Bundessozialgericht
Beschl. v. 18.12.2024, Az.: B 8 SO 4/23 B
Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen); Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde
Bibliographie
- Gericht
- BSG
- Datum
- 18.12.2024
- Aktenzeichen
- B 8 SO 4/23 B
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2024, 31357
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:BSG:2024:181224BB8SO423B0
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Altenburg - 16.11.2021 - AZ: S 21 SO 1086/20
- LSG Thüringen - 25.01.2023 - AZ: L 8 SO 1008/21
Rechtsgrundlage
Redaktioneller Leitsatz
Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist
Der 8. Senat des Bundessozialgerichts hat am 18. Dezember 2024 durch die Vorsitzende Richterin Krauß sowie die Richter Prof. Dr. Luik und Stäbler
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Thüringer Landessozialgerichts vom 25. Januar 2023 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Im Streit ist die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).
Die Klägerin steht unter Betreuung. Diese umfasst ua die Vertretung bei Ämtern und Behörden sowie anderen Leistungsträgern und die Vermögenssorge; für den Bereich der Vermögenssorge ist ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet (Beschluss des Amtsgerichts <AG> Gera vom 27.2.2014). Sie erhielt in Ansehung ihres einzusetzenden Vermögens - einer nicht selbst bewohnten Eigentumswohnung - zunächst für mehrere Jahre darlehensweise Grundsicherungsleistungen, zuletzt ab 1.4.2020 (Bescheid vom 26.3.2020). Nach der Veräußerung der Wohnung für rund 78 400 Euro hob der Beklagte die darlehensweise Leistungsgewährung für Mai 2020 auf und lehnte die Erbringung von Grundsicherungsleistungen ab (Bescheid vom 4.5.2020). Nachdem der Betreuer der Beklagten mitteilte, der Widerspruch gegen den Bescheid vom 4.5.2020 werde nicht aufrechterhalten und der Mandatierung des Prozessbevollmächtigten für das Widerspruchsverfahren nicht zugestimmt, wies die Beklagte den Widerspruch als unzulässig zurück (Widerspruchsbescheid vom 22.7.2020). In der Folge hat der Betreuer auch keine Einwilligung zum Mandat für das Klage- sowie Berufungsverfahren erteilt, sondern die Prozessführung durch den Prozessbevollmächtigten, einen von der Klägerin mandatierten Rechtsanwalt, abgelehnt. Die Klage hat keinen Erfolg gehabt (Urteil des Sozialgerichts <SG> Altenburg vom 16.11.2021; Beschluss des Thüringer Landessozialgerichts <LSG> vom 25.1.2023); SG und LSG haben sie als unzulässig angesehen. Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt, die Klage sei unzulässig, weil sie ohne ausreichende Bevollmächtigung erhoben worden sei. Die angeordnete Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt für die Vermögenssorge umfasse auch die Geltendmachung von Sozialhilfeansprüchen.
Die Klägerin macht mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde eine grundsätzliche Bedeutung der Sache (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) sowie Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG) geltend.
II
Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen; die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) sind nicht in der gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung - ggf sogar des Schrifttums - angeben, welche Rechtsfrage sich stellt, dass diese noch nicht geklärt ist, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfrage aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsver - fahren eine Klärung erwarten lässt (Bundessozialgericht <BSG> vom 2.3.1976 - 12/11 BA 116/75 - SozR 1500 § 160 Nr 17 und BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7; BSG vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG vom 25.9.1975 - 12 BJ 94/75 - SozR 1500 § 160a Nr 13; BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31; BSG vom 19.1.1981 - 7 BAr 69/80 - SozR 1500 § 160a Nr 39; BSG vom 9.10.1986 - 5b BJ 174/86 - SozR 1500 § 160a Nr 59 und BSG vom 22.7.1988 - 7 BAr 104/87 - SozR 1500 § 160a Nr 65). Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer eine konkrete Frage formulieren, deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit und (konkrete) Klärungsfähigkeit (= Entscheidungserheblichkeit) sowie deren über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung (Breitenwirkung) darlegen (vgl nur BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Vorgaben genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Als Frage grundsätzlicher Bedeutung wirft die Klägerin (sinngemäß) die Frage auf, ob die Geltendmachung sozialrechtlicher Ansprüche bei Betreuten als Möglichkeit zur Bedarfsdeckung der Personensorge unterfalle oder zur Bildung eines Vermögensstammes der Vermögenssorge unterliege. Es kann dahin stehen, ob damit eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung ausreichend dargelegt ist (zum Meinungsstand Schneider, FamRZ 2022, 1, 4; Bauer/Deinert in Bauer/Lütgens/Schwedler, HK zum Betreuungs- und Unterbringungsrecht, 150. Lieferung, 8/2024, § 1896 BGB RdNr 235 mwN). Jedenfalls fehlt es an einer hinreichenden, den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Darlegung der Klärungsfähigkeit. