Der Fall:
Eine Wohnungseigentümergemeinschaft leitet ein selbständiges Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO gegen die benachbarte Wohnungseigentümergemeinschaft ein. In dem Verfahren sollen Fragen eines möglichen Festigkeitsverlustes der Grundstückseinfriedung an der gemeinsamen Grenze geklärt werden. Der vom Landgericht beauftragte Sachverständige kommt in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass die Frage, ob die Antragsgegnerin das Geländeniveau abgegraben und dadurch den Winkelsteinen die stabilisierende Stütze genommen habe, durch Zeugenbeweis zu klären sei. Die Parteien beantragen daher beide die Vernehmung von Zeugen und stimmen der Vernehmung der jeweils von der Gegenpartei benannten Zeugen zu. Das Landgericht lehnt gleichwohl die Vernehmung der Zeugen ab. Es begründet dies damit, dass eine Zeugenvernehmung nur nach § 485 Abs. 1 ZPO vorgesehen sei; hierbei handle es sich um ein gegenüber § 485 Abs. 2 ZPO völlig eigenständiges Verfahren. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde.
Die Entscheidung des OLG Köln, Beschl. v. 18.08.2014, Az.16 W 13/14 :
Mit Erfolg! Das Landgericht hat zu Unrecht die Vernehmung der von den Parteien benannten Zeugen abgelehnt. Da die Voraussetzungen des § 485 Abs. 1 ZPO vorliegen, hätte das Landgericht dem Antrag der Parteien auf Vernehmung der Zeugen entsprechen müssen. Insbesondere unterliegt das selbständige Beweisverfahren nicht den Vorschriften über die Zulässigkeit einer Klageänderung. Dem Antragsteller ist es daher unbenommen, nach Erhebung des Sachverständigenbeweises unter den Voraussetzungen des § 485 Abs. 1 ZPO die Vernehmung von Zeugen zu beantragen. Beim selbständigen Beweisverfahren nach § 485 ZPO handelt es sich um ein einheitliches Verfahren. Zweck des selbständigen Beweisverfahrens ist eine Erleichterung bzw. Beschleunigung der Prozesse und damit eine Entlastung der Gerichte. Diesem Zweck würde es zuwiderlaufen, wenn der Antragsteller auf die Einleitung mehrerer Beweisverfahren mit im Wesentlichen deckungsgleichen Beweisthemen verwiesen würde.
Praxishinweis:
Die Situation, dass im selbständigen Beweisverfahren nach Erstellung des Sachverständigengutachtens Fragen offenbleiben, weil hierzu Zeugen gehört werden müssen, ist in Bausachen nicht ungewöhnlich. Erfreulicherweise zeigt das OLG Köln hier einen Weg auf, wie solche Fragen in demselben Verfahren pragmatisch geklärt werden können. Würde der Antragsteller auf die Einleitung eines neuen Verfahrens verwiesen, könnte das selbständige Beweisverfahren seinen Hauptzweck - Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten - kaum erfüllen. Die vom Landgericht vorgenommene Trennung der Verfahren nach § 485 Abs. 1 und 2 ZPO ist artifiziell und findet im Gesetz keine Stütze; allein hierdurch hat sich vorliegend das Verfahren um mindestens ein halbes Jahr verzögert. Merke: Das selbständige Beweisverfahren dient nicht nur der Beweissicherung, sondern auch dazu, eine umfassende Streiterledigung herbeizuführen oder jedenfalls vorzubereiten.
RA und FA für Bau- und Architektenrecht Dr. Andreas Schmidt, Köln