Seit dem EU-Beitritt Tschechiens haben dort zahlreiche Deutsche, denen die Fahrerlaubnis entzogen worden ist, nach Ablauf der Sperrfrist eine neue Fahrerlaubnis unter Umgehung des Wohnsitzerfordernisses (185-Tage-Regelung) erworben. Derzeit wird in Tschechien eine Änderung des Straßenverkehrsgesetzes vorbereitet, die den Führerscheintourismus unterbinden soll. Es ist dann vorgesehen, dass künftig Führerscheine nur noch an Fahrschüler ausgestellt werden, die einen festen Wohnsitz in Tschechien tatsächlich nachweisen. Die Änderung soll zum 1.7.2006 in Kraft treten.
Die Rechtsprechung zur Frage der Anerkennung in solcher Art ausgestellter Führerscheine ist bislang uneinheitlich. Die derzeit wohl überwiegende Meinung der obergerichtlichen Rechtsprechung hält es aufgrund des Annerkennungsgrundsatzes nach Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439 EWG (sog. EU-Führerscheinrichtlinie) für unzulässig, die im Ausland erworbene Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn diese nach Ablauf der Sperrfrist erworben wurde. Anders zu beurteilen seien nur die Fälle, in denen sich nach Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis erneut Eignungsbedenken zeigen.
Es gibt in der obergerichtlichen Rechtsprechung aber auch abweichende Ansichten. So lehnt es der VGH Mannheim ausdrücklich ab, dass nur gegen solche Fahrer vorgegangen werden darf, die erst nach Erteilung einer ausländischen Fahrerlaubnis im Inland erneut auffällig geworden sind. Die EU-Führerscheinrichtlinie sei nach Ansicht des VGH Mannheim vielmehr so zu interpretieren, dass den Mitgliedsstaaten ein eigenes Überprüfungsrecht im Hinblick auf die Fahreignung zustehe und ihnen somit auch die Möglichkeit gegeben sei, eine in einem anderen Mitgliedsstaat erteilte Fahrerlaubnis die Anerkennung zu verweigern, wenn dem Betroffenen im Inland die Fahrerlaubnis bereits entzogen ist.
Nach Auffassung des VG München sei auch bei einer nach Ablauf der in Deutschland verhängten Sperrfrist im EU-Ausland erworbenen Fahrerlaubnis die Aberkennung rechtmäßig, da der Betroffene bei Anwendung des § 28 Abs. 4 FeV schon mangels behördlicher Entscheidung nach § 28 Abs. 5 FeV über keine Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland verfüge.
Mit einem anderen Begründungsansatz hält auch das OVG Lüneburg die Aberkennung des Rechts zum Gebrauchmachen der ausländischen Fahrerlaubnis und die Aufforderung zur Gutachtenbeibringung im Einzelfall für gerechtfertigt. Die Aberkennungsmöglichkeit sei vor dem Hintergrund zu sehen, dass es sich, insbesondere bei Alkoholproblematiken um Eignungsmängel mit dauerhaft fortwirkenden Erscheinungsbild handele, und es somit um Erkrankungen und Mängel i.S.d. Anlage 4 zur FeV gehen könne, die nicht erst nach dem Zeitpunkt des Erwerbs der Fahrerlaubnis im Ausland auftreten. Der Eignunsgmangel wirke vielmehr auf diesen Zeitpunkt fort.
Das OVG Münster nimmt, wenn die Ordnungsverfügung von einer ausländischen Fahrerlaubnis weder offensichtlich rechtmäßig noch offensichtlich rechtswidrig war, eine Abwägung der widerstreitenden Interessen der privaten und öffentlichen Belange zu Lasten der Fahrerlaubnis vor und vertritt somit im Ergebnis das Interesse der Verkehrssicherheit.
In einem vergleichbaren Fall hatte das OVG Koblenz anders entschieden. Das OVG Koblenz hatte ebenfalls die Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung offen gelassen. Jedoch hat es bei der Abwägung die Interessen des Inhabers der ausländischen Fahrerlaubnis höher bewertet.
An der Entscheidung des OVG Münster ist auch bemerkenswert, dass das Gericht auf die bislang fehlende europarechtliche Harmonisierung der materiellen Voraussetzungen für die Fahrerlaubniserteilung und das Fehlen eines zentralen europäischen Straßenverkehrsregisters bzw. einer Vernetzung der nationalen Register abstellt. Diese Situation, heißt es in den Entscheidungsgründen, mache die Einhaltung nationaler Schutzmechanismen unverzichtbar.
Letztlich wird zur möglichen Klärung der mit dem Erwerb einer ausländischen Fahrerlaubnis zusammenhängenden Fragen die erneute Entscheidung des EuGH abgewartet werden müssen, an den sich das VG München mit einer Vorlage gewandt hat.
Bis dahin müssen sich Betroffene weiter auf die Praxis vieler Führerscheinbehörden einstellen, die bei Nichtvorlage einer MPU die Aberkennung der im Ausland erworbenen Fahrerlaubnis androhen. Die Behörden können sich dabei, wie vorstehend kurz aufgezeigt, auf genügend Argumente von Seiten der Rechtsprechung berufen.
Sofern die Fahrerlaubnisbehörde aber vom Inhaber der ausländischen Fahrerlaubnis die ersatzlose Ablieferung für den Zeitraum der Aberkennung verlangt ist dies rechtlich höchst fragwürdig. Auch der Strafvorwurf des Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 StVG wäre unhaltbar.
Aktualisierung:
Auf die Vorlage des VG München ist der als "Halbritter-Entscheidung" bekannt gewordene Beschluss des EuGH am 6.4.2006 ergangen. Demnach muss ein nach Ablauf der Sperrfrist im EU-Ausland erworbener Führerschein in Deutschland trotz Weigerung des Betroffenen, sich einer MPU zu unterziehen anerkannt werden. Der Europäische Gerichtshof favorisiert in seinem Beschluss eine enge Auslegung des Anerkennungsgrundsatzes. Er verweist darauf, dass der Grundsatz gegenseitiger Anerkennung gemäß Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 EWG von den Mitgliedsstaaten fordert, die von ihnen ausgestellten Führerscheine "ohne jede Formalität" anzuerkennen. Die Richtlinie - so das Gericht - legt den Mitgliedsstaaten eine klare unbedingte Verpflichtung auf, die keinen Ermessensspielraum der Führerscheinbehörden bei der Anerkennung von EU-Fahrberechtigungen zulässt. Im Heimatland besteht ein Anspruch des Inhabers eines nach Ablauf der Sperrfrist in einem anderen Mitgliedsland ausgestellten Führerscheins auf Umschreibung in ein nationales Dokument. Eine erneute Überprüfunbg der Ausstellungsbedingungen darf dabei nicht erfolgen. Somit müssen deutsche Fahrerlaubnisbehörden Führerscheine aus anderen EU-Mitgliedsländern auch dann anerkennen, wenn dadurch offensichtlich in Deutschland die medinzinisch-psychologische-Untersuchung (MPU) umgangen werden soll.
Konsequent hat das VG Augsburg anschließend festgestellt (Beschl. vom 29.5.2006, Au 3 S 06.600), dass die deutschen Behörden vom Inhaber eines in einem anderen Mitgliedsstaat ausgestellten Führerscheins nicht verlangen können, dass er die Bedingungen erfüllt, die das nationale Recht für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach ihrem Entzug aufgestellt hat. Es ist daher - so das Gericht - die Anerkennung der Fahrerlaubnis nicht davon abhängig zu machen, in welcher Form der ausstellende Staat die Fahreignung überprüft hat.