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Bundessozialgericht
Beschl. v. 11.01.2024, Az.: B 8 AY 5/23 B
Beanspruchung höherer Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG); Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 11.01.2024
Referenz: JurionRS 2024, 12083
Aktenzeichen: B 8 AY 5/23 B
ECLI: ECLI:DE:BSG:2024:110124BB8AY523B0

Verfahrensgang:

vorgehend:

SG Bremen - 17.10.2019 - AZ: S 39 AY 35/18

LSG Niedersachsen-Bremen - 01.06.2023 - AZ: L 8 AY 47/19

Rechtsgrundlage:

§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG

BSG, 11.01.2024 - B 8 AY 5/23 B

Redaktioneller Leitsatz:

Bei dem Antrag auf Beanspruchung von ALG II-Leistungen ist das Einkommen entsprechend anzurechnen. Bei Einkommen aus selbständiger Arbeit sind die Betriebseinnahmen zugrunde zu legen. Beiträge zum Versorgungswert stellen keine Betriebsausgaben dar. Sie sind nicht als Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung i.S.d. §§ 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II anzusehen. Sie stellen wie die Fahrkosten vom Grundfreibetrag abgedeckte Absetzpositionen dar.

Der 8. Senat des Bundessozialgerichts hat am 11. Januar 2024 durch die Vorsitzende Richterin Krauß sowie die Richter Prof. Dr. Bieresborn und Stäbler
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerden der Kläger gegen die Nichtzulassung des Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 1. Juni 2023 werden als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

I

1

Im Streit sind höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für die Zeit von April bis September 2017.

2

Die Kläger (Mutter und Sohn) sind albanische Staatsangehörige und leben seit 2015 bzw seit der Geburt im Stadtgebiet des Beklagten. Die Beklagte bewilligte Leistungen nach dem AsylbLG ua "ab dem 1.2.2017" (Bescheid vom 28.2.2017). Einen Antrag auf Überprüfung dieses Bescheids lehnte die Beklagte ab; das hiergegen gerichtete Klageverfahren ist noch nicht rechtskräftig abgeschlossen. Den Widerspruch vom 5.5.2017 gegen den Bescheid vom 28.2.2017 wies die Beklagte als unzulässig zurück, weil er erst nach Ablauf der einmonatigen Widerspruchsfrist eingelegt worden sei (Widerspruchsbescheid vom 11.4.2018). Die hiergegen gerichtete Klage ist ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts <SG> Bremen vom 17.10.2019; Urteil des Landessozialgerichts <LSG> Niedersachsen-Bremen vom 1.6.2023). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, höhere Leistungen nach dem AsylbLG für die Zeit von April bis September 2017 könnten im vorliegenden Verfahren nicht zulässigerweise geltend gemacht werden. Leistungen für diese Monate seien entgegen der Auffassung der Kläger nicht monatsweise konkludent durch Auszahlung, sondern mit Dauerverwaltungsakt vom 28.2.2017 unbefristet in monatlich gleichbleibender Höhe bewilligt worden. Dies ergebe sich aus der Auslegung des Verwaltungsakts nach allgemeinen Regeln, was es im Einzelnen ausgeführt hat. Der Bescheid vom 28.2.2017 sei aber nicht rechtzeitig mit einem Widerspruch angegriffen worden.

3

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem bezeichneten Urteil wenden sich die Kläger mit ihren Beschwerden und machen eine grundsätzliche Bedeutung der Sache sowie Divergenz geltend.

II

4

Die Beschwerden sind unzulässig, weil weder der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>), noch der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG) in der gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden sind. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerden ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. § 169 Satz 3 SGG entscheiden.

5

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur Bundessozialgericht <BSG> vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

6

Es ist schon zweifelhaft, ob mit den Fragen,

1. Darf ein Gericht über den Willen der Kläger hinweg und unabhängig von der Verfahrenslage nur eine - nach Auffassung des Gerichtes - günstigste Auslegung eines unstreitig mißverständlichen Verwaltungsaktes festsetzen, auch wenn diese Auslegung im konkreten Verfahren für die Kläger ungünstiger ist, als eine andere mögliche Auslegung?

2. Darf ein Gericht ohne nähere empirische Daten eine "gerichtsbekannte Praxis" einer Behörde zu Lasten der Kläger unterstellen?

