Betriebsbedingte Kündigung und Sozialauswahl

Arbeit Betrieb
25.01.20071513 Mal gelesen

Betriebsbedingte Kündigung und Sozialauswahl: "Rentennähe darf sich nicht nachteilig auswirken"

 

Günstige Konjunkturdaten ändern nichts daran, dass Arbeitgeber dem Wettbewerb ausgesetzt bleiben. Gehen Aufträge nicht wie erwartet ein oder werden Umsatzprognosen nicht erfüllt, so sind betriebsbedingte Kündigungen häufig die Folge.

 

Sobald der Arbeitgeber unter den Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) fällt, muss der Arbeitgeber mit einem Kündigungsschutzprozess rechnen, bei dem er die Rechtswirksamkeit einer Kündigung ausführlich begründen muss. Hierzu gehört unter anderem die Darlegung der "sozialen Rechtfertigung", wie die Arbeitsrechtler mit Blick auf § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG  formulieren. Um die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen sind vor allem zwei wesentliche Hürden zu überwinden. Zum einen müssen "dringende betriebliche Erfordernisse" vorliegen, die der Weiterbeschäftigung des Gekündigten entgegenstehen. Zum anderen muss eine sog.  "Sozialauswahl" vorgenommen werden.

 

Fallen gewisse betriebliche Tätigkeiten nicht mehr an, etwa weil Handarbeit durch den Einsatz von Maschinen ersetzt wird, so liegen "betriebliche Erfordernisse" vor; diese sind "dringend" im gesetzlichen Sinn, wenn keine Möglichkeit besteht, den betroffenen Arbeitnehmer auf einem anderen freien Arbeitsplatz zu beschäftigen. Die Sozialauswahl ist anhand der Kriterien Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Familienstand und Anzahl der unterhaltsberechtigten Angehörigen sowie einer etwaigen Schwerbehinderung vorzunehmen. Die richtige Sozialauswahl ist in der Praxis vor allem bereits deshalb schwierig, weil oft schon nicht klar ist, welche Arbeitnehmer in die Sozialauswahl einzubeziehen sind. Grundsätzlich müssen die Arbeitnehmer bzw. die von ihnen auszuführenden Tätigkeiten vergleichbar sein. Mit anderen Worten bedeutet dies, dass nur diejenigen Arbeitnehmer vergleichbar sind, die aufgrund ihrer Qualifikation und ihrer bisherigen Tätigkeit untereinander austauschbar sind. Ein als Facharbeiter beschäftigter Mitarbeiter kann folglich nicht mit einem ungelernten Arbeiter verglichen werden. Eine Vergleichbarkeit findet außerdem auch nur zwischen Arbeitnehmern derselben hierarchischen Ebene im Betrieb statt. Ein Abteilungsleiter ist also nicht mit einem Sachbearbeiter zu vergleichen.

 

Bei der Anwendung der o. g. Sozialauswahlkriterien kann es für den Nichtjuristen zu überraschenden Ergebnissen kommen, etwa dergestalt, dass ältere Arbeitnehmer, welche die Rente wegen ihres Alters schon in Sicht haben, sozial schutzwürdiger sind als jüngere Arbeitnehmer, obwohl diese angesichts der inzwischen stark verkürzten Bezugszeiträume beim Arbeitslosengeld der Verlust des Arbeitsplatzes u.U. härter trifft. Ein solches Ergebnis vertrat auch das Landesarbeitsgericht Düsseldorf in einer Entscheidung vom 13.7.2005. Das Gericht sah die Kündigung gegenüber einer 57 Jahre alten Arbeitnehmerin als unwirksam an. Die 57 Jahre alte und schwerbehinderte Arbeitnehmerin war in der Gehaltsbuchhaltung eines Textilunternehmens beschäftigt und hatte eine fast 18 Jahre jüngere Kollegin als Lohnbuchhalterin eingearbeitet. Der Arbeitgeber kündigte der 57-Jährigen und gab zur Begründung der Kündigung interne Umstrukturierungen an, infolge derer die bisherigen Aufgaben der älteren Mitarbeiterin auf die jüngere von ihr eingearbeitete Kollegin übertragen werden sollten. Bei der Sozialauswahl ging der Arbeitgeber im Wesentlichen davon aus, dass die jüngere Kollegin aufgrund ihres Lebensalters noch lange Zeit auf ihre Arbeitstätigkeit angewiesen sei, wohingegen die 57-jährige Arbeitnehmerin im Anschluss an das Arbeitslosengeld vorgezogene Altersrente beziehen könne, weswegen sie von der Kündigung weniger hart betroffen sei.

 

Dies sah aber sowohl das Gericht erster Instanz als auch das Berufungsgericht anders. Letzteres führte hierzu aus, dass mit der Berücksichtigung des Alters als Sozialauswahlkriterium nur eine positive Berücksichtigung - sozusagen als "Bonus" - in Betracht kommt. Dem entgegen verbiete sich die Entwertung des Lebensalters durch auswahlfremde Erwägungen zu wirtschaftlichen, sozialversicherungs- oder versorgungsrechtlichen Situationen des Arbeitnehmers. Das Gericht machte in seiner Entscheidung deutlich, dass der Bezug einer vorgezogenen Altersrente wenig über die finanzielle Absicherung des Arbeitnehmers aussage und erst recht nicht bedeute, dass ein Rentenbezieher sozial besser gestellt sei als der jüngere Arbeitnehmer, der nach einer Kündigung Arbeitslosengeld beziehe. Die Sichtweise, dass der ältere Arbeitnehmer sein Erwerbsleben nahezu hinter sich habe, wohingegen der jüngere dieses noch vor sich habe, lasse unberücksichtigt, dass es für ältere Arbeitnehmer schwieriger ist, nach erfolgter Kündigung eine neue Stelle zu finden als für jüngere Kollegen.