Bundesverwaltungsgericht
Urt. v. 27.04.1990, Az.: BVerwG 4 C 10.87
Wiedereinsetzung ; Adresse ; Brief; Unvollständige Adresse; Postzustellung; Postsonderbehandlung; Zustellung
Bibliographie
- Gericht
- BVerwG
- Datum
- 27.04.1990
- Aktenzeichen
- BVerwG 4 C 10.87
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1990, 12672
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VGH Bayern - 18.12.1986 - AZ: 20 A 86.40019
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- JurBüro 1990, 626 (Kurzinformation)
- MDR 1990, 1074
- NJW 1990, 2639-2640 (Volltext mit amtl. LS)
- NVwZ 1990, 1065 (amtl. Leitsatz)
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Wird ein Brief so frühzeitig abgesandt, daß er trotz Unvollständigkeit der Anschrift und der dann notwendigen Sonderbehandlung bei der Postzustellung üblicherweise rechtzeitig eingehen müßte, ist die Sorgfaltspflicht nicht verletzt und daher Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
- 2.
Macht die Post bei der Zustellung eines Briefes einen Fehler, der die Möglichkeit des rechtzeitigen Zugangs auch des einer Sonderbehandlung bedürftigen Briefes beseitigt haben kann, geht dies nicht zu Lasten des Absenders; die Wiedereinsetzung wird dadurch nicht ausgeschlossen.
Der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
hat am 27. April 1990
durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Schlichter und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Niehues, B. Sommer, Prof. Dr. Dr. Berkemann
und Hien
ohne mündliche Verhandlung
für Recht erkannt:
Tenor:
Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Dezember 1986 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich gegen den Planfeststellungsbeschluß der Bundesbahndirektion N. vom 6. Mai 1986, mit dem der mit Beschluß vom 15. August 1980 festgestellte Plan für den Bau der Bundesbahn-Neubaustrecke H.-W. von Bau-km 261,027 bis Bau-km 265,900 mit Rücksicht auf eine Hochwasserfreilegung B. im Bereich der Marktgemeinde B. ergänzt wurde. Am 12. Juni 1986 wurde ihm der Planfeststellungsbeschluß ausweislich der Postzustellungsurkunde zugestellt. Die Rechtsbehelfsbelehrung wies unter anderem darauf hin, daß gegen den Planfeststellungsbeschluß innerhalb eines Monats nach Zustellung Klage beim Bayer. Verwaltungsgerichtshof, Postfach 34 01 48, 8000 München 34, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden könne.
Mit Schriftsatz vom 11. Juli 1986 ließ der Kläger durch seine Bevollmächtigten Klage gegen den Planfeststellungsbeschluß vom 6. Mai 1986 erheben. Der Schriftsatz mit der Anschrift "Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Postfach, 8000 München" wurde in einem Kuvert mit einem Adressenfenster als Einschreiben zur Post gegeben. Der Freistempelaufdruck der Kanzlei auf dem Kuvert enthält das Datum "11. Juli 1986". Ausweislich des Eingangsstempels ging der Schriftsatz am 16. Juli 1986 beim Verwaltungsgerichtshof ein.
Nachdem der Verwaltungsgerichtshof mit Schreiben vom 23. Juli 1986, den Bevollmächtigten des Klägers zugegangen am 26. Juli 1986, darauf hingewiesen hatte, daß die Klage nicht in der gesetzlichen Frist erhoben worden sei, beantragten diese mit Schreiben vom 30. Juli 1986, eingegangen am 31. Juli 1986, wegen der Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sie machten unter Vorlage eidesstattlicher Versicherungen geltend, der Schriftsatz vom 11. Juli 1986 sei noch am selben Tage zur Post gegeben worden. Da die normale Laufzeit eines Briefs von W. nach München einen Tag betrage, hätten sie selbst bei Berücksichtigung des Wochenendes (12./13.7.1986) damit rechnen können, daß der Schriftsatz vor Ablauf der Klagefrist am 14. Juli 1986 dem Verwaltungsgerichtshof zugehen würde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat Auskünfte der Deutschen Bundespost über den Zeitpunkt der Aufgabe des Schriftsatzes vom 11. Juli 1986 zur Post, den Lauf der Sendung, die regelmäßige Beförderungsdauer von W. nach München und die Auswirkungen einer unvollständigen Anschrift eingeholt (Stellungnahmen der Postämter 2 und 22 München vom 13. und 25. August 1986). Durch das angefochtene Urteil hat er die Klage als unzulässig abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:
Als die Klage am 16. Juli 1986 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen sei, sei die Klagefrist von einem Monat (§ 74 Abs. 1 VwGO) bereits verstrichen gewesen. Sie habe mit der Zustellung des Planfeststellungsbeschlusses vom 6. Mai 1986 am 12. Juni 1986 zu laufen begonnen und mit Rücksicht darauf, daß der 12. Juli 1986 auf einen Samstag gefallen sei, mit Ablauf des 14. Juli 1986 geendet. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Klagefrist sei nicht zu gewähren, da nicht glaubhaft gemacht worden sei, daß der Kläger ohne Verschulden an der Einhaltung dieser Frist verhindert gewesen sei (§ 60 Abs. 1 und 2 Satz 2 VwGO).
