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Bundessozialgericht
Beschl. v. 19.12.2023, Az.: B 8 SO 77/22 BH
Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung bei Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen)
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 19.12.2023
Referenz: JurionRS 2023, 52908
Aktenzeichen: B 8 SO 77/22 BH
ECLI: ECLI:DE:BSG:2023:191223BB8SO7722BH0

Verfahrensgang:

vorgehend:

SG Speyer - 05.07.2018 - AZ: S 21 SO 129/16

LSG Rheinland-Pfalz - 16.11.2022 - AZ: L 4 SO 104/18

Rechtsgrundlage:

§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG

BSG, 19.12.2023 - B 8 SO 77/22 BH

Redaktioneller Leitsatz:

Ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung ist im Einzelfall mittels Amtsermittlung durch Einholung medizinischer bzw. ernährungswissenschaftlicher Stellungnahmen oder Gutachten aufzuklären. Die Auswahl des Sachverständigen liegt ausschließlich im Ermessen des Gerichts. Der Beteiligte hat kein Auswahlrecht.

Der 8. Senat des Bundessozialgerichts hat am 19. Dezember 2023 durch
die Vorsitzende Richterin Krauß sowie die Richter Prof. Dr. Bieresborn und Dr. Scholz
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers, ihm zur Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. November 2022 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

Gründe

I

1

Im Streit ist die Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung bei Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).

2

Der 1944 geborene Kläger, der unter einem Diabetes mellitus Typ II leidet, bezieht laufend Grundsicherungsleistungen vom beklagten Sozialhilfeträger. Seine Anträge auf Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung, der aus dem von ihm gewählten diabetologischen Ernährungskonzept nach Dr. Nicolai Worm (sog LOGI-Diät) folge, lehnte der Beklagte für die Bewilligungszeiträume vom 1.7.2009 bis zum 31.12.2016 ab (zuletzt mit Bescheiden vom 18.10.2013, vom 25.6.2014, vom 18.12.2014, vom 4.2.2015 und vom 23.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Kreisrechtsausschusses vom 24.5.2016). Das Sozialgericht (SG) Speyer hat die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 5.7.2018). Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat die hiergegen gerichtete Berufung zunächst als unzulässig verworfen (Urteil vom 12.6.2019); das Bundessozialgericht (BSG) hat dieses Urteil auf Beschwerde des Klägers hin aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen (Beschluss vom 27.2.2020). Das LSG hat die Berufung ua nach Einholung eines Gutachtens nach Aktenlage von Prof. Dr. W und Privatdozent Dr. D auf internistischem, endokrinologischem, diabetologischem und ernährungsmedizinischem Fachgebiet (Gutachten vom 25.7.2022) zurückgewiesen (Urteil vom 16.11.2022). Es hat zur Begründung ausgeführt, zu seiner Überzeugung bedingten die beim Kläger vorliegenden Erkrankungen (Diabetes mellitus Typ Il, Hyperlipidämie und Adipositas) zwar einer besonderen Ernährung, die aber im Vergleich zur empfohlenen Ernährung für die Allgemeinbevölkerung nicht mit zusätzlichen Kosten verbunden sei. Die Sachverständigen hätten überzeugend ausgeführt, dass für die beim Kläger krankheitsbedingt zu empfehlende Diät eher kleinere Modifikationen im Vergleich zu den allgemeinen Ernährungsempfehlungen vorzunehmen seien und deren strikte Einhaltung entscheidend sei.

3

Der Kläger beantragt beim BSG Prozesskostenhilfe (PKH) und die Beiordnung eines Rechtsanwalts für die Durchführung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Urteil des LSG.

II

4

Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist nicht begründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG> i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung<ZPO>); daran fehlt es hier. Es ist nicht ersichtlich, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter die Beschwerde erfolgreich begründen könnte. Hinreichende Aussicht auf Erfolg wäre nur zu bejahen, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte; denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen.

