Bundesgerichtshof
Urt. v. 14.02.1995, Az.: VI ZR 272/93
Entbindung in Krankenhaus; Frauenarzt gleichzeitig Belegarzt; Eingangskontrolle; Fehler der freiberuflichen Hebamme; Haftung des Belegkrankenhausträgers
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 14.02.1995
- Aktenzeichen
- VI ZR 272/93
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 15406
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- BGHZ 129, 6 - 16
- MDR 1995, 698 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1995, 1611-1613 (Volltext mit amtl. LS)
- PflR 1998, 169-175
- VersR 1995, 706-709 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
1. Begibt sich eine Patientin auf Veranlassung ihres Frauenarztes zur Entbindung in ein Krankenhaus, in dem dieser Belegarzt ist, und nimmt er die Eingangsuntersuchung vor, so ist er auch für Fehler verantwortlich, die einer freiberuflich tätigen Hebamme unterlaufen, während sie die Geburt bei zeitweiliger Abwesenheit des Arztes überwacht.
2. Der Träger des Belegkrankenhauses hat weder für Fehler des Belegarztes noch der Beleghebamme einzustehen, da er deren Leistungen nicht schuldet.
Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagten wegen einer bei seiner Geburt erlittenen Hirnschädigung auf Schadensersatz in Anspruch.
Nachdem sich seine Mutter schon während der Schwangerschaft in Behandlung des Beklagten zu 1), eines niedergelassenen Frauenarztes, befunden hatte, begab sie sich am Vormittag des 26. Dezember 1976 zur Entbindung in die gynäkologische Abteilung des von der Beklagten zu 4) betriebenen Belegkrankenhauses, in welchem der Beklagte zu 1) Belegarzt ist. Dieser war als diensttuender Arzt anwesend. Gegen 11.15 Uhr untersuchte er die Mutter des Klägers und begab sich anschließend in Rufbereitschaft in seine nahegelegene Wohnung, während die Mutter des Klägers von der Beklagten zu 2) - einer freiberuflichen Hebamme - betreut wurde.
In der folgenden Nacht erlitt die Mutter des Klägers gegen 0.15 Uhr einen Krampfanfall. Hierauf veranlaßte die Zweitbeklagte das Erscheinen des Erstbeklagten, in dessen Beisein es um 0.30 Uhr zu einem weiteren Krampfanfall kam. Anschließend wurde der Kläger durch den Erstbeklagten mit Hilfe einer Saugglocke in asphyktischem Zustand entbunden. Er mußte beatmet werden und wurde in die Kinderklinik der Beklagten zu 4) verlegt. Er ist wegen eines Hirnschadens zeitlebens ein Pflegefall.
Der Kläger legt den Beklagten zu 1) und 2) zur Last, bei seiner Mutter fehlerhaft nicht die Gefahr drohender eklamptischer Anfälle erkannt zu haben, die seine Schädigung verursacht hätten. Diese Anfälle hätten u.a. durch regelmäßige Blutdruckmessungen, die jedoch unterlassen worden seien, erkannt und rechtzeitig abgewendet werden können. Er meint, daß für diese Fehler auch die Beklagte zu 4) einzustehen habe, zumal sie zusätzlich ein Organisationsverschulden treffe.
Der Kläger hat die gesamtschuldnerische Verurteilung der Beklagten zu Schadensersatz in Höhe von 348.272,52 DM nebst 4% Zinsen seit Rechtshängigkeit sowie zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes und die Feststellung ihrer Ersatzpflicht für seinen materiellen und immateriellen Zukunftsschaden vorbehaltlich eines Anspruchsübergangs auf Dritte beantragt.
