"Stalking" kann eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, BAG, Urt. v. 19. April 2012 - 2 AZR 258/11
I. Sachverhalt
Der Kläger war beim beklagten Land als Verwaltungsangestellter beschäftigt. Im Jahr 2007 teilte das Land ihm als Ergebnis eines Verfahrens vor der Beschwerdestelle nach § 13 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes mit, dass eine Mitarbeiterin, die sich von ihm belästigt fühlte, weder dienstlich noch privat Kontakt mit ihm wünsche und dieser Wunsch vorbehaltlos zu respektieren sei. Eine unmittelbare Kontaktaufnahme mit der Mitarbeiterin habe "auf jeden Fall zur Vermeidung arbeitsrechtlicher Konsequenzen zu unterbleiben". Im Oktober 2009 wandte sich eine andere Mitarbeiterin an das beklagte Land und gab an, sie werde vom Kläger in unerträglicher Art und Weise belästigt und bedrängt.
Das Land kündigte das Arbeitsverhältnis gem. § 626 Abs. 1 BGB fristlos nach näherer Befragung der Mitarbeiterin und Anhörung des Klägers. Es hat behauptet, der Kläger habe der Mitarbeiterin gegen deren ausdrücklich erklärten Willen zahlreiche E-Mails geschickt, habe sie ohne dienstlichen Anlass in ihrem Büro angerufen oder dort aufgesucht und sich wiederholt und zunehmend aufdringlich in ihr Privatleben eingemischt. Um sie zu weiterem privatem Kontakt mit ihm zu bewegen, habe er ihr u. a. damit gedroht, dafür zu sorgen, dass sie keine feste Anstellung beim Land bekomme.
Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, das Landesarbeitsgericht gab ihr statt. Dagegen legte das Land Revision ein.
II. Entscheidung des BAG, Urt. v. 19. April 2012 - 2 AZR 258/11
Das BAG hat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen. Es stehe noch nicht fest, ob ein wichtiger Grund für die Kündigung iSv § 626 Abs. 1 BGB vorliege. Das LAG habe zwar im Ergebnis zutreffend angenommen, dass der Kläger durch die Mitteilung aus dem Jahr 2007 nicht im Rechtssinne abgemaht worden ist. Allerdings habe es nicht ausreichend geprüft, ob angesichts der Warnung durch das zuvor durchgeführte Beschwerdeverfahren und der übrigen Umstände eine Abmahnung entbehrlich war. Ob die Kündigung selbst gerechtfertigt ist, konnte der Zweite Senat nicht entscheiden. Hierzu hatte das LAG keine hinreichenden Sachverhaltsfeststellungen getroffen.
Das BAG führt jedoch aus, dass ein schwerwiegender Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine vertragliche Nebenpflicht, die Privatsphäre und den deutlichen Wunsch einer Arbeitskollegin zu respektieren, nicht-dienstliche Kontaktaufnahmen mit ihr zu unterlassen, die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen könne.
III. Tips für Arbeitgeber & Kommentar der BAG Entscheidung
1. Tips für Arbeitgeber
Das Phänomen "Stalking" betriftt keineswegs nur prominente Opfer und Stars. Auch eine sehr ernst zu nehmende Anzahl von Arbeitnehmern ist vom sog. "Stalking" betroffen.
a) Was versteht man unter dem Begriff "Stalking"?
"Stalking" bedeutet, dass eine Person einer anderen fortwährend nachstellt, auflauert oder auf andere Art und Weise, vor allem durch die modernen Kommunikaktionsmittel wie bspw. E-mail, SMS etc., intensiven Kontakt mit ihr aufnimmt und dadurch in ihre Privatsphäre eindringt, vgl. Göpfert/Siegrist, NZA 2007, 473 ff. .
b) Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
Stalking-Übergriffe stellen regelmäßig eine sog. Belästigung iSv § 3 Abs. 2 AGG dar. Es handelt sich um Benachteiligungen, die bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Dies sind geradezu typische Verhaltensweisen, wobei in der überwiegenden Anzahl der untersuchten Fallkonstellationen auch ein Zusammenhang mit einem der in § 1 AGG genannten Gründe besteht. Stalking-Opfer sind zu 80 % weiblich, vgl. Göpfert/Siegrist, NZA 2007, 473 ff. .
c) Wie sollte sich der Arbeitgeber verhalten?
Der Arbeitgeber sollte zunächst darauf achten, dass er vorbeugende Maßnahmen unternimmt, um solche Verhaltensweisen im Idealfall von vornherein zu unterbinden. Gem. § 12 Abs. 3 AGG ist er bei Verstößen, von denen er Kenntnis erlangt hat, zum Eingreifen verpflichtet.
Zu Ermittlungen "auf eigene Faust" ist der Arbeitgeber nur im Verdachtsfall verpflichtet, vgl. Göpfert/Siegrist, NZA 2007, 473 ff. .
Der Arbeitgeber sollte auf Stalking-Vorwürfe stets reagieren. Empfehlenswert dürfte es zunächst sein, das Opfer zu schützen, z. B. durch eine vorübergehende Versetzung des Opfers. Sofern das Stalking-Opfer es wünscht, sollte auf externe Beratungsangebote zurückgegriffen werden.
Anschließend sollte der "Täter" angehört werden, um seine "Sicht der Dinge" zu erkunden. Sollten sich die Taten nach einem klärenden Gespräch wiederholen, ist der Arbeitgeber quasi zum Handeln aufgerufen und sollte ggf. arbeitsrechtliche Maßnahmen (Abmahnung, Kündigung) ergreifen, um § 12 Abs. 3 AGG gerecht zu werden.
2. Kommentar der BAG Entscheidung
Die Ausführungen des BAG, dass Stalking eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen könne, gehen in die richtige Richtung. Die außerordentliche Kündigung als "schärfstes Schwert" des Arbeitsrechts muss in derart krassen Fallgestaltungen uneingeschränkt Anwendung finden.
Allerdings dürfte es auch kein Geheimnis sein, dass außerordentliche Kündigungen im Prozess keineswegs stets Bestand haben. Nicht selten sind die "Hürden" der Rechtsprechung zu hoch und die Argumente der Gegenseite im Hinblick auf die negativen Folgen des Gekündigten (meistens ungerader Beendigungstermin im Arbeitszeugnis, Sperre beim Arbeitslosengeld etc.) nicht von der Hand zu weisen, so dass so manche außerordentliche Kündigung doch noch in eine ordentliche Kündigung "vergleichsweise" umgewandelt wird. Im Falle eines tatsächlichen Stalking-Vorganges sicherlich ein "Schlag ins Gesicht" für jedes Opfer.
Verlangt der Stalker dann auch noch ein Arbeitszeugnis mit einer befriedigenden Gesamtnote inkl. einer wohlwollenden Schlussformel, gerät bei Stalking-Opfern das Vertrauen in ein rechtsstaatliches Verfahren häufig - verständlicherweise - ins Wanken.
3. Fazit
"Stalking" ist kein Kavaliersdelikt, sondern strafbar gem. § 238 StGB. Arbeitgeber sollten daher im Verdachtsfall umgehend tätig werden und ggf. auf das komplette Sanktionsrepertoire des Arbeitsrechts zurückgreifen können.
Wir beraten und vertreten Arbeitgeber in sämtlichen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts, kennen die "Fallstricke" und erarbeiten unternehmenszielorientierte Lösungen. Überzeugen Sie sich von unserer anwaltlichen Dienstleistung im Arbeitsrecht.
Ansprechpartner: Dr. Alexander Pfohl, LL.M., Rechtsanwalt, Schindhelm Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hannover