5

Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG); denn sie wirft keine Rechtsfrage auf, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. In der Rechtsprechung des BSG ist geklärt, dass ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung im Einzelfall im Wege der Amtsermittlung durch Einholung medizinischer und/oder ernährungswissenschaftlicher Stellungnahmen oder Gutachten zu klären ist (vgl nur BSG vom 9.6.2011 - B 8 SO 11/10 R - juris RdNr 24; BSG vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 64/06 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 2 RdNr 24). Anhaltspunkte dafür, dass eine Divergenzrüge (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) Aussicht auf Erfolg versprechen könnte, bestehen ebenso wenig; denn das LSG hat seine Entscheidung auf diese Grundsätze gestützt. Mit seiner Behauptung, das LSG habe die Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung des Mehrbedarfs bei kostenaufwändiger Ernährung entgegen der Rechtsprechung des BSG "durch die Hintertür" wie eine Rechtsnorm angewendet, zweifelt der Kläger nur an der inhaltlichen Richtigkeit der Entscheidung. Dies vermag aber weder eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung noch wegen Divergenz zu begründen.

6

Schließlich ist nicht erkennbar, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter mit Erfolg einen die Revisionszulassung rechtfertigenden Verfahrensfehler des LSG bezeichnen könnte (Zulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG (Anhörung eines bestimmten Arztes) und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

7

Soweit der Kläger die unzureichende Sachaufklärung durch das LSG (§ 103 SGG) geltend macht, liegen die notwendigen Erfolgsaussichten für eine solche Rüge nicht vor. Wie ausgeführt, kann dieser Verfahrensmangel nur mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ein Beweisantrag ist in der mündlichen Verhandlung schon nicht gestellt bzw aufrechterhalten worden. Der Kläger hat eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung vielmehr ausdrücklich abgelehnt. Er hat zu dem Gutachten vom 25.7.2022 ausdrücklich keine weitere Stellung genommen, sondern lediglich wiederholend auf die von ihm geäußerte Besorgnis der Befangenheit gegen die Sachverständigen hingewiesen, über die das LSG aber bereits entschieden hatte (dazu sogleich). Damit ist schon fraglich, ob er ausreichend deutlich gemacht hat, dass er die gerichtliche Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt angesehen hat. Jedenfalls war sein Vorbringen im Berufungsverfahren ausschließlich darauf gerichtet, die von ihm als allein geeignet angesehenen Sachverständigen anzuhören, ohne dass er aber nach Hinweis des LSG einen Antrag nach § 109 SGG gestellt hat. Diesem Vorbringen, wollte man es als förmlichen Beweisantrag und nicht lediglich als Anregung verstehen, brauchte das Gericht von seinem Rechtsstandpunkt aus nicht nachzukommen. Es selbst ist davon ausgegangen, dass ein Gutachten von Amts wegen einzuholen ist und hat deshalb ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben, das ursprünglich eine Untersuchung des Klägers umfassen sollte. Die Auswahl des Sachverständigen obliegt dabei allein dem Gericht; ein Auswahlrecht des Beteiligten besteht nicht. Die fehlende Untersuchung als Erkenntnisgrundlage eines Gutachtens, die der Kläger im Berufungsverfahren nach Eingang des Gutachtens nach Aktenlage vom 25.7.2022 nicht bemängelt hat, worauf er nunmehr jedoch hinweist, kann ebenfalls kein verfahrensfehlerhaftes Vorgehen des LSG in Bezug auf die Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) begründen. Die Änderung des Beweisbeschlusses in ein Gutachten nach Aktenlage beruht insoweit auf der endgültigen Weigerung des Klägers, bei den beauftragten Sachverständigen vorstellig zu werden. Wenn ein Beteiligter seiner Mitwirkungspflicht nicht nachkommt, verringern sich die Anforderungen an die Pflicht zur Amtsermittlung (vgl dazu BSG vom 3.6.2004 - B 11 AL 75/03 R - SozR 4-1500 § 144 Nr 1 RdNr 10 - juris RdNr 17). Mangelnde Mitwirkung entbindet das Gericht zwar nicht von der Pflicht, die noch möglichen Ermittlungen anzustellen (vgl BSG vom 20.10.2005 - B 7a/7 AL 102/04 R - SozR 4-1500 § 103 Nr 5 RdNr 14 f), weshalb das LSG zutreffend ein Gutachten nach Aktenlage eingeholt hat. Eine Begutachtung durch die von ihm allein als geeignet angesehen Sachverständigen kann der Kläger indes nicht dadurch erzwingen, bei anderen Sachverständigen nicht zu erscheinen.

