Zugriff und Kontrolle privater und dienstlicher E-Mails durch den Chef?

Arbeit Betrieb
29.09.2011682 Mal gelesen
Nach der Entscheidung zweier Landesarbeitsgerichte (LAG) kann der Arbeitgeber im Einzelfall auf E-Mails des Mitarbeiters zugreifen.

Immer häufiger erlauben Arbeitgeber ihren Angestellten, auch private E-Mails über den dienstlichen Server zu senden und zu empfangen oder im Internet zu surfen. Oftmals wird es zumindest geduldet. Dies ist auch sachgerecht, da die elektronische Post den veralteten Geschäftsbrief mehr und mehr verdrängt und auch immer öfter als Beweismittel in Gerichtsverfahren dient.

Problematisch wird es, wenn auch privater E-Mail-Verkehr über die betriebliche Adresse abgewickelt wird. Wenn die Vorgesetzten die E-Mails kontrollieren möchten, mußten sie sich bei Fragen der Zulässigkeit bislang an der juristischen Fachliteratur orientieren. Nach der Literaturmeinung macht sich der Arbeitgeber strafbar , wenn er auf E-Mails von Mitarbeitern zugreift. Demnach sind die betroffenen Unternehmen sog. Anbieter von Telekommunikationsdiensten, wenn sie die private Nutzung ihrer E-Mail-Systeme erlauben. Damit unterliegen sie dem Telekommunikationsgesetz (TKG) und müssen bei E-Mails ihrer Arbeitnehmer nach § 88 TKG das Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 GG beachten. Die Verletzung des Fernmeldegeheimnisses ist nach § 206 StGB strafbar. Zudem solle die erlaubte private Nutzung auch den Zugang zu geschäftlichen E-Mails verbieten. Denn falls sich die privaten nicht von den dienstlichen E-Mails trennen lassen, so sollen nach Stimmen in der Fachliteratur sämtliche E-Mails einem Kontrollverbot unterliegen.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg (Urteil vom 16.02.1011, Az. 4 Sa 2132/10) hatte in einem Fall zu entscheiden, bei dem eine Angestellte zwei Monate krankheitsbedingt abwesend war, auf E-Mails des Chefs nicht reagierte, jedoch ihre Krankmeldung selbst per Mail versandte. Die Weiterleitung hatte die Angestellte vertragswidrig nicht gewährleistet, sondern diese Funktion abgeschaltet. Die an Ihre dienstliche Adresse gesendeten Geschäftsmails waren aber für die Auftragsbearbeitung unabdingbar. Nach Abstimmung mit dem Betriebsrat wurden in Anwesenheit des Datenschutzbeauftragten die dienstlichen E-Mails geöffnet und ausgedruckt. Die privaten E-Mails hatte die Angestellte im Betreff stets als solche gekennzeichnet. Die Arbeitnehmerin hatte gegen Ihren Arbeitgeber geklagt, das LAG bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin.

Letzteres hatte die Klage mit Urteil vom 17. August 2010 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Unterlassungsanspruch der Klägerin sei nicht ersichtlich. Die Klägerin könne sich im Rahmen eines Unterlassungsanspruchs nach den §§ 1004, 823 BGB weder auf Art. 10 GG, noch auf § 88 TKG oder § 206 StGB stützen. Eine lediglich sichtende Kenntnisnahme auch privater E-Mails zur Ermöglichung einer Feststellung, welche E-Mails dienstlich sind, beeinträchtige auch das Recht der Klägerin auf informelle Selbstbestimmung nicht in einem verfassungsrechtlich bedenklichen Maße.

Das Berufungsgericht verneinte ebenfalls das Vorliegen der Anspruchsgrundlagen. Das LAG Berlin-Brandenburg führt unter anderem mit Bezug auf ein ähnliches Urteil des LAG Niedersachsen (Urteil vom 31. Mai 2010, Az. 12 Sa 78/09) aus, daß der Zugriff des Arbeitgebers oder Dritter auf diese Datenbestände nicht den rechtlichen Beschränkungen des Fernmeldegeheimnisses unterliege, wenn ein Arbeitgeber seinen Mitarbeitern gestatte, den Arbeitsplatzrechner auch zum privaten E-Mail-Verkehr zu nutzen und E-Mails, die von den Mitarbeitern nicht unmittelbar nach Eingang oder Versendung gelöscht werden, im Posteingang oder -ausgang zu belassen oder in anderen auf lokalen Rechnern oder zentral gesicherten Verzeichnissen des Systems abzuspeichern.

