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Bundesgerichtshof
Urt. v. 25.11.1993, Az.: IX ZR 51/93

Befreiungsanspruch; Zahlungsanspruch; Übergang; Klageänderung; Erweiterung des Klageantrags

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
25.11.1993
Aktenzeichen
IX ZR 51/93
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1993, 15325
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • BB 1994, 746 (Volltext mit amtl. LS)
  • DB 1994, 2183 (Kurzinformation)
  • JuS 1994, 614 (Volltext mit amtl. LS)
  • MDR 1994, 1145 (Volltext mit amtl. LS)
  • MDR 1995, 240
  • NJW 1994, 944-945 (Volltext mit amtl. LS)
  • VersR 1994, 621-622 (Volltext mit amtl. LS)
  • WM 1994, 608-610 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Der Übergang von einem Befreiungs- auf einen Zahlungsanspruch, die beide auf derselben Verpflichtung des Schuldners zum Schadensersatz beruhen, ist keine Klageänderung, sondern eine bloße Erweiterung des Klageantrags.

Tatbestand:

1

Der Kläger verlangt von dem beklagten Rechtsanwalt, der ihn in einer Scheidungs- und Scheidungsfolgensache vertrat, Schadensersatz wegen Verletzung anwaltlicher Pflichten.

2

Gegen den Kläger erging ein Versäumnisurteil des Familiengerichts, das der mittlerweile geschiedenen Ehefrau des Klägers einen Betrag zum Ausgleich des Zugewinns zusprach. Der Beklagte unterließ die Unterrichtung des Klägers über das statthafte Rechtsmittel, legte eine unzulässige Berufung ein und verkündete dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten des Klägers, Rechtsanwalt Dr. O. aus B., den Streit. Die Berufung wurde als unzulässig verworfen; der Kläger hatte unter anderem die Kosten des Streitverkündeten, der - vertreten durch die Rechtsanwälte Dr. Sch. und Partner in H. - dem Rechtsstreit auf seiten der Ehefrau beigetreten war, zu tragen (§ 101 ZPO).

3

Aufgrund eines rechtskräftigen Grundurteils haftet der Beklagte dem Kläger zu 9/10 auf Ersatz seines Schadens. Im Betragsverfahren hat das Landgericht den Beklagten unter anderem verurteilt, "den Kläger in Höhe von 5. 880, 42 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 11. März 1989 gegenüber Rechtsanwalt Dr. O. wegen dessen Kostenschuld gegenüber den Rechtsanwälten Dr. Sch. in H. freizustellen". Dagegen hat sich der Beklagte im Rahmen einer Anschlußberufung gewandt. Daraufhin hat der Kläger beantragt, "den Beklagten (anstelle zur Freistellung) zu verurteilen, an Rechtsanwalt Dr. O. in B. zu Händen der Rechtsanwälte Dr. Sch. und Partner in H., hilfsweise an die Rechtsanwälte Dr. Sch. und Partner, 4.590, 48 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 10. März 1992 zu zahlen und weitere 2.023, 48 DM und hilfsweise weitere 2.520 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 2. September 1992 an ihn zu zahlen". Diesen Antrag hat der Beklagte in mündlicher Verhandlung überwiegend anerkannt. Gleichwohl hat das Berufungsgericht insofern die Klage abgewiesen, weil das neue Zahlungsbegehren sowohl als Anschlußberufung wie auch als Erweiterung der Hauptberufung unzulässig und für ein Anerkenntnisurteil deshalb kein Raum sei. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision.

Entscheidungsgründe

4

Da der Revisionsbeklagte trotz rechtzeitiger Ladung im Revisionsverhandlungstermin nicht vertreten war, mußte auf Antrag des Revisionsklägers durch Versäumnisurteil entschieden werden (BGHZ 37, 79, 81). Dieses Urteil beruht jedoch inhaltlich nicht auf einer Säumnisfolge, sondern berücksichtigt den gesamten derzeitigen Sach- und Streitstand (vgl. BGHZ 37, 79, 82).