Das Landgericht hat durch Grund- und Teilurteil die Klage gegen die Beklagten zu 1), 2) und 4) dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung dieser Beklagten blieb ohne Erfolg. Mit der Revision erstreben sie weiterhin Klagabweisung. Die Revision der Beklagten zu 2) ist vom erkennenden Senat nicht angenommen worden.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht ist nach sachverständiger Beratung zur Auffassung gelangt, daß die Mutter des Klägers unmittelbar vor dessen Geburt eklamptische Anfälle erlitten habe. Es führt aus, bei der gebotenen Überwachung der Mutter, vor allem durch wiederholte Blutdruckkontrollen, hätte die Gefahr solcher Anfälle mit großer Wahrscheinlichkeit erkannt und durch medikamentöse Behandlung abgewendet werden können. Da keine Blutdruckmessungen dokumentiert seien, müsse zu Lasten der Beklagten angenommen werden, daß sie nicht durchgeführt worden seien. Die Nichterhebung insbesondere des Vitalparameters Blutdruck in der Entbindungsphase sei unter den gegebenen Umständen ein schweres Versäumnis sowohl des erstbeklagten Arztes wie auch der zweitbeklagten Hebamme, für welches auch der viertbeklagte Krankenhausträger hafte. Diesem falle deliktisch auch ein Organisationsverschulden zur Last. Bei dieser Sachlage kämen dem Kläger Beweiserleichterungen zugute. Die Beklagten könnten nicht beweisen, daß auch bei Erhebung der gebotenen Befunde und bei Einleitung der daraufhin gebotenen medizinischen Maßnahmen beim Kläger ein Hirnschaden eingetreten wäre.
II. Diese Ausführungen halten den Angriffen nur der Revision der Beklagten zu 4) nicht stand.
1. Allerdings haben die Vorinstanzen entgegen der Ansicht der Beklagten zu 4) nicht in unzulässiger Weise durch Grundurteil auch über den Feststellungsantrag des Klägers entschieden. Vielmehr ergibt sich bereits aus der zusätzlichen Bezeichnung des landgerichtlichen Urteils als "Teilurteil", insbesondere aber aus den Entscheidungsgründen beider Urteile, daß die Klage hinsichtlich des Feststellungsantrags für begründet und lediglich zur Höhe des mit den Zahlungsanträgen geltend gemachten materiellen und immateriellen Schadens eine weitere Aufklärung für erforderlich erachtet worden ist. Beide Urteile sind dahin zu verstehen, daß ein Zwischenurteil gemäß § 304 ZPO nur über die Leistungsanträge erlassen werden sollte, während über den Feststellungsantrag ein der Klage stattgebendes Teilendurteil ergehen sollte (BGHZ 7, 331, 334 [BGH 21.10.1952 - V ZB 15/52]; BGH, Urteil vom 7. November 1991 - III ZR 118/90 - NJW-RR 1992, 531).
2. Die Revision des Beklagten zu 1) bleibt ohne Erfolg.
a) Ohne Rechtsfehler und unbeanstandet von der Revision stellt das Berufungsgericht fest, daß die Krampfanfälle, die die Mutter des Klägers am 27. Dezember 1976 kurz vor seiner Geburt erlitten hat, Eklampsien gewesen sind, die zu dem Hirnschaden geführt haben. Sachverständig beraten nimmt das Berufungsgericht an, daß zur rechtzeitigen Vorbeugung solcher Krampfanfälle, die als Ausprägung einer Gestose bei Schwangerschaften nicht selten sind und eine beherrschbare Schwangerschaftskomplikation darstellen, regelmäßige Blutdruckmessungen und Urinkontrollen auf Eiweiß erforderlich sind. Auch das zieht die Revision nicht in Zweifel. Das Berufungsgericht geht mangels entsprechender Aufzeichnungen in den Krankenpapieren davon aus, daß weder bei der Eingangsuntersuchung der Mutter des Klägers am 26. Dezember 1976 um 11.15 Uhr durch den Beklagten zu 1) noch in der Folgezeit durch die zweitbeklagte Hebamme die gebotenen Blutdruckmessungen durchgeführt worden sind. Für diese Versäumnisse habe der Beklagte zu 1) einzustehen.