3. Darf ein Gericht ohne nähere empirische Daten eine "gerichtsbekannte Praxis" einer Behörde zu Lasten der Kläger unterstellen, ohne den Klägern rechtliches Gehör zu dieser beabsichtigten Unterstellung einer "gerichtsbekannten Praxis" einer Behörde zu gewähren?,

überhaupt abstrakt-generelle Rechtsfragen aufgezeigt sind, die allgemein beantwortet werden könnten, oder es sich um Fragen handelt, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalls abhängt und die deshalb einer Entscheidung durch das Revisionsgericht entzogen sind. Es fehlt jedenfalls an einer Darlegung ihrer abstrakten Klärungsbedürftigkeit. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch anzusehen, wenn das Revisionsgericht sie zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, aber schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen anderer oberster Bundesgerichte oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (stRspr; vgl zB BSG vom 2.12.2019 - B 8 SO 52/19 B - RdNr 5 mwN). Die Kläger tragen selbst vor, dass umfangreiche Rechtsprechung des BSG zur Auslegung eines Verwaltungsakts vorliegt; auch das LSG hat seine Entscheidung mit Bezugnahmen auf Entscheidungen des BSG begründet. Es fehlt aber an der Auseinandersetzung damit, inwiefern sich die aufgeworfenen Fragen mit dieser Rechtsprechung nicht oder nicht umfassend beantworten lassen. Mit ihren Ausführungen, dem LSG sei vor dem Hintergrund der vorliegenden Rechtsprechung des BSG ein "Denkfehler" vorzuwerfen, behaupten die Kläger nicht einmal, dass in diesem Zusammenhang Fragen noch abstrakt klärungsbedürftig sein sollten, sondern rügen nur die Fehlerhaftigkeit der Entscheidung im Einzelfall. Dies kann die Zulassung der Revision nicht begründen.

7

Auch eine Divergenz ist nicht hinreichend bezeichnet. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen (vgl zB BSG vom 28.7.2009 - B 1 KR 31/09 B - RdNr 4; BSG vom 28.6.2010 - B 1 KR 26/10 B - RdNr 4; BSG vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - RdNr 4 mwN). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat.

8

Diesen Anforderungen genügen die Kläger nicht. Sie legen schon nicht dar, dass das LSG bewusst einen von der Rechtsprechung des BSG abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa nur das Recht fehlerhaft angewandt hat (sog Subsumtionsfehler; vgl nur BSG vom 4.3.2020 - B 8 SO 61/19 B - RdNr 7). Sie formulieren weder einen konkreten Rechtssatz aus dem Urteil des LSG, noch bezeichnen sie, wo er sich im Urteil findet, sondern stellen erneut nur dar, weshalb das LSG aus ihrer Sicht den in Streit stehenden Verwaltungsakt fehlerhaft ausgelegt hat. Im Kern machen die Kläger die Unrichtigkeit des angegriffenen Urteils geltend, was die Zulassung der Revision aber nicht begründen kann (vgl nur BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7).

9

Wollte man die Ausführungen der Kläger, insbesondere die Frage 3, dahin verstehen, dass sie eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend machen und also einen Verfahrensmangel aufzeigen wollen, genügt die Bezeichnung dieses Mangels ebenfalls nicht den aus § 160 Abs 2 Nr 3 SGG abzuleitenden gesetzlichen Anforderungen. Mit der Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art 103 Grundgesetz <GG>; § 62 SGG) müssen nicht nur die genauen Umstände des geltend gemachten Verstoßes bezeichnet werden. Da die Verletzung des rechtlichen Gehörs im sozialgerichtlichen Verfahren nicht als absoluter Revisionsgrund geregelt ist, ist zudem der Vortrag erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen Rechtsansicht - auf dem Gehörsverstoß beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht. Zudem müssen die Umstände aufgezeigt werden, aus denen sich ergibt, dass der Betroffene alles getan hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Mit der pauschalen Behauptung, den Klägern sei kein rechtliches Gehör gewährt worden, ist diesen Darlegungsanforderungen in keiner Hinsicht genügt. Es fehlt an Ausführungen dazu, welcher weitere sachdienliche und verfahrensfördernde Vortrag von ihnen, den Klägern, im Einzelnen hätte erfolgen sollen und inwieweit dieser Vortrag aus Sicht des LSG entscheidungserheblich gewesen wäre. Es fehlt außerdem jeder Vortrag dazu, dass es ihnen nicht möglich war, sich in der vom LSG durchgeführten mündlichen Verhandlung rechtliches Gehör zu verschaffen. Da bereits das SG davon ausgegangen ist, dass der in Streit stehende Verwaltungsakt nach seinem objektiven Erklärungsgehalt eine unbefristete Leistungsbewilligung ab Februar 2017 enthält, ist schließlich auch nicht ansatzweise erkennbar, weshalb das LSG die von Beginn an rechtskundig vertretenen Kläger auf entscheidungserhebliche Aspekte hätte gesondert hinweisen müssen.

10

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

Krauß

Bieresborn

Stäbler

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