Berliner Extrawurst: Einspruch gegen Bußgeldbescheide nur per beA

Knöllchen
13.05.20222149 Mal gelesen
AG Tiergarten wollte nur noch Einsprüche per beA akzeptieren. Die Bußgeldbehörde Berlin stellte die Praxis um und ändert sie abermals (Update vom 15.06.22)

Die Frage, ob Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ab dem 01.01.2022 auch Einsprüche gegen Bußgeldbescheide zwingend per beA einlegen müssen, hat das Amtsgericht Tiergarten in einer inzwischen rechtskräftigen Entscheidung bejaht (AG Tiergarten, Beschluss vom 05.04.2022, Az. 310 OWi 161/22).

Wie die elektronische Kommunikation zu führen ist und welche Schriftstücke zwingend elektronisch zu übermitteln sind, hat der Gesetzgeber in § 32 d StPO für das Verfahren eigentlich eindeutig geregelt. Dort heißt es, dass die Berufung und ihre Begründung, die Revision, ihre Begründung und die Gegenerklärung sowie die Privatklage und die Anschlusserklärung bei der Nebenklage als elektronisches Dokument übermittelt werden müssen. Einsprüche gegen Strafbefehle werden nicht genannt.

In § 110 c OWiG ist geregelt, dass die Regelung des § 32 d StPO für das Ordnungswidrigkeitenverfahren entsprechend gilt.

Da in § 32 d StPO in erster Linie Rechtsbehelfe gegen gerichtliche Entscheidungen aufgeführt sind, gilt entsprechend für das Ordnungswidrigkeitenverfahren, dass die Rechtsbeschwerde, der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde sowie die dazugehörenden Begründungen zwingend als elektronisches Dokument übermittelt werden müssen.

Das Amtsgericht Tiergarten vertritt nun - und soweit ersichtlich als bislang einziges Amtsgericht in Deutschland - die Ansicht, dass durch die die entsprechende Anwendung aus § 110c und unter Berücksichtigung des § 110a Abs. 4 die Regelung des § 32d StPO im Bußgeldverfahren um den Einspruch und die Einspruchsbegründung, die Rechtsbeschwerde und die Rechtsbeschwerdebegründung ergänzt werden muss.

Das Gericht greift dabei auf eine Regelung in § 335 Abs. 2a HGB zurück, in der eine Ausnahme vom Formzwang formuliert werde. Wenn - so das Gericht - der Gesetzgeber ausdrücklich eine Ausnahme von der Anwendung einer Formvorschrift vorsieht, dann müsse es im Umkehrschluss eine solche Formvorgabe tatsächlich geben. Unter Verweis auf auf die Gesetzesbegründung (Drucksache 18/9416 vom 17.08.2016 – Seite 36) wird ausgeführt, dass durch die Vorschriften des neuen Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in Straf- und Bußgeldsachen zur elektronischen Übermittlung von Dokumenten an Gerichte und Strafverfolgungsbehörden verpflichtet werden – sofern es keine Ausnahmeregelung in bestimmten Fällen gibt (wie zuvor in Bezug auf §335 HGB aufgezeigt wurde). Zu diesen Strafverfolgungsbehörden gehören auch die Behörden des Polizeidienstes, soweit diese Aufgaben im Bußgeldverfahren wahrnehmen (§ 110a Abs. 4 OWiG).

Die Entscheidung des Amtsgerichts Tiergarten ist leider auf etwas unglückliche Weise rechtskräftig geworden. Nicht schon die Bußgeldbehörde hat den Einspruch als unzulässig verworfen, sondern das Gericht hat die Verteidigerin des Betroffenen über seine Rechtsansicht informiert. Diese hat dann folgerichtig die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand beantragt und den Einspruch erneut eingelegt, aber nicht gemäß der Rechtsauffassung des Gerichts in elektronischer Form (beA). Das Gericht hat daraufhin den Einspruch als unzulässig verworfen. Hiergegen hat die Verteidigerin zwar Rechtsmittel eingelegt - allerdings verspätet.

