Meine anwaltlichen Erfahrungssätze zu Missbrauchsfällen im familiären Umfeld

Familie und Ehescheidung
10.09.2011390 Mal gelesen
Jeder Missbrauchsfall wirkt auf jeden Menschen, der davon hört oder damit befasst ist. Dies gilt auch für Richter, Staatsanwälte und Anwälte. Hier ist es besonders wichtig über psychologische Kenntnisse zu verfügen, um die Möglichkeiten gerichtlicher Verfahren sinnvoll unterstützend einzusetzen.

Die hier mitgeteilten Erfahrungssätze stammen aus der anwaltlichen Vertretung von Missbrauchsopfern. Sie entsprechen meiner subjektiven Wahrnehmung und können nicht ohne weitere Prüfung verallgemeinert oder auf andere Fälle übertragen werden. Jede Wahrnehmung, auch in diesem Bereich, ist subjektiv und durch die eigene Lebensgeschichte des Wahrnehmenden geprägt. Dies gilt auch, wenn es dem Wahrnehmenden nicht bewusst wird. Diese eigenen Reaktionen von Begleitpersonen sind von den Verhaltensweisen des Opfers zu trennen. Dies hat besondere Bedeutung, wenn mehrere Berufsträgern in unterschiedlichen Rollen in einem Verfahren tätig sind.

Schon ein Mißbrauchsverdacht muss genügen, aus dieser Möglichkeit heraus den persönlichen Raum des Opfers, seine Grenzen besonders genau zu wahren und zu schützen.  Das Opfer wird dadurch nicht anders behandelt, als jeder andere Mensch. 

Die Grenzen zwischen körperlichen und psychischem Missbrauch sind in der Wirkung für das Opfer fließend. 

Tabuisieren verstärkt die Wirkung des Mißbrauchs. Wenn sich das Opfer seiner Wahrheit stellen kann, beginnt es seinen Lebensraum wieder zu füllen und wahrzunehmen.

In allen meinen Fällen fühlten sich Mitglieder von Kirchen oder Sekten dazu berufen, ungefragt in den Tabubereich einzutreten, um das Opfer dort weiter zu schützen und zu belassen. Dadurch wird nur der Tabubereich ausgeweitet. Ein Opfer kann diesen Tabubereich nur in seiner Geschwindigkeit verlassen. Eine vom Opfer angefragte Unterstützung dazu ist oft hilfreich. 

Das Opfer trägt keine Mitschuld. Der Täter trägt allein die Schuld. Sexuelle Reaktionen des Opfers auf Handlungen des Täters im körperlichen Bereich treten als körperliche Reaktionen quasi automatisch ein. Sie geben dem Opfer keine Mitschuld. Das Opfer, oft ein Kind, hat in jeder Situation das Recht, dass seine Grenzen gewahrt werden und sein Raum geschützt bleibt. Opfer, die zu dieser Klarheit in Ihrer Geschwindigkeit finden, fühlen sich entlastet.

In allen meinen Fällen hat sich herausgestellt, dass körperlicher Missbrauch ein generationsübergreifendes Phänomen darstellt. Dies gilt, soweit feststellbar, sowohl für Opfer, als auch für Täter. Ein Genogramm ist daher oft hilfreich. Ein Rollenwechsel von Opfer zu Täter und umgekehrt ist möglich. Der Missbrauch hat daher eine erheblich größere Bedeutung als in der öffentlichen Wahrnehmung sichtbar. Die Tabuisierung wirkt also weiter. 

Besonders bemerkenswert sind Mütter, die beim Mißbrauch von Kindern wegsehen, um selbst in Ruhe gelassen zu werden oder  Kinder zu diesem Zweck beim Großvater abliefern, der diese Mutter früher mißbraucht hat. Hätten diese Mütter und natürlich entsprechend auch Väter die Kraft aufgebracht, ihre Lebensgeschichte zu bearbeiten, hätten sie Ihren Kindern diese Folgen erspart.

Ein staatliches Ermittlungs- oder Strafverfahren führt zu einem Ermittlungsergebnis. Ob dieses oder ein Urteil zutrifft, kann immer von allen Seiten bezweifelt werden. Strafe muß sein. Diese Verfahren dürfen aber das Opfer nicht weiter schädigen. 

Ziel der anwaltlichen Tätigkeit muss sein, dafür zu sorgen, dass Opfer durch solche Verfahren nicht retraumatisiert werden. Wenn ein Verfahren nicht so gestaltet werden kann, dass es dem Opfer dient, sollte es unterbleiben. Mit geeigneter Unterstützung und zeitlicher Gestaltung können Strafverfahren durchaus auch so gestaltet werden, dass Opfer gestärkt aus dem Verfahren hervorgeht. Dann macht das Verfahren erst Sinn.

In meiner Kanzlei arbeite ich in diesen Fällen intensiv mit Therapeuten und Psychoanalythikern auch bei der Anwendung meiner eigenen langjährig erworbenen psychologischen Kenntnisse und Einschätzungen bei der Fallbearbeitung zusammen.

 

Erich Kager

Rechtsanwalt und Mediator

www.ra-kager.de

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