Ein eigenes Verschulden des Klägers an der Fristversäumung scheide zwar nach der Sachlage aus. Es liege aber ein Verschulden der Bevollmächtigten des Klägers vor, das diesem wie eigenes Verschulden zuzurechnen sei (§ 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO). Der den Klageschriftsatz enthaltende Einschreibebrief sei nämlich nur unvollständig adressiert worden. Als Adresse sei - trotz der insoweit korrekten Rechtsbehelfsbelehrung im Planfeststellungsbeschluß vom 6. Mai 1986 - lediglich "Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Postfach, 8000 München" angegeben. Nach der Auskunft der Postämter 22 und 2 München vom 13. und 25. August 1986 würden Sendungen, bei denen - wie hier - weder das zuständige Zustellpostamt noch die Straße des Empfängers angegeben seien, bei der zentralen Briefeingangsstelle aus dem normalen Brieflauf ausgeschieden und einer Sonderbehandlung unterworfen, die insbesondere bei Anhäufung solcher Sendungen die Zustellung verzögern könne. Auch das sei voraussehbar gewesen. Damit, daß eine unzureichende Adressierung zu einer Verzögerung der Zustellung führen könne, müsse stets gerechnet werden. Folge auf den Tag der Aufgabe zur Post - wie hier - das Wochenende, müsse auch eine den üblichen Rahmen überschreitende Verzögerung in Betracht gezogen werden. Denn es sei allgemein bekannt, daß der Postbetrieb an den beiden Tagen des Wochenendes eingeschränkt sei. Das könne eine zügige Zustellung unzureichend adressierter Sendungen zusätzlich erschweren. Der Meinung des Bundesgerichtshofs (Beschlüsse vom 30. September 1968 - II ZB 1/68 - BGHZ 51,1 = NJW 1969, 468, und vom 3. Juli 1984 - VI ZB 7 u. 8/84 - VersR 1984, 571), daß derjenige, der an ein Gericht unter dessen zutreffender Bezeichnung und unter Angabe des Gerichtsorts, jedoch ohne Beifügung der Straße und der Hausnummer schreibe, seine Sorgfaltspflicht nicht verletze, vermöge der Verwaltungsgerichtshof sich nicht anzuschließen.
Nach der Stellungnahme des Postamts 2 München vom 25. August 1986 spreche allerdings viel dafür, daß auch der Deutschen Bundespost bei der Behandlung des die Klageschrift vom 11. Juni 1986 enthaltenden Einschreibebriefs ein Fehler unterlaufen sei. Vermutlich sei dieser nämlich von dem gesonderten Verteilplatz, den die unzureichend adressierten Sendungen durchliefen, zunächst einem falschen Postamt zugeleitet worden. Ob die Klageschrift ohne einen solchen Fehler rechtzeitig beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen wäre, lasse sich nicht klären. Selbst wenn anzunehmen wäre, daß sie ohne Fehlleitung durch die Deutsche Bundespost dem Gericht rechtzeitig zugegangen wäre, wäre die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu versagen. Ein solcher Fehler der Deutschen Bundespost ließe die Ursächlichkeit der dem Kläger vorwerfbaren unvollständigen Adressierung für die Fristversäumnis nicht entfallen. Davon abgesehen trage der Kläger für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 VwGO die materielle Beweislast. Die Unaufklärbarkeit der Frage, ob für die Fristversäumung ein Fehler der Deutschen Bundespost mit ursächlich gewesen sei, gehe deshalb zu seinen Lasten.