8

Soweit der Kläger sinngemäß geltend macht, die Auswahl der Sachverständigen sei sachwidrig gewesen, weil diese Mitglieder der Deutschen Diabetes Gesellschaft seien, ist ebenfalls nicht erkennbar, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter hierauf mit Erfolg einen Verfahrensmangel stützen kann. Das LSG hat über die mit dieser Begründung vom Kläger angebrachten Befangenheitsgesuche rechtzeitig vor der ursprünglich vorgesehenen Untersuchung entschieden (Beschlüsse vom 12.1.2022 und vom 5.5.2022). Die Entscheidung eines LSG über ein Befangenheitsgesuch stellt eine nicht anfechtbare Vorentscheidung dar (vgl § 118 Abs 1 Satz 1 SGG, der nicht auf § 406 Abs 5 ZPO verweist, sowie § 177 SGG; vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 118 RdNr 12o), die nicht der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt (§ 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 557 Abs 2 ZPO). Die Gründe, aus denen ein LSG einen Befangenheitsantrag gegenüber einem Sachverständigen zurückgewiesen hat, können deshalb grundsätzlich nicht als Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG gerügt werden (zuletzt BSG vom 9.9.2021 - B 5 R 149/21 B - RdNr 12 ff mwN). Etwas anderes gilt lediglich dann, wenn die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs auf willkürlichen oder manipulativen Erwägungen beruht, die für die Fehlerhaftigkeit des als Mangel gerügten Vorgangs bestimmend gewesen sind. Derartige Umstände sind hier aber nicht ersichtlich. Es liegt kein Anhalt dafür vor, dass die Auswahl der Sachverständigen und die Zurückweisungen der hiergegen angebrachten Gesuche - wie vom Kläger behauptet - von willkürlichen Erwägungen getragen sein könnten, weil die Sachverständigen - wie er meint - das Ernährungskonzept nach der LOGI-Methode als Mitglieder der Deutschen Diabetes Gesellschaft "regelrecht bekämpfen". Das wird schon daraus deutlich, dass die Sachverständigen in ihrem Gutachten ausdrücklich die LOGI-Diät als eine der möglichen Ernährungsformen für den Kläger zugrunde gelegt haben. Im Kern zielt der Kläger mit seinem Vorbringen darauf ab, das LSG habe mit der Verwertung des Gutachtens die Grenzen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) überschritten. Auf eine Verletzung dieser Vorschrift kann eine Revisionszulassung aber nicht gestützt werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG).

9

Auch für eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß § 62 SGG und Art 103 Abs 1 Grundgesetz (GG) ist nichts ersichtlich. Das LSG durfte in Abwesenheit des Klägers aufgrund mündlicher Verhandlung am 16.11.2022 entscheiden, weil er ordnungsgemäß in der Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war und ausdrücklich darauf verzichtet hat, in einer mündlichen Verhandlung seinen Standpunkt nochmals dazulegen. Im Übrigen verpflichten § 62 SGG und Art 103 Abs 1 GG das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen. Daraus folgt indes nicht, dass jedes Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu bescheiden wäre (vgl Bundesverfassungsgericht <BVerfG> vom 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205, 216 f sowie BVerfG vom 25.5.1993 - 1 BvR 345/83 - BVerfGE 88, 366, 375 f mwN und BVerfG vom 1.8.1984 - 1 BvR 1387/83 - SozR 1500 § 62 Nr 16). Vorliegend ist nicht erkennbar, dass es in der Entscheidung des LSG an einer in diesem Sinne ausreichenden Auseinandersetzung mit dem Standpunkt des Klägers fehlt. Dass das LSG seiner Argumentation nicht gefolgt ist, kann einen Verfahrensfehler nicht begründen.

10

Mit der Ablehnung von PKH entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 SGG i.V.m. § 121 Abs 1 ZPO).

Krauß

Bieresborn

Scholz

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