aa) Soweit es um die Verpflichtung des Beklagten zu 1) zu eigener Blutdruckmessung bei der Eingangsuntersuchung um 11.15 Uhr geht, zieht die Revision nicht in Zweifel, daß eine derartige Untersuchung geboten gewesen sei. Sie macht jedoch geltend, daß der Beklagte zu 1) entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts den Blutdruck gemessen habe, welcher normal gewesen und deshalb nicht dokumentiert worden sei. Dabei wendet sie sich unter Hinweis auf das Senatsurteil vom 23. März 1993 - VI ZR 26/92 - VersR 1993, 836, 837 f. gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, aus der Unterlassung der Dokumentation sei zu folgern, daß die erforderliche Blutdruckmessung nicht stattgefunden habe. Der Senat hat in jenem Urteil ausgeführt, eine Dokumentation, die medizinisch nicht erforderlich sei, könne auch aus Rechtsgründen nicht geboten sein, so daß in einem solchen Fall aus dem Unterbleiben von Aufzeichnungen keine beweisrechtlichen Folgerungen gezogen werden könnten. Diesen Grundsatz hat das Berufungsgericht indessen entgegen der Auffassung der Revision nicht verkannt. Vielmehr hat es ausreichende Feststellungen dazu getroffen, daß es im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung des medizinischen Standards von 1976 wegen der Wichtigkeit dieses Vitalparameters im Entbindungsstadium aus medizinischer Sicht geboten gewesen sei, Blutdruckwerte auch dann zu dokumentieren, wenn sie einen Normalwert ergeben hätten. Verfahrensfehlerfrei konnte das Berufungsgericht die Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. T. und Prof. Dr. K. dahin verstehen, daß zwar 1976 in manchen Krankenhäusern die Registrierung normaler Blutdruckwerte unterlassen worden sei, eine solche Dokumentation jedoch schon damals dem medizinischen Standard entsprochen habe. War jedoch die Dokumentation auch normaler Werte aus medizinischer Sicht erforderlich, so hat sich der Umfang der Dokumentationspflicht nach dieser medizinischen Notwendigkeit und nicht nach einer etwaigen nachlässigen Handhabung in einzelnen Krankenhäusern zu bestimmen.
bb) Auf dieser Grundlage konnte das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler annehmen, daß dem Beklagten zu 1) der Nachweis obliege, daß er tatsächlich die erforderliche Blutdruckmessung durchgeführt habe. Das Berufungsgericht hat insoweit auch nicht verkannt, daß das Vorliegen eines Behandlungsfehlers grundsätzlich vom Patienten zu beweisen ist (Senatsurteile BGHZ 99, 391, 398 [BGH 03.02.1987 - VI ZR 56/86] = AHRS 6590/11 sowie.vom 28. Juni 1988 - VI ZR 217/87 - VersR 1989, 80, 81) und daß ein Dokumentationsmangel keine eigenständige Anspruchsgrundlage bildet (Senatsurteile vom 28. Juni 1988 und 23. März 1993 - jeweils aaO.). Indessen kann ein solcher Mangel dazu führen, daß dem Patienten zum Ausgleich der hierdurch eingetretenen Erschwernis, einen ärztlichen Behandlungsfehler nachzuweisen, eine entsprechende Beweiserleichterung zugute kommt, um auch für die Prozeßführung eine gerechte Rollenverteilung im Arzt-Patienten-Verhältnis zu schaffen (Senatsurteile BGHZ 72, 132, 136 ff. sowie vom 28. Juni 1988 aaO. m.w.N.). Nach gefestigter Rechtsprechung des erkennenden Senats kann der Tatrichter aus der Nichtdokumentation einer aufzeichnungspflichtigen Maßnahme bis zum Beweis des Gegenteils durch die Behandlungsseite darauf schließen, daß die Maßnahme unterblieben ist. Folgerichtig hat das Berufungsgericht in Anwendung dieser Grundsätze aus dem Dokumentationsmangel eine Beweiserleichterung für den Patienten dahingehend hergeleitet, es bestehe die Vermutung, daß die nichtdokumentierte Maßnahme vom Arzt auch nicht getroffen worden sei. Diese indizielle Bedeutung entfällt nicht schon deshalb, weil in der Praxis mitunter der Pflicht zur Dokumentation nicht nachgekommen wird, sofern nur wie im Streitfall die Dokumentation der Maßnahme dem medizinischen Standard entspricht.