Mit der Revision rügt der Kläger die fehlerhafte Anwendung des § 60 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 VwGO. Der Verwaltungsgerichtshof habe zu Unrecht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumnis der Klagefrist versagt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (a.a.O.) genüge es, wenn ein Schriftsatz an das zuständige Gericht unter Angabe von dessen gesetzlicher Bezeichnung und des Gerichtsortes zur Post gehe, da jeder Rechtsuchende damit rechnen könne, daß der Post als Behörde die Gerichte, insbesondere die Obergerichte, bekannt seien. Die Adresse des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sei postbekannt. Es dürfe dem Bürger und seinem Prozeßbevollmächtigten nicht zur Last gelegt werden, daß er - wie hier geschehen - auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vertraut habe. Im vorliegenden Fall ergebe sich aus der Stellungnahme der Deutschen Bundespost vom 25. August 1986, daß ohne postinterne Fehler eine rechtzeitige Zustellung erfolgt wäre.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Dezember 1986 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision des Klägers, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§§ 141, 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an den Verwaltungsgerichtshof (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO).
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Die dem zugrundeliegende Ablehnung der vom Kläger beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verletzt Bundesrecht (§ 60 Abs. 1 VwGO) und stellt einen im Revisionsverfahren geltend zu machenden Verfahrensmangel dar (vgl. BVerwGE 13, 141 <145>; 13, 239 <240 f.>), auf dem das angefochtene Urteil beruht. Der Kläger hat zwar die Klagefrist des § 74 VwGO versäumt. Diese hat hier mit der Zustellung des Planfeststellungsbeschlusses am 12. Juni 1986 zu laufen begonnen und mit Rücksicht darauf, daß der 12. Juli 1986 auf einen Sonnabend fiel, mit Ablauf des 14. Juli 1986 (Montag) geendet (§ 57 VwGO, § 222 Abs. 1 und 2 ZPO, § 187 Abs. 1 BGB, § 188 Abs. 2 BGB). Die Klage ist daher am 16. Juli 1986 verspätet beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen. Der Kläger war jedoch ohne Verschulden gehindert, die Klagefrist einzuhalten. Ihm ist deshalb auf seinen Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Nach den auf der Auskunft des Postamtes 2 München vom 25. August 1986 beruhenden Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs, an die der Senat gebunden ist (§ 137 Abs. 2 VwGO), wurde die den Klageschriftsatz enthaltende Einschreibesendung am 11. Juli 1986 zwischen 14.00 und 17.30 Uhr in W. eingeliefert. Üblicherweise mußte der Brief - wie der Verwaltungsgerichtshof weiter festgestellt hat - spätestens am darauffolgenden Tag, also am 12. Juli 1986, einem Sonnabend, in München vorgelegen haben. Ein Zugang noch an diesem Tag war jedoch nicht zu erwarten, da die Klage als Einschreiben zur Post gegeben wurde und die für den Zugang einer Einschreibsendung maßgebliche Aushändigung an den Empfangsberechtigten frühestens am Montag, dem 14. Juli 1986, möglich gewesen wäre. Normalerweise hätten die Bevollmächtigten des Klägers folglich - wie der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls festgestellt hat - damit rechnen können, daß der Klageschriftsatz noch rechtzeitig am letzten Tag der Frist dem Gericht zugehen würde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dennoch abgelehnt, weil der den Klageschriftsatz enthaltende Einschreibebrief mit der Angabe "Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Postfach, 8000 München" nur unvollständig adressiert worden sei. Er hat dabei der Auffassung des Bundesgerichtshofs (Beschlüsse vom 30. September 1968 - II ZB 1/68 - BGHZ 51, 1 = NJW 1969, 468 und vom 3. Juli 1984 - VI ZB 7 und 8/84 - VersR 1984, 571) widersprochen, wonach derjenige seine Sorgfaltspflicht nicht verletze, der einen Brief an ein Gericht unter dessen zutreffender Bezeichnung und unter Angabe des Gerichtsorts, jedoch ohne Beifügung der Straße und der Hausnummer adressiere. Auch dem Senat erscheint es zweifelhaft, ob angesichts der von der Post zur Bewältigung des Massenbetriebs inzwischen eingeführten organisatorischen Maßnahmen gegenwärtig noch darauf abgestellt werden kann, daß die Post am Gerichtsort die Anschriften der Gerichte kennt oder doch aufgrund von Mitteilungen der Justizverwaltung kennen müßte. Auf die speziellen Kenntnisse im Einzelfall kommt es nämlich nicht entscheidend an, wenn unvollständig oder unrichtig adressierte Briefsendungen (vgl. § 3 Postordnung) von vornherein ("automatisch") ausgeschieden und zur Richtigstellung oder Ergänzung der Angaben einer Sonderbehandlung zugeführt werden. Die Deutsche Bundespost ist rechtlich nicht gehindert, insbesondere in größeren Städten, ihren Betriebsablauf in dieser Weise zu organisieren, um damit eine rasche Zustellung der weit überwiegenden Mehrzahl korrekt adressierter Sendungen zu sichern. Die fortschreitend technisierte Bearbeitung der Sendungen - etwa durch maschinelle Erfassung der Adressen - dürfte in Zukunft sogar verstärkt dazu führen, daß bei nicht korrekt adressierten Sendungen Aussonderungen und damit Verzögerungen in Kauf zu nehmen sind. Wer geltend macht, daß er bei dem üblichen Betriebsablauf die gesetzliche Frist gewahrt hätte, muß dies in Rechnung stellen (kritisch gegenüber der Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs auch Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 2. Juni 1987 - 3 AZR 692/85, NJW 1987, 3278; vgl. ferner die Entscheidungen des Bundesfinanzhofs vom 21. Dezember 1983 - VIII R 111-114/83 sowie den Beschluß des 9. Senats des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Februar 1990 - BVerwG 9 B 222.89 -).