Die Bußgeldstelle der Berliner Polizei wird die Entscheidung des Amtsgerichts Tiergarten ab Montag, den 16.05.2022 umsetzen und Einsprüche gegen Bußgeldbescheide, die von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten in Papierform oder per Fax eingelegt werden, als unzulässig verwerfen. Hiergegen kann dann gerichtliche Entscheidung beantragt werden, die allerdings nicht weiter angegriffen werden kann.

Knapp zwei Monate vorher hatte sich schon das Amtsgericht Hameln mit der gleichen Problematik beschäftigt und entschieden, dass die Einspruchseinlegung gegen einen Bußgeldbescheid per Telefax nicht der gesetzlichen Form widerspricht.

§ 32s S. 2 StPO beinhalte eine abschließende Aufzählung von zwingend formbedürftigen Verfahrenshandlungen, die den „Einspruch und die Einspruchsbegründung“ ausdrücklich auslassen und damit insoweit auch keine zwingende Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs vorsehen. Der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid aus dem Ordnungswidrigkeitengesetz (§ 67 OWiG) entspreche in der Strafprozessordnung dem Einspruch gegen den Strafbefehl (§ 410 StPO), der jedoch in § 32d StPO nicht genannt ist. Vielmehr werden dort lediglich (bestimmte) Rechtsmittel aus dem 3. Buch sowie (bestimmte) Beteiligungsrechte aus dem 5. Buch der StPO genannt. Die der Berufung bzw. Revision entsprechenden Rechtsmittel im Ordnungswidrigkeitengesetz sind jedoch im fünften Abschnitt unter III. aufgeführt und erfassen lediglich die Rechtsbeschwerde und deren Zulassung, nicht hingegen den Einspruch aus § 67 OWiG, der im separaten Unterabschnitt „I. Einspruch“ steht und zudem einen Rechtsbefehl „eigener Art“ darstellt.

In der Literatur werde zwar die Auffassung vertreten, dass sich die entsprechende Anwendung des § 32d StPO unter Berücksichtigung des § 110a Abs. 4 OWiG im Bußgeldverfahren auf den Einspruch und seine Begründung sowie die Rechtsbeschwerde und ihre Begründung erstrecken würde (z. B. Krenberger/Krumm, 6. Aufl. 2020, OWiG § 110c Rn. 13, BeckOK StVR/Krenberger, 13. Ed. 15.10.2021, OWiG, § 110 c Rn. 13). Diese Auslegung entspräche auch der grundsätzlich vom Gesetzgeber intendierten strengen Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs, die für solche schriftlichen Erklärungen bestehen soll, bei denen es - wie hier im Falle der Einspruchseinlegung - ausgeschlossen ist, dass sie in einer besonders eilbedürftigen Situation, in der zudem die für eine elektronische Kommunikation erforderliche Infrastruktur fehlen kann, abzugeben sind (BT-Drs. 18/9416, 50 f.).

Der zweiwöchig mögliche Einspruch gegen einen Strafbefehl würde auch hierunter fallen, trotzdem hat der Gesetzgeber den Einspruch gegen den Strafbefehl nicht in die Aufzählung in § 32d StPO mit aufgenommen. Daher sieht das Amtsgericht Hameln diese extensive Auslegung des § 110c S. 1 OWiG als mit der Systematik und dem Wortlaut des § 32d S. 2 StPO unvereinbar an.

Ob andere Bußgeldstellen oder Gericht der Ansicht des Amtsgerichts Tiergarten folgen werden, bleibt abzuwarten. Die Zentrale Bußgeldstelle des Landes Brandenburg lässt nach telefonischer Auskunft (Stand 31.05.2022) eine Übersendung von Einsprüchen per Telefax ausdrücklich weiter zu. Andere Bußgeldstellen sind bislang noch gar nicht an ein elektronisches Postfach angeschlossen.