Die Auffassung des Berufungsgerichts, daß dem Beklagten zu 1) der hiernach erforderliche Nachweis der Blutdruckmessung nicht gelungen sei, ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Zu Unrecht rügt die Revision, das Berufungsgericht habe sich nicht hinreichend mit dem Ergebnis der Parteivernehmung der Beklagten zu 1) und 2) im ersten Rechtszug auseinandergesetzt, durch welche die Blutdruckmessung bestätigt worden sei. Vielmehr hat das Berufungsgericht diese Aussagen gewürdigt, sich jedoch von ihrer Richtigkeit nicht überzeugen können.
Bei dieser Sachlage hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei einen Behandlungsfehler des Beklagten zu 1) bei der Erstuntersuchung angenommen.
b) Die Revision des Erstbeklagten bleibt auch insoweit ohne Erfolg, als sie sich gegen die Annahme seiner Haftung auch dafür wendet, daß die zweitbeklagte Hebamme ebenfalls Blutdruckmessungen unterlassen hat.
aa) Zutreffend geht das Berufungsgerichts davon aus, daß der Beklagte zu 1) von dem Zeitpunkt an für Fehler der Beklagten zu 2) einstehen muß, in welchem die Leitung der Geburt zu seiner Vertragsaufgabe geworden ist.
Es begegnet keinen Bedenken, daß das Berufungsgericht insoweit auf den Zeitpunkt der Eingangsuntersuchung am 26. Dezember 1976 um 11.15 Uhr abhebt. Hierbei hat es entgegen der Auffassung der Revision nicht verkannt, daß es grundsätzlich zu den Aufgaben der Hebamme gehört, eine Geburt ohne besondere Komplikationen selbständig zu betreuen (vgl. für den hier zu beurteilenden Zeitraum § 7 Abs. 1 bis 3 der BayHebO vom 20. August 1970 - Bayer. Gesetz- und Verordnungsblatt 1970, 433 - jetzt: § 1 HebO vom 18. Mai 1988 - BayGVBl. 1988, 132). Das gilt indessen, wie § 7 Abs. 3 Satz 3 BayHebO ausdrücklich hervorhebt, nur solange, bis ein Arzt die Behandlung übernommen hat; von diesem Zeitpunkt an ist die Hebamme seine Gehilfin, für die er vertraglich nach § 278 BGB und deliktisch nach § 831 BGB einstehen muß.
Hier hatte die Mutter des Klägers sich schon vor dessen Geburt der Behandlung des Beklagten zu 1) anvertraut und dieser hatte ihr seinen ärztlichen Beistand bei der Geburt zugesagt. Da er nach ihrem Eintreffen im Kreißsaal die Eingangsuntersuchung selbst durchgeführt hat, bestehen keine Bedenken gegen die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, daß er hiermit die ärztliche Leitung der Geburt übernommen und deren Überwachung lediglich für seine zeitweilige Abwesenheit mit Rufbereitschaft auf die Beklagte zu 2) übertragen hat. Die Auffassung der Revision, daß der Beklagte zu 1) nach Durchführung der Erstuntersuchung die ärztliche Behandlung zunächst abgebrochen habe und die Überwachung der Geburt damit wieder zur alleinigen Vertragsaufgabe der Beklagten zu 2) geworden sei, wird der Bedeutung der ärztlichen Tätigkeit bei der Entbindung weder vom Berufsbild her noch aus der Sicht der Kindesmutter gerecht.
