Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 14.10.1994, Az.: BVerwG 1 B 153.93
Befreiung von der Beitragspflicht des Rechtsanwaltsversorgungswerks auch für Ehegatten; Zulassung einer Grundsatzrevision bei gegenständlicher Frage über die Auslegung und Anwendung irreversiblen Landesrechts; Verletzung des Gleichheitssatzes bei unterschiedlicher Behandlung von Ehegatten hinsichtlich der Befreiung von der Pflichtmitgliedschaft im Rechtswanwaltsversorgungswerk
Bibliographie
- Gericht
- BVerwG
- Datum
- 14.10.1994
- Aktenzeichen
- BVerwG 1 B 153.93
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1994, 13386
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OVG Nordrhein-Westfalen
Rechtsgrundlagen
- § 11 Abs. 3 SRV
- § 43 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 SRV
- Art. 3 Abs. 1 GG
- § 43 Abs. 5 SRV
Redaktioneller Leitsatz
- 1)
Die Zulassung einer Grundsatzrevision ist nicht bei gegenständlichen Frage über die Auslegung und Anwendung irreversiblen Landesrechts anzunehemen. (Im vorliegenden Fall: §§ 11, 43 der Satzung des Rechtsanwaltsversorgungswerkes in der Bekanntmachung vom 16. 7. 1985, JMBl. NW S. 172)
Eine Abweichung dieses Grundsatzes kann anzunehmen sein, wenn eines Einwirkung von Bundesverfassungsrecht auf die Anwendung und Auslegung der Landesvorschriften zu bejahen ist.
- 2)
Die Klärungsbedürftigkeit von Bundesrecht wird nicht durch die Beanstandung aufgezeigt, daß das Berufungsgericht bei der Auslegung und Anwendung von Landesrecht die Einwirkung von Bundesrecht nicht genügend beachtet habe.
Der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat
am 14. Oktober 1994
durch
den Vorsitzenden Richter Meyer und
die Richter Dr. Hahn und Groepper
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. Juni 1993 wird verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4.000 DM festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Sie ist unzulässig.
1)
Nach § 132 Abs. 2 VwGO kann die Revision nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder das Berufungsurteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht, oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem das Berufungsurteil beruhen kann. Wird wie hier die Nichtzulassung der Revision mit der Beschwerde angefochten, muß in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Berufungsurteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Die Prüfung des beschließenden Senats ist demgemäß auf fristgerecht vorgetragene Beschwerdegründe beschränkt.
Die Klägerin beruft sich allein auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Dabei ist zu beachten, daß im Revisionsverfahren grundsätzlich nur Fragen des Bundesrechts geklärt werden können (§ 137 Abs. 1 VwGO; § 562 ZPO i.V.m. § 173 VwGO). Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerdebegründung muß daher erläutern, daß und inwiefern das Revisionsverfahren zur Klärung einer bisher höchstrichterlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann. Diesen Darlegungsanforderungen genügt die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht. Sie bezeichnet keine für die Revisionsentscheidung erhebliche fallübergreifende Frage des Bundesrechts und ihre Klärungsbedürftigkeit.
2)
Die Klägerin wirft die Frage auf, ob "sich eine Satzungsbestimmung", die dem Ehegatten eines Versorgungswerksmitglieds Befreiung von der Mitgliedschaft oder Beitragspflicht gewährt, "im Wege der Auslegung oder des Analogieschlusses" auf Ehegatten von nicht dem Versorgungswerk angehörenden Inhabern beamtenrechtlicher Versorgungsanwartschaften erstrecken läßt (Beschwerdebegründung S. 5 Nr. 2). Diese Frage bezieht sich auf die Befreiungsmöglichkeit des § 11 Abs. 3 i.V.m. § 43 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 der Satzung des beklagten Rechtsanwaltsversorgungswerks (Bekanntmachung vom 16. Juli 1985, JMBl NW S. 172) - SRV -, nach der von miteinander verheirateten Mitgliedern ein Mitglied bis zur Hälfte des Regelpflichtbeitrages von der Beitragspflicht befreit werden kann, und ihre Anwendbarkeit auf solche Mitglieder, deren nicht dem Versorgungswerk angehörender Ehegatte über eine beamtenrechtliche Versorgungsanwartschaft verfügt. Die von der Klägerin aufgeworfene Frage betrifft damit die Anwendung irrevisiblen Landesrechts und ermöglicht deswegen nicht die Zulassung der Grundsatzrevision. Auch die allgemeinen Grundsätze über die Auslegung und analoge Anwendung von Rechtsvorschriften sind revisionsrechtlich dem Bundesrecht nur dann zuzuordnen, wenn und soweit sie der Anwendung von Bundesrecht dienen. Sie sind dagegen Teil des Landesrechts, wenn und soweit es sich wie hier um die Anwendung dieser Grundsätze im Rahmen des Landesrechts handelt. Das hat das Bundesverwaltungsgericht wiederholt klargestellt (Beschluß vom 11. Juni 1975 - BVerwG 7 B 62.74 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 133; Urteil vom 13. Mai 1976 - BVerwG 2 C 26.74 - Buchholz 237.4 § 35 HmbBG Nr. 1). Allerdings kann Bundesverfassungsrecht auf die Regeln über die Auslegung und die analoge Anwendung von Rechtsvorschriften einwirken und ihnen Grenzen setzen. Das gilt namentlich für das Rechtsstaatsprinzip, insbesondere den Vorrang des Gesetzes und die Gesetzesbindung der Gerichte (Art. 20 Abs. 3 GG), wie in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt ist (vgl. z.B. BVerfGE 8, 28 <34 f.>; 48, 40 <45, 47>; 69, 315 <371 f.>; 82, 6 <11 f.>). Die Beschwerde legt jedoch nicht dar, daß insofern eine sich im Revisionsverfahren stellende Frage des Bundesrechts klärungsbedürftig sei. Dafür ist im übrigen auch nichts ersichtlich.
