Das neue Patientenverfügungsgesetz – Stärkung des Patientenrechts auf Selbstbestimmung?

Gesundheit Arzthaftung
27.10.20091493 Mal gelesen

Der Bundestag hat mit der Neufassung des §1901a BGB erstmals die Patientenverfügung gesetzlich geregelt. Allein diese Tatsache kann nach jahrelanger Diskussion und vielem Zaudern bereits als Erfolg gewertet werden. Ob die Regelung in dieser Form bestand haben wird bleibt abzuwarten. In jedem Fall ist ein großer Schritt in die richtige Richtung getan worden, um dem Patientenrecht der Selbstbestimmung Ausdruck zu verleihen und Angehörigen und Medizinern quälende Entscheidungen abzunehmen, die sie bei der Begleitung Sterbender und unheilbar Kranker zu treffen haben.  

Neu ist zunächst, dass der Begriff der Patientenverfügung erstmals legal definiert wird. Nunmehr kann ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsfähigkeit schriftlich festlegen, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (1.Halbsatz). Schon die gesetzliche Zementierung der Patientenverfügung als solche, wird dieser in Zukunft eine andere Akzeptanz und Nachhaltigkeit verschaffen. Ob die Regelung inhaltlich weit genug geht, wird noch Anlass zur Diskussion liefern.

Einer der größten Vorteile der neuen Regelung ist, dass sie sich nicht auf den Bereich der reinen Palliativmedizin beschränkt. Der absehbare Todeszeitpunkt ist nicht Tatbestandsmerkmal geworden, so dass auch andere Situationen geregelt werden können, die dem Verfügenden ex-ante als nicht mehr lebenswert erscheinen. Hierzu zählen insbesondere Situationen, in welchen unumkehrbare Hirnschädigungen jegliche Rückkehr in ein selbstbestimmtes, eigenständiges Leben verhindern. Für die jüngeren Menschen sei die Situation des Hirnschadens nach einem Unfall, beispielsweise das Wachkoma, genannt: Die Möglichkeit der Einsichts- und Kontaktfähigkeit ist erloschen, ein Todeszeitpunkt aber nicht absehbar.
Bei Älteren ist die Neuerung wohl am bedeutsamsten, für Zustände fortschreitender Hirnabbauprozesse, wie Alzheimer oder Demenz. Jetzt können gezielt lebenserhaltende Maßnahmen wie Dialyse, künstliche Ernährung oder Reanimation abgelehnt werden.

Aber auch für die Palliativmedizin bringt die neue Patientenverfügung große Vorteile. Umstritten war bisher vor allem die hochdosierte Schmerzmittelgabe am Lebensende. Einige Krankheitsbilder, allen voran Krebserkrankungen, führen im Endstadium zur unerträglichen Schmerzen. Einziges wirksames Schmerzmittel bleibt dann oft Morphium. Hochdosiert können Morphiumgaben allerdings auch an sich zum Tod führen. Ärzte waren hier oft zum Grenzgang zwischen therapeutisch möglicher und tödlicher Gabe gezwungen. Sofern man die Möglichkeit der Lebensverkürzung durch Schmerzmittelgabe am Lebensende durch eine Verfügung in Kauf nehmen kann, wird sich die Problematik um die viel diskutierte indirekte Sterbehilfe größtenteils erübrigen.

Mit Blick auf die vom Gesetzgeber geforderte Form der Abfassung einer Verfügung, scheinen die Anforderungen auf den ersten Blick gering zu sein. Keine fachkundige Beratung ist notwendig. Die Verfügung muss auch nicht vor einem Notar abgegeben werden. Lediglich die Schriftform ist einzuhalten. Im Übrigen ist die Verfügung frei widerruflich (Abs.1 S.2). Dennoch wird der Verfügende nicht umhin kommen, sich mit der Problematik eingehend zu beschäftigen. Der Wortlaut der Norm spricht von "bestimmten" Untersuchungen, Heilbehandlungen und ärztlichen Eingriffe in der konkreten Situation. Allgemeine Formulierungen und Richtlinien für eine künftige Behandlung werden nicht als Patientenverfügung anerkannt. (Höfling, NJW, 2009, 2849, 2850) Es heißt also, die Szenarien in welchen die Verfügung zum Einsatz kommen soll, müssen genau durchdacht und vor allem umschrieben sein. Dies wird ohne fachkundige Hilfe nicht jedem möglich sein. Insoweit steht und fällt die Wirksamkeit der Patientenverfügung immer auch mit der Genauigkeit ihrer Formulierung für die konkrete Anwendungssituation. Zahlreiche Textbausteine hierzu finden sich auf den Seiten der Ärztekammern im Internet. Insbesondere die dokumentierte Beratung einer fachkundigen Stelle, seien es Ärzte oder Rechtsanwälte ermöglicht nicht nur die genaue inhaltliche Formulierung, sondern dient auch als Nachweis der intensiven Auseinandersetzung des Verfügenden mit dem Thema und wird seinem Willen Nachdruck verleihen.
Sofern diese Kriterien beachtet werden, stellt sich die Frage ob nun eine individuelle und unumstößliche Anweisung an die behandelnden Ärzte vorliegt. Der 2.Halbsatz der Norm besagt jedoch, dass ein Betreuer die Festlegungen in der konkreten Situation prüfen muss und die Anwendbarkeit auf die Situation feststellen muss. Die Verfügung ist also das Werkzeug des Betreuers, den Willen des Verfügenden zu substantiieren und anzuwenden. Andernfalls hat der Betreuer festzustellen, dass die Festlegungen gerade nicht anwendbar sind.

Der Betreuer als vollziehende Hand der Entscheidung des Verfügenden?

Bei dieser Überlegung ist Vorsicht geboten. Auch wenn es das Gesetz so will, am Ende trifft doch immer auch der Betreuer eine ganz eigene Entscheidung über die Anwendbarkeit der Festlegung. Diese wird nicht zuletzt durch seine persönlichen Gefühle zum Verfügenden, eigene Moralvorstellungen und auch seiner Belastbarkeit beeinflusst. Es darf nicht unterschätzt werden, in welche Konflikte ein Mensch geraten kann, der derart folgenreiche Entscheidungen verwirklichen soll. Für den Betreuer entsteht eine kritische Situation, denn einerseits dürfen Sie den Patientenwillen nicht durch Spekulation unterlaufen, dass der Betroffene in der konkreten Situation auch etwas anderes gewollt hätte und müssen andererseits im Interesse des Verfassers rechtlich geforderten Integritätsschutz sensibel auf die konkrete Situation reagieren (Höfling, NJW, 2009, 2849, 285). Es sollte daher spätestens im Zuge der Patientenverfügung auch eine Betreuungsverfügung erstellt werden. In dieser sollten eine oder mehrere Person benannt werden, von denen sich der Verfügende am ehesten verspricht, dass sie Kraft genug haben, seinen Willen konsequent umzusetzen.