Dem stehen auch nicht die eigenen vertraglichen Beziehungen der zweitbeklagten Hebamme zur Mutter des Klägers entgegen. Sie schließen nicht aus, daß die Hebamme mit der Übernahme der Geburtsleitung durch den Beklagten zu 1) im Verhältnis zu ihm kraft seiner übergeordneten Kompetenz die Geburt als seine Gehilfin betreut hat. Ebenso ist es ohne Bedeutung, daß der Erstbeklagte bereits aufgrund von § 3 Abs. 2 Satz 1 des Hebammengesetzes vom 21. Dezember 1938, RGBl I, 1893 (jetzt: § 4 Abs. 1 Satz 2 des Hebammengesetzes vom 4. Juni 1985 - BGBl I 902) verpflichtet war, eine Hebamme hinzuzuziehen. Diese Verpflichtung besagt nichts über die Verteilung der Verantwortlichkeit zwischen Arzt und Hebamme. Sie wird vielmehr von den konkreten Verhältnissen des Einzelfalls bestimmt.
bb) Erfolglos beanstandet die Revision die Auffassung des Berufungsgerichts, der Beklagte zu 1) habe den Entlastungsbeweis nach § 831 BGB nicht angetreten. Sie will aus dem Senatsurteil vom 26. Februar 1991 - VI ZR 344/89 - VersR 1991, 694, 695 herleiten, daß ein im Bereitschaftsdienst befindlicher Arzt sich darauf verlassen könne, daß andere Ärzte, Hebammen oder das nachgeordnete Personal die von ihm übernommene Behandlungsaufgabe ohne weiteres sachgerecht und pflichtgemäß erfüllen würden. Indes konnte der Beklagte zu 1) im Streitfall darauf, daß die zweitbeklagte Hebamme bei der Mutter des Klägers den Blutdruck in der erforderlichen Weise kontrollieren werde, schon deshalb nicht vertrauen, weil er selbst bei der Eingangsuntersuchung diese wichtige Befunderhebung unterlassen hat.
c) Aus revisionsrechtlicher Sicht bestehen auch keine Bedenken dagegen, daß das Berufungsgericht das Unterlassen der Blutdruckkontrollen für grob erachtet und die Beweislast dafür, daß dieses Versäumnis nicht zu der Hirnschädigung des Klägers beigetragen hat, dem Beklagten zu 1) auferlegt hat. Insoweit konnte sich das Berufungsgericht auf die Beurteilung der Sachverständigen Prof. Dr. T. und K. stützen, die in der Unterlassung der Blutdruckmessung eine grobe Sorgfaltspflichtverletzung gesehen haben. Da der Beklagte zu 1) das Unterlassen der Kontrolle nicht nur bei der Erstuntersuchung am 26. Dezember 1976, sondern auch in der von der zweitbeklagten Hebamme betreuten Phase zu verantworten hat, kann von einer "singulären" Unterlassung, worauf die Revision abhebt, keine Rede sein. Im übrigen verkennt die Betrachtungsweise der Revision das Gewicht jener Unterlassung schon bei der Erstuntersuchung. Hätte nämlich die gebotene Messung einen normalen oder erhöhten Blutdruck ergeben, so würden sich daraus weitere Schlüsse auf den Geschehensablauf und für eine etwa gebotene Krampfprophylaxe ziehen lassen. Mithin hat die Unterlassung die Aufklärbarkeit des Behandlungsgeschehens beträchtlich erschwert, so daß auch von daher Beweiserleichterungen angezeigt sind.