5

I. Die Revision ist nach § 547 ZPO statthaft.

6

Allerdings ist für die Anwendung dieser Vorschrift ein Raum, wenn das Berufungsgericht das Rechtsmittel für zulässig erachtet, die mit der Berufung geltend gemachten neuen Klageansprüche aber zurückweist (BGH, Beschl. v. 30. Juni 1983 - VII ZR 366/82, WM 1983, 1090). Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht indessen nicht den anstelle des bisherigen Befreiungsanspruchs geltend gemachten Zahlungsanspruch zurückgewiesen, sondern die Berufung oder Anschlußberufung, mit der nach Ansicht des Berufungsgerichts der neue Anspruch in das Verfahren eingeführt wurde, als unzulässig verworfen. Dies zeigt die Behandlung des vom Beklagten ausgesprochenen Anerkenntnisses. Ein Anerkenntnisurteil konnte hier nur dann unterbleiben, wenn das Rechtsmittel unzulässig war (vgl. BGHZ 10, 333, 335 [BGH 08.10.1953 - III ZR 206/51]; MünchKomm-ZPO/Musielak, § 307 Rdnr. 22; Stein/Jonas/Leipold, ZPO 20. Aufl. § 307 Rdnr. 32, 33; Zöller/Vollkommer, ZPO 18. Aufl. § 307 Rdnr. 4; Thomas/Putzo, ZPO 18. Aufl. § 307 Rdnr. 10).

7

II. Die Revision hat auch Erfolg.

8

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das neu eingeführte Zahlungsbegehren des Klägers sei als Anschlußberufung unzulässig, weil man sich nur einer Berufung, nicht aber einer Anschlußberufung anschließen könne. Als Erweiterung der ursprünglich eingelegten Berufung sei das Zahlungsbegehren des Klägers gleichfalls unzulässig, weil es nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist vorgebracht worden sei.

9

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

10

a) Die Revision bittet um Überprüfung der von der Rechtsprechung (vgl. BGHZ 88, 360 ff [BGH 27.10.1983 - VII ZR 41/83]) vertretenen Auffassung, daß eine Anschließung an die unselbständige Anschlußberufung des Gegners unzulässig sei, und verweist dazu auf kritische Stimmen in der Literatur (vgl. Grunsky ZZP 97 (1984), 478, 479; Fenn JZ 1984, 478).

11

Desweiteren meint die Revision (unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 3. April 1985 - IVb ZR 18/84, NJW 1985, 2029, 2030), daß eine Erweiterung der Berufung ausnahmsweise auch nach Ablauf der Begründungsfrist zulässig sein müsse, nämlich dann, wenn die zugrundeliegenden Tatsachen erst nach Fristablauf eingetreten seien.

12

b) Zu beidem bedarf es hier keiner Stellungnahme.

13

Der Kläger hat weder seine Berufung erweitert noch hat er sich der gegnerischen Anschlußberufung angeschlossen. Vielmehr hat er lediglich seine Klage erweitert, indem er einen Anspruch in den Rechtsstreit eingeführt hat, mit dem das erstinstanzliche Gericht nicht befaßt war.

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aa) Den Antrag auf Verurteilung des Beklagten, die bei Rechtsanwalt Dr. O. angefallenen außergerichtlichen Kosten des Vorprozesses zu Händen seiner damaligen Prozeßbevollmächtigten zu zahlen, hat der Kläger erstmals in der Berufungsinstanz gestellt. Insofern handelte es sich - weil keine von dem erstinstanzlichen Urteil ausgehende Beschwer erstmals bekämpft wurde - nicht um eine Erweiterung der zuvor selbst eingelegten Berufung.

15

Wenn der mit einem Teil seiner Ansprüche abgewiesene Kläger Berufung einlegt und sodann die Klage erweitert, so brauchen die zur Begründung der Klageerweiterung vorgetragenen Tatsachen und Beweismittel nicht bereits in die Berufungsbegründung aufgenommen zu werden. Da die Klageerweiterung in zweiter Instanz um bisher dem Gericht nicht unterbreitete Ansprüche keine Anfechtung des erstinstanzlichen Urteils ist, findet die Vorschrift des § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO keine Anwendung (BGHR ZPO § 519 Abs. 3 Nr. 2 "Klageerweiterung 1").