3)
Die Frage, ob die unter Nr. 2 erörterte Erstreckung auch für eine Satzungsbestimmung zulässig ist, die für den Befreiungsantrag eine Ausschlußfrist statuiert (Beschwerdebegründung S. 6 Nr. 3), rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Revision. Diese Frage bezieht sich auf die Anwendung des § 43 Abs. 5 SRV, der für Befreiungsanträge von Rechtsanwälten des sogenannten "Altbestandes" wie der Klägerin eine Ausschlußfrist von zwölf Monaten nach Inkrafttreten der Satzung vorsieht. Auch hierbei handelt es sich aus den vorstehend dargelegten Gründen um eine Frage des Landesrechts. Die Klägerin vertritt zwar die Ansicht, eine Erstreckung der Befreiungsregelung unter Einbeziehung der Fristvorschrift widerspreche dem aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes folgenden "Bestimmtheits- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz" (Beschwerdebegründung S. 4). Damit rügt sie eine Verletzung von Bundesrecht. Die Beschwerdebegründung erschöpft sich aber in der Beanstandung, das Berufungsgericht habe bei seiner Auslegung und Anwendung des Satzungsrechts die Einwirkung von Bundesrecht nicht oder nicht hinreichend beachtet. Damit wird nicht, wie es § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erfordert, die Klärungsbedürftigkeit von Bundesrecht aufgezeigt. Die bloße Rüge der Verletzung von Bundesrecht bei der Auslegung und Anwendung von Landesrecht genügt nach den oben dargelegten Grundsätzen nicht, um die Grundsatzrevision zuzulassen (vgl. z.B. Beschluß vom 12. Mai 1993 - BVerwG 1 B 95.92 - Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 24; Beschluß vom 21. Februar 1994 - BVerwG 1 B 19.93 - NJW 1994, 1888).
Übrigens haben sich das Bundesverfassungsgericht (vgl. z.B. Kammerbeschluß vom 28. November 1991 - 2 BvR 1772/89 - NJW 1992, 1496) und das Bundesverwaltungsgericht (Beschluß vom 20. September 1989 - BVerwG 1 B 121.89 - Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 17) zu den Anforderungen an die Bestimmtheit von Befreiungsvorschriften im Satzungsrecht berufsständischer Versorgungswerke bereits näher geäußert.
4)
Auch die Frage, ob das beklagte Versorgungswerk "treuwidrig und widersprüchlich" gehandelt habe (Beschwerdebegründung S. 6 Nr. 4), ermöglicht nicht die Zulassung der Grundsatzrevision. Die Klägerin macht sinngemäß geltend, der Beklagte setze sich mit der Versagung der begehrten Befreiung unter Berufung auf den Ablauf der Antragsfrist in Widerspruch zu seinem früheren Verhalten und handele folglich treuwidrig. Dieses Vorbringen zeigt ebenfalls nicht die Klärungsbedürftigkeit von Bundesrecht auf. Soweit allgemeine Rechtsgrundsätze in Ergänzung von Landesrecht herangezogen werden, gehören sie dem Landesrecht an, wie in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. z.B. BVerwGE 55, 337 <339>; 69, 46 <48>) auch für den Grundsatz von Treu und Glauben anerkannt ist. Die Klägerin führt zwar aus, das Oberverwaltungsgericht habe "das Rechtsstaatsprinzip verletzt", indem es "duldet, daß sich der Beschwerdegegner ... widersprüchlich und treuwidrig verhält" (Beschwerdebegründung S. 5). Damit wird aber eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt. Daran besteht kein Zweifel, wenn die Klägerin mit diesem Vorbringen lediglich rügen will, daß das Berufungsgericht den Grundsatz von Treu und Glauben und damit seine Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt habe (vgl. dazu BVerwGE 74, 241 <248 f.>). Aber auch wenn sie darauf abstellen sollte, daß der Grundsatz von Treu und Glauben in seinem Kernbestand bundesverfassungsrechtlicher Natur sei (vgl. dazu BVerwGE 51, 310 <315>), fehlt es an der Darlegung einer bestimmten fallübergreifenden Frage des Bundesrechts und ihrer Klärungsbedürftigkeit. Vielmehr beschränkt sich das Beschwerdevorbringen in diesem Zusammenhang ebenfalls auf eine dem § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht genügende bloße Rüge der Verletzung von Bundesrecht.