Zwar kann auch bei Bejahung eines groben Behandlungsfehlers eine Beweislastumkehr ausnahmsweise ausgeschlossen sein, wenn es gänzlich unwahrscheinlich ist, daß der Fehler zum Schadenseintritt beigetragen hat (Senatsurteil vom 4. Oktober 1994 - VI ZR 205/93 - VersR 1995, 65, 66 m.w.N.). Indessen stellt das Berufungsgericht unbeanstandet fest, daß eine sich anbahnende Eklampsie, auf die der Hirnschaden des Klägers zurückzuführen ist, im Regelfall von einer in Stunden und Tagen sich entwickelnden massiven Blutdruckerhöhung begleitet werde. Auf dieser Grundlage hat das Berufungsgericht es zu Recht nicht für unwahrscheinlich gehalten, daß der Blutdruck der Mutter des Klägers bereits am 26. Dezember 1976 gegen 11.15 Uhr erhöht war, so daß bei Messung eines derartigen Wertes krampfprophylaktische Maßnahmen hätten ergriffen und die Krampfanfälle hierdurch abgewendet werden können.
Hiergegen spricht auch nicht der Einwand der Revision, daß für die Zeit vor der Geburt des Klägers zumindest ein Blutdruckwert der Mutter dokumentiert worden sei, nämlich für 0.00 Uhr mit 120/100. Da es sich hierbei unstreitig um eine Eintragung des Beklagten zu 1) handelt, der erst um 0.15 Uhr von der Beklagten zu 2) gerufen wurde und um 0.20 Uhr in der Klinik eintraf, kann bereits dieser Zeitpunkt nicht zutreffen. Im übrigen hat das Berufungsgericht es mit Recht für ausschlaggebend erachtet, daß jedenfalls vor dem ersten Krampfanfall keine Blutdruckwerte dokumentiert worden sind.
3. Die Revision der Beklagten zu 4) ist demgegenüber begründet. Sie bekämpft mit Erfolg die Auffassung des Berufungsgerichts, daß eine vertragliche und deliktische Haftung auch die Beklagte zu 4) treffe.
Dem angefochtenen Urteil läßt sich nicht zweifelsfrei entnehmen, ob das Berufungsgericht von einer grundsätzlichen Haftung des Belegkrankenhauses für den Belegarzt und die Beleghebamme ausgeht oder ob es die Haftung lediglich daraus herleiten will, daß die Beklagte zu 4) die Patientin nicht entsprechend den im Senatsurteil BGHZ 121, 107, 111 f. [BGH 22.12.1992 - VI ZR 341/91] dargelegten Grundsätzen auf den Ausschluß ihrer Haftung für die Betreuung durch Arzt und Hebamme hingewiesen habe. In beiden Fällen könnte dem Berufungsgericht nicht gefolgt werden.
a) Die ärztlichen Leistungen des erstbeklagten Belegarztes gehören nicht zu den Vertragsaufgaben der Beklagten zu 4).
aa) Nach allgemeiner Ansicht unterliegt die Vertragsbeziehung des stationär aufgenommenen Patienten zum Belegarzt einerseits und zum Belegkrankenhaus andererseits den Regeln, die für den sog. gespaltenen Arzt-Krankenhaus-Vertrag entwickelt worden sind. Anders als beim totalen Krankenhausvertrag (hierzu Senatsurteil BGHZ 95, 63, 67 [BGH 18.06.1985 - VI ZR 234/83] = AHRS 0180/13) oder beim Krankenhausvertrag mit Arztzusatzvertrag (dazu Senatsurteil BGHZ 121, 107, 110 ff.) [BGH 22.12.1992 - VI ZR 341/91] schuldet der Träger des Belegkrankenhauses grundsätzlich nicht die ärztlichen Leistungen des Belegarztes, sondern nur die nichtärztliche pflegerische Betreuung. Das hat zur Folge, daß der Belegarzt bei seiner Tätigkeit im Rahmen der von ihm selbst dem Patienten geschuldeten Leistungen nicht Gehilfe des Belegkrankenhauses ist (Senatsurteil vom 14. Juli 1992 - VI ZR 214/91 - VersR 1992, 1263, 1264 f.; BGH, Urteil vom 29. März 1990 - I ZR 76/88 - NJW 1990, 2317; vgl. auch Senatsurteil BGHZ 95, 63, 70) [BGH 18.06.1985 - VI ZR 234/83].
