Muss der Arbeitnehmerbegriff neu definiert werden?

Muss der Arbeitnehmerbegriff neu definiert werden?
09.07.2014518 Mal gelesen
Aktuelle europarechtliche Entwicklungen zum Arbeitnehmerbegriff

In Deutschland bestand bis vor kurzem im Wesentlichen Einigkeit über die Definition des Begriffs des Arbeitnehmers. Danach ist Arbeitnehmer, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages im Dienste eines anderen zur Arbeit verpflichtet ist. Entscheidende Kriterien sind dabei die Eingliederung in eine fremde betriebliche Organisation und insbesondere die Weisungsgebundenheit. Weiteres Indiz ist das Fehlen eines unternehmerischen Risikos. 

Mitglieder eines gesellschaftsrechtlichen Organs konnten bisher nicht als Arbeitnehmer in diesem Sinne angesehen werden. Insofern galt grundsätzlich eine klare Trennlinie. Das europäische Recht könnte nun aber an dieser Stelle weitere Neuerungen im deutschen Arbeitsrecht bewirken. Nachdem in der Vergangenheit bereits die Entscheidung des EuGH im Fall "Danosa Schwung in die Diskussion gebracht hatte, hat nun das ArbG Verden dem EuGH verschiedene Vorlagefragen zur Massenentlassungs-Richtlinie, auf der § 17 KSchG beruht, vorgelegt. 

§ 17 KSchG regelt die sog. Massenentlassungsanzeige. Danach muss eine Arbeitgeber, der innerhalb von 30 Tagen eine bestimmte Anzahl an Arbeitnehmern, die abhängig von der Betriebsgröße ist, entlässt, eine sog. Massenentlassungsanzeige bei der Bundesagentur für Arbeit einreichen. Bei der Anzahl der entlassenen Arbeitnehmer sind gem. § 17 Abs.5 Nr.1 KSchG Mitglieder des Organs, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist, nicht mitzuzählen. Wird also beispielsweise auch der Geschäftsführer einer GmbH in einer Entlassungswelle mit entlassen, so findet dies bei der Berechnung der Schwellenwerte keine Berücksichtigung. 

Das ArbG Verden hegt Zweifel, ob diese Regelung im Bezug auf Fremdgeschäftsführer mit der Massenentlassungsrichtlinie und dem ihr zu Grunde liegenden Arbeitnehmerbegriff vereinbar ist. Fremdgeschäftsführer unterliegen nach deutschem Gesellschaftsrecht einer Weisungsbefugnis durch die Gesellschafterversammlung. Ihre Vertretungsbefugnis kann zwar nicht im Außenverhältnis wohl aber im Innenverhältnis beschränkt werden. Je intensiver etwaige Beschränkungen sind, desto weniger unternehmerische Entscheidungsfreiheit hat der Geschäftsführer. 

Der EuGH geht in seiner Entscheidung "Danosa" davon aus, dass ein Mitglied der Unternehmensleitung, das seine Tätigkeit gegen Entgelt und unter Eingliederung in das Unternehmen nach Weisung der Gesellschafterversammlung oder eines anderen Organs versieht sowie ohne Vorliegen von besonderen Gründen abberufen werden kann, europarechtlich als Arbeitnehmer gelten kann. Würde man jedenfalls den Fremdgeschäftsführer unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des EuGH als Arbeitnehmer im europarechtlichen Sinne verstehen, so wäre § 17 Abs.5 Nr.1 KSchG mit der Massenentlassungs-Richtline nicht in Einklang zu bringen. Muss deshalb ein deutscher Fremdgeschäftsführer als Arbeitnehmer im Sinne von § 17 KSchG angesehen werden und § 17 Abs. 5 Nr. 1 KSchG im Wege der europarechtskonformen Auslegung unangewendet bleiben? 

Das ArbG Verden hält dies offenbar nicht für überzeugend. Es weist darauf hin, dass ein Arbeitnehmer einem umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers bzgl. Ort, Zeit und Art der Arbeitsleistung unterliegt. Der Arbeitgeber kann jedem Arbeitnehmer Tag für Tag konkrete Arbeiten zuweisen und ebenso die Art und Weise ihrer Erfüllung festlegen. Hierin besteht ein erheblicher Unterschied zu den rein gesellschaftsrechtlichen bzw. unternehmerischen Vorgaben durch die Gesellschafterversammlung einer GmbH. Geschäftsführer unterliegen regelmäßig keiner Vorgabe, an welchen Tagen sie in welchem Zeitraum welche Aufgaben erledigen müssen. 

Der EuGH wird nun seine Rechtsprechung zu konkretisieren haben. Kann alleine die unternehmerische Unterstellung unter ein anderes Gesellschaftsorgan ausreichen, um den Geschäftsführer zum Arbeitnehmer werden zu lassen? Hier sind berechtigte Zweifel angebracht. Auch das ArbG Verden geht davon aus, dass die Rechtsprechung des EuGH so zu verstehen ist, dass nicht eine irgendwie geartete Über- und Unterordnung ausreichend ist. Vielmehr sind auch danach die konkreten Beschränkungen und Bindungen im Einzelfall ausschlaggebend, die nach dem Verständnis des ArbG Verden von einigem Gewicht und bestimmter inhaltlicher Ausprägung sein müssen. Zu recht vertritt das ArbG Verden in seinem Vorlagebeschluss die Auffassung, dass nicht unberücksichtigt bleiben sollte, dass Geschäftsführer regelmäßig die typischen Arbeitgeberfunktion und damit auch das Weisungsrecht gegenüber den angestellten Arbeitnehmern ausüben. Zu hoffen ist, dass der EuGH eine klare und praxistaugliche Grenzziehung entwickelt.

RA Dr. Christian Velten, Arbeitsrecht - Gießen

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