Im vorliegenden Fall kann dahinstehen, ob die Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs angesichts der fortentwickelten organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Deutschen Bundespost heute noch zutrifft. Denn dem Kläger ist hier schon aus anderen Gründen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren:
Wer Postsendungen nicht korrekt adressiert, muß nur mit denjenigen Verzögerungen rechnen, die durch den jeweiligen Mangel üblicherweise entstehen. Wird der Brief indes so frühzeitig abgesandt, daß er trotz der Unvollständigkeit der Anschrift bei der dann notwendigen Sonderbehandlung üblicherweise noch rechtzeitig eingehen müßte, ist die Sorgfaltspflicht nicht verletzt und daher Wiedereinsetzung zu gewähren (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16. Dezember 1971 - 5 AZR 384/71 - NJW 1972, 735). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Zwar ist - davon muß mit dem Verwaltungsgerichtshof ausgegangen werden - bei der vorliegend unvollständigen Adressierung des an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gerichteten Briefes mit einer Sonderbehandlung der bezeichneten Art durch die Post zu rechnen. Jedoch beträgt die dadurch bewirkte Verzögerung üblicherweise nur einen Tag. Jedenfalls was den Umfang der Sonderbehandlung und deren zeitlichen Aufwand betrifft, darf nicht unberücksichtigt bleiben, daß den besonderen Verteilern die Anschrift des höchsten bayerischen Verwaltungsgerichts bzw. sein für die Postfachzustellung zuständiges Postamt im allgemeinen bekannt ist. Zumindest können sie diese kurzfristig ermitteln, wie sie z.B. auch in der Lage sind, etwa fehlende Zustellamtsangaben aufgrund von bloßen Straßenangaben zumeist sogar ohne jede Verzögerung zu ergänzen (Auskunft des Postamts 22 München vom 13. August 1986). Mit einem Ermittlungsaufwand, der über die Dauer eines Tages hinausgeht, ist in solchen Fällen üblicherweise nicht zu rechnen. Dies entspricht auch den Angaben des Postamts 22 München vom 13. August 1986.
Der vorliegende Fall weist Besonderheiten insofern auf, als der unvollständig adressierte Einschreibebrief erstens nach dem Willen des Absenders über das Postfach zugestellt werden sollte und zweitens nicht etwa einen Tag früher als notwendig abgesandt worden ist, sondern daß der Zeitraum zwischen Freitag bis einschließlich Montag zugrunde zu legen ist. Insofern ist indes unter den gegebenen Umständen zugunsten des Klägers anzunehmen, daß dieser Zeitraum für die - hier offensichtlich wenig aufwendige - Sonderbehandlung soviel Spielraum bietet, daß jedenfalls Mängel der vorliegenden Art nicht erheblich sind. Dabei kommt es nicht darauf an, daß die Postfach-Einschreibesendung wegen der Abholmodalitäten des Gerichts ohnehin erst am Montag zugegangen wäre; entscheidend ist vielmehr, daß zwischen dem Eingang des Briefes bei der zentralen Briefeingangsstelle in München am Sonnabend und dem jedenfalls möglichen Zugang am Montag im allgemeinen hinreichend Zeit gegeben ist, um diejenige Sonderbehandlung zu erledigen, die aufgrund der hier gegebenen Adressierungsmängel notwendig war. Hierzu fehlen zwar konkrete Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs; auch die von ihm eingeholten Auskünfte der Postämter 2 und 22 München geben dazu im einzelnen wenig her. Das mag indes dahinstehen. Denn nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs kann speziell in diesem Fall nicht ausgeschlossen werden, daß der Brief das Gericht ohne die weitere Fehlleitung durch die Post noch rechtzeitig am 14. Juli 1986 (Montag) erreicht hätte. Es ist daher möglich, daß dieser Brief trotz der Unvollständigkeit seiner Adressierung rechtzeitig beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen wäre. Zwar könnte der Kläger auf diese Möglichkeit nicht vertrauen, wenn sie nur darauf gestützt wäre, daß die Post den Brief trotz der Adressierungsmängel bei schnellerer