5)
Schließlich kann die Revision nicht wegen der Frage zugelassen werden, ob ein für Freiberufliche errichtetes Versorgungswerk mit Pflichtmitgliedschaft den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, wenn es dem Ehegatten eines Mitglieds eine Befreiung von der Mitgliedschaft oder Beitragspflicht gewährt, den Ehegatten eines mit (mindestens) gleichwertigen Versorgungsanwartschaften ausgestatteten Angehörigen des öffentlichen Dienstes dagegen von der Befreiung ausschließt (Beschwerdeschrift S. 5 Nr. 1). Die damit aufgeworfene Frage der Vereinbarkeit von Landesrecht (§ 11 Abs. 3 i.V.m. § 43 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 SRV) mit Bundesrecht kann, wie dargelegt, die Zulassung der Grundsatzrevision nur rechtfertigen, wenn das Bundesrecht eine revisionsgerichtliche Klärung erfordert. Das gilt auch für die Rüge der Verletzung des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG (Beschluß vom 12. Mai 1993 a.a.O.; Beschluß vom 21. Februar 1994 a.a.O.). Daß und inwiefern der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG hier eine ungeklärte Rechtsfrage aufwirft, macht die Beschwerdebegründung nicht ersichtlich. Es ist geklärt, daß eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG namentlich dann vorliegt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (vgl. z.B. BVerfGE 55, 72 <88>; 89, 69 <89>; BVerwGE 80, 233 <243 f.>; Urteil vom 3. September 1991 - BVerwG 1 C 24.88 - Buchholz 451.45 § 73 HwO Nr. 1). Die Klägerin zeigt nicht auf, daß ein Revisionsverfahren insoweit zu weitergehenden grundsätzlichen Erkenntnissen über den Gleichheitssatz führen könnte.
Hinzu kommt folgendes: Die Klägerin ist der Ansicht, aus Art. 3 Abs. 1 GG ergebe sich zu ihren Gunsten ein unmittelbarer Anspruch darauf, vom beklagten Versorgungswerk wie eine mit einem ebenfalls im Versorgungswerk pflichtversicherten Rechtsanwalt verheiratete Rechtsanwältin behandelt und deswegen nach Maßgabe der Bestimmungen des § 11 Abs. 3 i.V.m. § 43 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 SRV befreit zu werden. Die Klägerin berücksichtigt mit diesem Beschwerdevorbringen nicht hinreichend, daß das Berufungsgericht einen derartigen Befreiungsanspruch nicht grundsätzlich verneint hat. Es hat ihn vielmehr deshalb als nicht gegeben angesehen, weil die Klägerin den nach seiner Auffassung hierzu erforderlichen fristgebundenen Antrag verspätet gestellt habe. Nach dem Berufungsurteil stellt sich demnach die aufgeworfene Frage nicht. Eine für die Berufungsentscheidung nicht maßgebliche Rechtsfrage rechtfertigt auch nicht die Zulassung der Grundsatzrevision (Beschluß vom 7. Januar 1986 - BVerwG 2 B 94.85 - Buchholz 310 § 75 VwGO Nr. 11). Wegen des erwähnten, sich grundsätzlich nach Landesrecht beurteilenden und das Berufungsurteil tragenden Entscheidungsgrundes hat die Klägerin keinen durchgreifenden Revisionszulassungsgrund geltend gemacht, wie oben im einzelnen dargelegt worden ist. Unter diesen Umständen kommt es für den mit der Klage geltend gemachten Befreiungsanspruch übrigens auch nicht auf die von der Klägerin ohnehin nicht als klärungsbedürftig bezeichnete Frage an, ob sich ohne eine entsprechende Auslegung oder analoge Anwendung der geltenden Satzung ein Befreiungsanspruch unmittelbar aufgrund des Gleichheitsgrundsatzes begründen läßt, wie die Klägerin meint, oder ob es für einen solchen Anspruch einer entsprechenden Ergänzung der Satzung bedarf (vgl. dazu z.B. BVerfGE 2, 336 [BVerfG 10.06.1953 - 1 BvF 1/53] <341>; 8, 28 <34>; 15, 46 <75 f.>).
6)
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4.000 DM festgesetzt.
Hahn
Groepper