Denn selbst, wenn man die Auffassung teile, ein Arbeitgeber werde allein durch die Gestattung privaten E-Mail-Verkehrs unter Nutzung des dienstlichen Rechners und des dienstlichen Accounts zum Dienstanbieter i. S. d. § 3 Ziff. 6 TKG, werde der Anwendungsbereich des §§ 88 TKG, der das Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 GG schütze, nicht eröffnet. Das Fernmeldegeheimnis schützt die unkörperliche Übermittlung von Informationen an individuelle Empfänger mit Hilfe des Telekommunikationsverkehrs (BVerfG 3. März 2006 - 2 BvR 2099/04; BVerfG 27. Februar 2008 - 1 BvR 370/07 und 1 BvR 595/07). Der Grundrechtsschutz erstrecke sich nicht auf die außerhalb eines laufenden Kommunikationsvorgangs im Herrschaftsbereich des Kommunikationsteilnehmers gespeicherten Inhalte und Umstände der Kommunikation. Der Schutz des Fernmeldegeheimnisses ende insoweit in dem Moment, in dem die E-Mail beim Empfänger angekommen und der Übertragungsvorgang beendet ist (BVerfG 3. März 2006 - 2 BvR 2099/04; BVerfG 27. Februar 2008 - 1 BvR 370/07 und 1 BvR 595/07). Nach Abschluss des Übertragungsvorgangs im Herrschaftsbereich des Kommunikationsteilnehmers gespeicherten Verbindungsdaten seien deswegen nicht durch Art 10 Abs. 1 GG geschützt (BVerfG 3. März 2006 - 2 BvR 2099/04).

Soweit die Angestellte die Auffassung vertrat, der Schutzbereich des Art. 10 GG müsse für sie auch auf die auf dem Rechner gespeicherte E-Mail erweitert werden, weil sei aufgrund ihrer krankheitsbedingten Abwesenheit keine Möglichkeit des Zugriffs auf ihren Rechner hatte, folgte das Gericht dieser Sichtweise nicht. Art. 10 GG trage gerade der Besonderheit Rechnung, daß für den Kommunikationsteilnehmer keine technischen Möglichkeiten vorhanden sind, das Entstehen und die Speicherung von Verbindungsdaten durch den Nachrichtenübermittler zu verhindert oder auch nur zu beeinflussen. Demgegenüber hatte die Klägerin im Rahmen auch ihres dienstlichen E-Mail-Accounts die Möglichkeit genutzt, grundsätzlich dem Zugriff Dritter auf ihren Account durch Einrichtung von Schutzvorrichtungen (Passwort) zu begegnen. Dadurch hatte der Arbeitgeber keine Möglichkeit, auf den dienstlichen Account der Angestellten Zugriff zu nehmen. Der Arbeitgeber hatte aber mehrmals vergeblich versucht, seine Angestellte wegen der fehlenden Zugriffsmöglichkeit zu erreichen. Die Tatsache, daß diese dies ignorierte, und sich selbst die Möglichkeit nahm, das weitere Vorgehen zu beeinflussen, führe nicht zu einer Erweiterung des Schutzbereichs des Art. 10 GG.

Der ausgeurteilte Fall zeigt, daß gerichtliche Urteile letztendlich Einzelfallentscheidungen sind, die nicht unmittelbar auf ähnliche Fälle anzuwenden sind.

Der Arbeitgeber hat jedenfalls unter Einbeziehung des Betriebsrates und des Datenschutzbeauftragten genau zwischen den eigenen Interessen und dem Persönlichkeitsrecht des betroffenen Mitarbeiters je nach Einzelfall abzuwägen. Auf Fälle, in denen dienstliche und private E-Mails nicht durch Sichtung des reinen Betreffs zu unterscheiden sind, dürfte diese Rechtsprechung nicht anwendbar sein. Das Thema "private und dienstliche E-Mails" bleibt weiter hochproblematisch.

Autor: Rechtsanwalt Holger Hesterberg

Bundesweite Tätigkeit. Mitgliedschaft im DAV.

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