Das steht auch in Einklang mit gesetzlichen Regelungen.der Krankenhausfinanzierung. Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 der BPflV vom 21. August 1985 - BGBl I 1666 - gehören die ärztlichen Leistungen des Belegarztes nicht zu den Krankenhausleistungen, ebenso nicht die Leistungen der Beleghebammen und Entbindungspfleger. Für den maßgeblichen Zeitraum ergab sich dies aus § 3 Abs. 2 Satz 1 der BPflV vom 25. April 1973 - BGBl I, 333. Danach war es bei Bemessung des Anteils der ärztlichen Leistungen im allgemeinen Pflegesatz zu berücksichtigen, wenn ärztliche Leistungen von einem Belegarzt erbracht und berechnet wurden. Hieraus wurde schon seinerzeit gefolgert, daß die Leistungen des Belegarztes nicht zu den Krankenhausleistungen gehörten und der Krankenhausträger sie infolgedessen nicht schulde (Diederichsen, Die Vergütung ärztlicher Leistungen im Krankenhaus (1979) S. 9). Durch § 2 Abs. 1 Satz 2 der BPflV vom 21. August 1985 - aaO. - ist diese Rechtslage klargestellt worden (vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf, abgedruckt bei Jung, Bundespflegesatzverordnung, S. 77/94). Dort heißt es nunmehr ausdrücklich, daß zu den Krankenhausleistungen nicht die Leistungen der Belegärzte sowie der Beleghebammen und -entbindungspfleger gehören.
bb) Zu Unrecht fordert das Berufungsgericht, daß die Beklagte zu 4) die Mutter des Klägers auf den Ausschluß ihrer Haftung für den Belegarzt hätte hinweisen müssen. Das gilt, wie im Senatsurteil BGHZ 121, 107, 111 [BGH 22.12.1992 - VI ZR 341/91] näher dargelegt, nur dann, wenn der Patient im Grundsatz die ärztlichen Leistungen vom Krankenhaus erwarten kann. Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des BGH vom 29. März 1990 - aaO.
cc) Ist mithin der Erstbeklagte bei Behandlung der Mutter des Klägers nur in Erfüllung eigener vertraglicher Pflichten tätig geworden, so kann er entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht als Erfüllungs- oder Verrichtungsgehilfe der Beklagten zu 4) angesehen werden, so daß diese weder nach § 278 BGB noch auch nicht unter dem Blickpunkt deliktischer Haftung nach § 831 BGB für sein Verhalten einzustehen hat.
b) Dasselbe gilt für Versäumnisse der zweitbeklagten Hebamme.
aa) Das Berufungsgericht geht selbst davon aus, daß die Beklagte zu 2) gegenüber der Mutter des Klägers in Erfüllung eigener Pflichten gehandelt und ebenso wie der Beklagte zu 1) zur Beklagten zu 4) in einem freiberuflichen Belegverhältnis gestanden hat, so daß ihre Leistungen nicht von der Beklagten zu 4), sondern von der Patientin zu vergüten waren. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist es auch ohne Bedeutung, ob die Mutter des Klägers die Hebammenleistungen als nichtärztliche Leistungen auch vom Krankenhausträger erwartet haben mag. Kann insoweit schon nicht von einer "objektiven Sicht" dieser Patientin die Rede sein, wie sie das Berufungsgericht zugrundelegen will, so stünde eine solche Auffassung auch nicht mit den Grundsätzen der Finanzierungsregelung für die Krankenhäuser in Einklang. Wie oben a aa) bereits dargelegt, gehören für die Krankenhausfinanzierung ebenso wie die Leistungen der Belegärzte auch diejenigen der Beleghebammen nicht zu den Krankenhausleistungen im Sinn des § 2 Abs. 1 Satz 2 der BPflV vom 21. August 1985 - aaO. Für den hier zu beurteilenden Zeitraum ergibt sich eine entsprechende Rechtslage aus dem damals geltenden § 376 a RVO. Danach waren die Gebühren laut Verordnung vom 27. Dezember 1960 (abgedruckt in der Fassung vom 9. Dezember 1980 in DOK 1981, 426) von den Krankenkassen unmittelbar an die - freiberuflich tätigen - Hebammen zu zahlen. Dies galt auch dann, wenn solche Hebammen als Beleghebammen in einer Krankenanstalt tätig waren (BSGE 32, 222, 223; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 18. Aufl. § 376 a Anm. 1).