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist (BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Über die aufgeworfene Rechtsfrage müsste das Revisionsgericht also - in Ergänzung zur abstrakten Klärungsfähigkeit - konkret individuell sachlich entscheiden müssen (vgl nur BSG vom 25.6.1980 - 1 BA 23/80 - SozR 1500 § 160 Nr 39). Vorliegend legt die Klägerin zwar sinngemäß dar, bei einer Entscheidung über die als grundsätzlich bedeutsam dargestellte Rechtsfrage in ihrem Sinne sei die Führung des Rechtsstreits nicht vom Einwilligungsvorbehalt erfasst worden, sodass unerheblich sei, dass der Betreuer die Prozessführung nicht genehmigt habe. Es fehlt aber eine Auseinandersetzung damit, dass der Betreuer zumindest im Widerspruchsverfahren selbst Verfahrenshandlungen vorgenommen hat (Schreiben vom 27.5.2020). Weshalb die von ihm abgegebene Erklärung, der Widerspruch werde nicht aufrecht erhalten, entgegen der Auffassung des Beklagten nicht als Rücknahme des Widerspruchs zu verstehen sein sollte, legt die Klägerin nicht dar. Ebensowenig hat sie sich mit der vom Beklagten im Widerspruchsbescheid dargestellten Rechtsprechung des BSG auseinandergesetzt, wonach bei einem "Dissens" zwischen Betreutem und Betreuer unabhängig von einem ggf bestehenden Einwilligungsvorbehalt nur Prozesshandlungen des Betreuers wirksam sind, sodass einander widersprechende Prozesserklärungen - im Interesse eines sachgemäßen Prozessverlaufs - ausgeschlossen sind (vgl BSG vom 10.7.2013 - B 5 R 185/13 B - RdNr 3 mwN). Sie stellt weder dar, mit welcher Begründung an dieser Rechtsprechung nicht festzuhalten sein sollte, noch welche Konsequenzen sich aus der ggf eingetretenen Bestandskraft des Bescheids vom 4.5.2020 für den vorliegenden Rechtsstreit ergeben und weshalb der Senat gleichwohl noch über die von ihr aufgeworfene Rechtsfrage zu entscheiden hätte.
Die Begründung bezeichnet auch einen Verfahrensmangel nicht ausreichend. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14 S 22; BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36 S 53).
Soweit die Klägerin geltend macht, es habe kein Fall des § 153 Abs 4 SGG vorgelegen, weil "nicht nur über Rechtsfragen, sondern auch über materielles Recht zu entscheiden" gewesen sei und sie sodann eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahr 1983 zitiert, die nicht im Zusammenhang mit § 153 Abs 4 SGG steht, wird nur schwerlich erkennbar, welcher Verfahrensfehler überhaupt gerügt werden soll. Wollte man diesem Vortrag die Rüge entnehmen, das LSG habe sich ermessensfehlerhaft auf einen Beschluss nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG beschränkt, statt eine mündliche Verhandlung mit ehrenamtlichen Richtern durchzuführen, wird die Klägerin den Darlegungserfordernissen wegen eines daraus folgenden Verfahrensfehlers nicht gerecht. Eine Auseinandersetzung mit der Norm und der hierzu ergangenen Rechtsprechung fehlt gänzlich; in der Beschwerdebegründung finden sich keinerlei konkrete, fallbezogene Ausführungen.
Den Anforderungen an die Bezeichnung eines Verfahrensmangels genügt die Beschwerdebegründung ebenfalls nicht, soweit die Klägerin eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 Satz 2 Grundgesetz <GG>) und einen Verstoß gegen § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 547 Nr 1 Zivilprozessordnung <ZPO> rügt, weil das LSG unter Mitwirkung des abgelehnten Vorsitzenden Richters in der Sache entschieden habe. Der Vortrag lässt nur bruchstückhaft erkennen, welche Vorgänge die Klägerin insoweit überhaupt rügt. Sie nimmt ausschließlich Bezug auf einen Beschluss aus einem dem Hauptsacheverfahren vorangegangenen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (vom 22.5.2020 - L 8 SF 355/20 AB, L 8 SO 304/20 ER), ohne im Einzelnen aufzuzeigen, welche Konsequenzen hieraus für das Hauptsacheverfahren folgen sollten. Der bloße Hinweis auf § 318 ZPO ist unverständlich; die Norm regelt die Bindung des Gerichts an seine eigenen Entscheidungen innerhalb einer Instanz, nicht aber im Verhältnis zu einem vorangegangenen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Die Klägerin behauptet aber nicht einmal, dass der Beschluss vom 7.7.2022 (L 8 SF 443/22 AB), mit dem im laufenden Berufungsverfahren das Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden Richter als unbegründet zurückgewiesen worden ist, fehlerhaft gewesen sein sollte.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.