Sonderrechtsfahrt - Wann Spitzenpolitiker zu schnell fahren dürfen

Strafrecht und Justizvollzug
06.01.20081705 Mal gelesen

Begeht der Fahrer eines Spitzenpolitikers in Ausübung seines Dienstes eine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung darf dieser Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung in vielen Fällen nicht geahndet werden. Der Grund sind die polizeilichen Sonderrechte nach § 35 Abs.1 der Straßenverkehrsordnung (StVO). Gemäß dieser Vorschrift ist die Polizei grundsätzlich uneingeschränkt von den Regeln der Straßenverkehrsordnung freigestellt, soweit das zur Erfüllung ihrer Dienstaufgaben dringend geboten ist.

Spitzenpolitiker genießen in der Regel Personenschutz. Dieser stellt eine polizeiliche Aufgabe dar, was den Anwendungsbereich für § 35 Abs.1 StVO eröffnet. Der Begriff "Polizei" im Sinne dieser Vorschrift umfasst alle Beamten, die nach den Polizeiaufgabengesetzen oder aufgrund anderer Bestimmungen Polizeiaufgaben hoheitlicher Art zu erfüllen haben. Der Polizeibegriff ist somit weit definiert und umfasst z.B. auch Hilfspolizeibeamte, denen nach Landesrecht polizeiliche Befugnisse zukommen.

Für diese Sonderrechtsfahrer ist die Geltung der Verkehrsvorschriften nicht aufgehoben; sie dürfen aber unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung schneller fahren als sonst erlaubt, rechts überholen, an roten Ampeln und Stoppschildern weiterfahren, im Halteverbot und auf Grünflächen parken etc. . Dabei muss übrigens auch nicht zwingend Horn oder Blaulicht benutzt werden.
Fahrer, die berechtigt das Sonderrecht in Anspruch nehmen sind aber nicht vollständig von der Pflicht zur Beachtung der allgemeinen Sorgfaltspflicht und erst recht nicht vom allgemeinen Gefährdungsverbot der StVO befreit. Insbesondere dürfen durch eine Sonderrechtsfahrt die Belange anderer Verkehrsteilnehmer nicht unangemessen beeinträchtigen werden.. Das heißt, der übrige Verkehr darf von einem Sonderrechtsfahrzeug allenfalls nur belästigt und behindert, nicht aber konkret gefährdet oder gar geschädigt werden.

Ein Verstoß gegen Verkehrsregeln durch einen Beamten mit polizeilichen Aufgaben bzw. den Fahrer eines Spitzenpolitikers darf also nur bei Vorliegen der folgenden Voraussetzungen wegen Eingreifens der Sonderrechte nach § 35 StVO nicht geahndet werden:

1. Der Verstoß muss anlässlich einer Fahrt in Erfüllung öffentlicher Aufgaben erfolgen
(wobei der Beamte sich aber nicht in der Dienstzeit befinden muss).

2. Das Außerachtlassen der Verkehrsregeln muss dringend geboten sein.
Dieses Merkmal ist nur erfüllt, wenn die öffentliche Aufgabe von gewissen sachlichen
Gewicht nicht auch bei Einhaltung der Verkehrsregeln ordnungsgemäß und so schnell wie
zum allgemeinen Wohl erforderlich erfüllt werden konnte.

3. Eine vor und während der Inanspruchnahme der Sonderrechte zu treffende
Ermessensabwägung mit dem Ergebnis, dass eine unangemessene Beeinträchtigung der
kollidierenden Belange anderer Verkehrsteilnehmer hinreichend auszuschließen ist
(Übermaßverbot).

Verursacht der Sonderrechtsfahrer doch einmal eine konkrete Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer oder gar einen Unfall hilft § 35 StVO nicht weiter. Dann wäre zu prüfen, ob das gefährdende Fahrverhalten nach § 16 OWiG gerechtfertigt war. Dies kommt aber nur in einer Notstandssituation, wie sie etwa in einer Katastrophensituation vorliegen kann, in Betracht.

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Hinweis des Verfassers:

Der Beitrag nimmt teilweise Bezug auf OLG Hamm, Beschl. v.  19.9.2002 (4 Ss OWi 776/02).