erste Anschein vermuten lässt. Wenn der Vorfahrende zum Beispiel völlig unvermittelt eine Vollbremsung macht und das zu einem Auffahrunfall führt, dann ist die Schuldfrage von den Umständen des Einzelfalls abhängig.
Wer eine Vollbremsung riskiert, weil eine Taube, ein Igel oder andere kleine Tiere über die Straße laufen, muss unter Umständen die Hälfte des Schadens tragen. Anders verhält es sich beim Abbremsen für große Tiere, da hier eine Kollision gefährliche Folgen für den Menschen haben könnte.

Wer keine Zeugen für den Unfallhergang hat, sollte in strittigen Fällen am besten einen Anwalt zu Rate ziehen. Juristische Feinheiten und der individuelle Unfallvorgang können die Faustregel bei Auffahrunfällen außer Kraft setzen. Schwierig wird die Schuldeinschätzung bei Massenkarambolagen, den so genannten Kettenunfällen auf der Autobahn. Wird hier ein rechtzeitig anhaltendes Fahrzeug von einem sich zu schnell nähernden Fahrzeug von hinten gerammt, passiert es nicht selten, dass es schuldlos in das davorstehende Fahrzeug geschoben wird.

Es muss rekonstruiert werden, wie es sich wirklich zugetragen hat. Der hintere Fahrzeugführer ist in der Pflicht zu beweisen, dass er den Unfall nicht verschuldet hat, auch dann, wenn beispielsweise an der roten Ampel der vordere Wagen einfach auf sein Fahrzeug gerollt ist. Eine Schadensverteilung kann der Haftpflichtversicherer oder ein Gericht zum Beispiel anordnen, wenn ein Autofahrer zu plötzlich die Spur wechselt. Fährt dann ein schnell herankommendes Fahrzeug auf, hat der Auffahrende unter Umständen nur eine Teilschuld.

In einem Urteil des Amtsgerichts Nürnberg (Az. 13 C 4238/05) wurde einer auffahrenden Autofahrerin kürzlich Recht gegeben.
In dem verhandelten Fall hatte ein Autofahrer abrupt gebremst, als ein Eichhörnchen auf die Fahrbahn lief. Dadurch war es zu einem Unfall mit dem nachfolgenden Fahrzeug gekommen.
Der Vorausfahrende wollte daraufhin von der Versicherung des Auffahrenden den gesamten Schaden ersetzt bekommen.
Diese Forderung lehnten die Richter ab:
Das Verschulden liege zwar hauptsächlich beim Nachfahrenden, der keinen ausreichenden Sicherheitsabstand eingehalten habe. Der bremsende Autofahrer habe aber immer dann eine Mitschuld, wenn er abrupt bremst, obwohl das nicht nötig sei. Die Mitschuld beträgt nach Worten der Richter in diesem Fall 25 Prozent. Erstattet wurden daher lediglich 75 Prozent des Schadens.

Nicht nur dieses Urteil zeigt, dass nach jedem (scheinbar) eindeutigen Unfall ein versierter Anwalt zu Rate gezogen werden muss, um eine interessengerechte Wahrung der Interessen zu gewährleisten.
Hierfür stehen wir gerne zur Verfügung.