bb) Gehörten folglich schon im fraglichen Zeitpunkt die Leistungen der freiberuflichen Hebammen nicht zu den durch den Pflegesatz abgegoltenen Krankenhausleistungen, so handelt es sich auch nicht um Leistungen, die vom Krankenhausträger zu erbringen waren. Bei dieser Sachlage kann die Beklagte zu 2) entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts weder als Erfüllungsgehilfin noch als Verrichtungsgehilfin der Beklagten zu 4) angesehen werden. Soweit dem Senatsurteil vom 26. Mai 1964 - VI ZR 54/63 - VersR 1964, 948, 949 = AHRS 2500/2 eine andere Auffassung entnommen werden könnte, hält der Senat aus den dargelegten Gründen daran nicht fest.
c) Schließlich kommt eine Haftung der Beklagten zu 4) auch nicht unter dem Blickpunkt eines Organisationsfehlers in Betracht. Das Berufungsgericht will eine solche Haftung daraus herleiten, daß die Beklagte zu 4) jedenfalls für den Zeitraum der Abwesenheit der freiberuflich tätigen Ärzte bzw. Hebammen durch eigenes medizinisches Hilfspersonal die medizinische Kontrolle der Vitalparameter, hier vor allem des Blutdrucks, hätte sicherstellen müssen.
Das erweist sich hier schon deshalb als nicht tragfähig, weil die erforderlichen Blutdruckmessungen nicht etwa wegen gleichzeitiger Abwesenheit von Arzt und Hebamme unterblieben sind, sondern diese Messungen durch die Beklagte zu 2) während der Rufbereitschaft des Beklagten zu 1) ohne weiteres hätten vorgenommen werden können, so daß der Einsatz von eigenem medizinischen Personal der Beklagten zu 4) nicht veranlaßt war.
Bei dieser Sachlage bedarf es keiner abschließenden Erörterung, wie weit die Organisationspflicht eines Belegkrankenhauses hinsichtlich der Bereitstellung von ärztlichem und nichtärztlichem Personal reicht (vgl. zum Krankenhausvertrag insoweit Senatsurteil vom 7. Februar 1956 - VI ZR 302/54 - VersR 1956, 221 und vom 22. April 1975 - VI ZR 50/74 - VersR 1975, 852, 854 = AHRS 0180/4). Die Beklagte zu 4) hat - wie das Berufungsgericht auch nicht in Zweifel zieht - im Rahmen ihrer Organisation jedenfalls den Einsatz von entsprechend qualifiziertem Personal, nämlich des Beklagten zu 1) als Bereitschaftsarztes und der Beklagten zu 2) als Hebamme, sichergestellt. Daß ihr insoweit Versäumnisse unterlaufen seien, wird von der Revision nicht geltend gemacht. Die den Beklagten zu 1) und 2) zur Last gelegten Fehler haben denn auch mit der Organisation der Beklagten zu 4) nichts zu tun, sondern beruhen auf Unterlassungen im Rahmen der eigenverantwortlichen Tätigkeit der Beklagten zu 1) und 2), so daß sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts die Frage einer mangelhaften Unterweisung von eigenem Personal der Beklagten zu 4) schon im Ansatz nicht stellt.