Bearbeitung als üblich dennoch rechtzeitig hätte zustellen können (Urteil vom 14. Juni 1983 - BVerwG 6 C 162.81 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 132 <S. 27>); denn führt schon das Fehlverhalten des Absenders üblicherweise zu einer erheblichen Verzögerung, hilft es ihm nicht weiter, wenn die Post ihrerseits einen (weiteren) Fehler begeht, der die Verzögerung ebenfalls bewirken kann (Urteil vom 25. November 1977 - BVerwG 5 C 12.77 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 100 <S. 29>). So liegen die Dinge hier jedoch nicht. Der Kläger durfte vielmehr damit rechnen, daß die Post die - trotz der Adressierungsmängel - nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs gegebene Möglichkeit der rechtzeitigen Zustellung nicht durch eigene Fehler beseitigen würde. Zwar ist nicht im einzelnen festgestellt worden, in welcher Weise der Brief fehlgeleitet worden ist. Darauf kommt es hier jedoch nicht entscheidend an. Der Brief sollte nach dem Willen seines Absenders über das Postfach dem Gericht zugehen. Es war daher die fehlende Nummer des für Postfachzustellungen an den Verwaltungsgerichtshof zuständigen Postamts "34" zu ergänzen. Da die Post diesen von dem Absender angegebenen Weg nicht beschritten hat, sondern zu der sonst bei Straßenangaben vorgesehenen Zustellung übergegangen ist, darf das Risiko für Fehlleitungen auf diesem von der Post selbst eingeschlagenen Wege nicht dem Absender aufgebürdet werden (vgl. auch Urteil vom 29. Juni 1984 - BVerwG 6 C 12.83 - Buchholz 310 § 81 VwGO Nr. 11 <S. 5>). Unter diesen Umständen kann es nicht dem Kläger angelastet werden, daß nicht feststeht, ob die Fehlleitung hier die an sich bestehende Möglichkeit beseitigt hat, daß der Brief rechtzeitig zuging. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beweislast insofern zu Unrecht dem Kläger zugewiesen. Die Fehlleitung des Briefes durch die Post hat die Möglichkeit beseitigt, daß der Brief trotz der notwendigen Sonderbehandlung nach seiner Absendung in W. am Freitag bis einschließlich Montag das Gericht über das Postfach hätte erreichen können. Da die hierauf zu stützende Vermutung des rechtzeitigen Eingangs nicht erschüttert worden ist und mangels weiterer Aufklärungsmöglichkeiten auch nicht erschüttert werden kann, bleibt es dabei, daß der Brief trotz der notwendigen Sonderbehandlung rechtzeitig zugehen konnte.
Über den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist als einer Voraussetzung für die Zulässigkeit der Klage hat das Revisionsgericht gemäß § 60 Abs. 4 VwGO abschließend zu entscheiden (Urteil vom 28. August 1987 - BVerwG 4 C 14.86 - Buchholz 340 § 3 VwZG Nr. 14 = NJW 1988, 578). Der Antrag ist - ohne daß es insoweit weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf - schon nach dem vom Verwaltungsgerichtshof festgestellten Sachverhalt (zur Frage der Bindung des Revisionsgerichts an tatsächliche Feststellungen in bezug auf einen Wiedereinsetzungsantrag vgl. Urteil vom 29. Februar 1968 - BVerwG 2 C 16.64 - Buchholz 310 § 60 Nr. 53) zulässig und begründet. Der Kläger hat die Wiedereinsetzung rechtzeitig innerhalb der Frist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO beantragt und die maßgeblichen Umstände glaubhaft gemacht. Daß es insofern auf das Verhalten der Prozeßbevollmächtigten des Klägers ankommt (§ 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO), hat der Verwaltungsgerichtshof zutreffend erkannt.
Ob die hiernach nicht wegen Versäumung der Klagefrist unzulässige Klage in der Sache Erfolg haben kann, läßt sich ohne weitere tatsächliche Feststellungen, die der Verwaltungsgerichtshof von seinem abweichenden Rechtsstandpunkt aus nicht getroffen hat, nicht beurteilen. Die Sache ist deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 10.000 DM festgesetzt (§ 13 Abs. 1 Satz 1 GKG).
Prof. Dr. Schlichter
Dr. Niehues
Hien
Dr. Niehues
Sommer
Prof. Dr. Dr. Berkemann
Hien