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bb) Eine Anschließung würde zwar nicht an der fehlenden Beschwer scheitern. Auch der in erster Instanz voll durchgedrungene Kläger kann sich der gegnerischen Berufung zum Zwecke der Klageerweiterung anschließen (BGHZ 4, 229, 234). Gibt es - wie im vorliegenden Fall - keine gegnerische Berufung, der man sich anschließen könnte (sondern allenfalls eine gegnerische Anschlußberufung), ist eine Klageänderung oder -erweiterung gleichwohl möglich.

17

cc) Allerdings setzen auch Klageänderung und -erweiterung eine zulässige Berufung voraus (BGHZ 85, 140, 142; BGH, Urt. v. 8. März 1988 - VI ZR 234/87, VersR 1988, 859, 860; v. 8. November 1988 - VI ZR 117/88, BGHR ZPO vor § 1/Rechtsmittel "Beschwer 5"; v. 9. Mai 1990 - VIII ZR 237/89, NJW 1990, 2683; v. 22. November 1990 - IX ZR 73/90, WM 1991, 609 [BGH 22.11.1990 - IX ZR 73/90]; v. 25. November 1992 - XII ZR 116/91, NJW 1993, 597, 598). Zulässig ist die Berufung nur dann, wenn mit ihr die Beseitigung einer in dem angefochtenen Urteil liegenden Beschwer verfolgt wird. Dies bedeutet, daß nach einer Klageabweisung das vorinstanzliche Begehren zumindest teilweise weiterverfolgt werden muß. Das ist vorliegend der Fall, weil ein Teil der in erster Instanz geltend gemachten Ansprüche abgewiesen und in der Berufungsinstanz weiterverfolgt worden war.

18

Im vorliegenden Fall war die Klage lediglich erweitert worden im Sinne von § 264 Nr. 2 ZPO. Danach ist es nicht als eine Änderung der Klage anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache oder in bezug auf Nebenforderungen erweitert oder beschränkt wird. Das trifft auch für den Übergang von einem Anspruch auf Freistellung von einer Geldschuld auf einen Zahlungsanspruch zu. Zwar ist der Freistellungsanspruch grundsätzlich nicht auf Zahlung gerichtet (Staudinger/Selb, BGB 12. Aufl. § 257 Rdnr. 5; MünchKomm-BGB/Keller, 2. Aufl. § 257 Rdnr. 4; Soergel/Wolf, BGB 12. Aufl. § 257 Rdnr. 6). Der Freistellungs- wie der Zahlungsanspruch sind hier aber nur unterschiedliche Ausprägungen ein und desselben Anspruchs. Auch der erste beruht auf der Verpflichtung des Schuldners zum Schadensersatz (BGH, Urt. v. 27. November 1984 - VI ZR 38/83, NJW 1985, 1152, 1154; Soergel/Wolf, aaO § 257 Rdnr. 6). Der Schädiger schuldet Ausgleich wegen der von ihm zu verantwortenden Belastung des Vermögens. Diese Schuld kann, je nachdem ob diese Belastung aus einer Verbindlichkeit oder sonstigen Vermögensnachteilen besteht, auf Schuldbefreiung oder auf Zahlung gerichtet sein. Dementsprechend hat die Rechtsprechung den Übergang von einem Zahlungs- auf ein Freistellungsbegehren als bloße Beschränkung des Klageantrags im Sinne von § 264 Nr. 2 ZPO gewertet (RGZ 139, 315, 322; RG JW 1902, 127; zustimmend MünchKomm-ZPO/Lüke, § 264 Rdnr. 18; Zöller/Greger, aaO § 264 Rdnr. 3; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO 51. Aufl. § 264 Rdnr. 21). Dann ist umgekehrt der Übergang von einem Befreiungs- auf einen Zahlungsanspruch auch nur eine bloße Erweiterung des Klageantrags im Sinne dieser Vorschrift (vgl. MünchKomm-ZPO/Lüke, aaO).

19

3. Auf der Grundlage des von dem Beklagten ausgesprochenen und nicht widerrufenen Anerkenntnisses kann der Senat insoweit in der Sache selbst entscheiden und den Beklagten verurteilen.

20

Wegen des verbleibenden Betrages von 524, 41 DM ist die Sache noch nicht entscheidungsreif. Welche der Parteien richtig abgerechnet hat (vgl. GA 694, 728), läßt sich aufgrund der getroffenen Feststellungen nicht beurteilen.