Es empfiehlt sich allerdings, vorsorglich auch Einsprüche gegen Bußgeldbescheide per beA einzulegen. Ist eine Safe-ID nicht bekannt, kann in der Korrespondenz mit der Bußgeldstelle vorsorglich nach der Safe-ID gefragt werden. Nach dem Willen des Gesetzgebers wird früher oder später ohnehin dies gesamte Korrespondenz elektronisch an die Behörden zu übermitteln sein.

Jedenfalls folgerichtig unterstellt das Amtsgericht Tiergarten im weiteren auch die Einspruchsbegründung dem Formzwang. Zwar gibt es keine Pflicht zur Begründung des Einspruchs. Gleichwohl kann jeder nach dem Einspruch folgende Schriftverkehr als Einspruchsbegründung angesehen werden und ist deshalb (nach dieser Ansicht) nun formbedürftig. Nach Erlass des Bußgeldbescheids ist daher in Bußgeldsachen (anders als in Strafsachen) nunmehr sämtlicher Schriftverkehr mit den Bußgeldstellen (und den Amtsgerichten) ausschließlich über das beA zu führen. Dass dies dem Willen des Gesetzgebers entspricht, ist zweifelhaft, weil kein einziger der von der Mussvorschrift des § 32d Satz 2 StPO umfassten Schriftsätze den außergerichtlichen Bereich betrifft.

In der Entscheidung des Amtsgerichts Tiergarten heißt es weiter: „Nur die Übertragung eines elektronischen Dokuments in eine elektronische Poststelle mit einer qualifizierten elektronischen Signatur im Sinne des Signaturgesetzes kann die Formvorschriften für einen Einspruch und dessen Begründung im Bußgeldverfahren erfüllen“. Insoweit ist der Beschluss schlicht falsch. Denn nach § 32a Abs. 3 StPO muss ein elektronisches Dokument entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sein oder von der verantwortenden Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Es genügt daher ausnahmslos, elektronische Dokumente mit dem Namen der verantwortenden Rechtsanwältin maschinenschriftlich zu unterzeichnen (sog. einfache Signatur) und über ihren eigenen beA-Zugang zu versenden. Übrigens: In den Ermittlungsakten der Bußgeldstelle findet sich auch bei qualifiziert signierten Einsprüchen ein „Prüfvermerk“, dem zu entnehmen ist: „Es konnte nicht geprüft werden, ob eine qualifizierte Signatur … vorliegt“.

Vorsicht bei Widersprüchen, die per beA gegen Verwaltungsbescheide erhoben werden:
Nach § 3a II VwVfG ist bei einer elektronischen Übermittlung von Dokumenten zwingend eine qualifizierte qualifizierte elektronische Signatur erforderlich. Damit sind die Anforderungen im Verwaltungsverfahren strenger als nach der VwGO und den anderen Verfahrensvorschriften, die auch eine einfache Signatur und die Übersendung auf einem sicheren Übertragungswege (beA) ausreichen lassen.

Update: Laut Mitteilung der Berliner Bußgeldstelle vom 15.06.2022 kehrt man wieder zur alten Praxis zurück, nachdem andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten zu erkennen gegeben haben, dass sie der o. g. Entscheidung nicht folgen und diese als Mindermeinung betrachten. Einsprüche können von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten daher ab dem 15.06.2022 wieder per Fax und Post eingelegt werden.

Der Wille des Gesetzgebers ist eine digitale Kommunikation und Aktenführung. Insoweit ist es nur eine Frage der Zeit, wann er die gesetzlichen Vorgaben ändert und auch vereinheitlicht.

Der Autor ist Fachanwalt für Verkehrsrecht und
Sprecher des Arbeitskreises Verkehrsrecht des Berliner Anwaltsvereins