Der BGH entscheidet in puncto Verjährungseinwand. Anleger atmen auf! (BGH, Urteil vom 22. Juli 2010 – III ZR 203/09)

Wirtschaft und Gewerbe
24.09.2010436 Mal gelesen

Der BGH entscheidet in puncto Verj?ungseinwand. Anleger atmen auf! (BGH, Urteil vom 22. Juli 2010 - III ZR 203/09)

Da Anlageentscheidungen oftmals auf lange Sicht und zum stetigen Vermögensaufbau bzw. zur sicheren Vorsorge im Alter getroffen werden, geraten die ursprünglich getroffenen Entscheidungen aufgrund einer Anlageberatung schnell in Vergessenheit, denn das Produkt soll sich ja gerade erst über den Zeitraum entwickeln.
Geht die Entwicklung fehl oder stellt sich erst nach Jahren heraus, dass die aufgrund einer Beratung getätigte Investition in ein völlig falsches oder für die anvisierten Zwecke untaugliches Produkt erfolgte, so sahen sich die "fehlberatenen" Anleger, sofern sie von ihren Rechten Gebrauch machten und machen, grundsätzlich dem Einwand der Verjährung ausgesetzt, die die Durchsetzbarkeit der begehrten (Schadensersatz-) Ansprüche zumindest in Frage stellte.
Problemstellung:
Die Problematik entzündet sich an denjenigen Merkmalen, welche die Verjährung der Ansprüche eines Anlegers nach dem Gesetz auslösen können.
Im zu Entscheidung anstehenden Fall war die Verjährungsproblematik insbesondere aufgegriffen worden, weil den rechtsuchenden Anlegern der Vorwurf gemacht worden war, den ihnen vom Anlageberater übergebenen Emissionsprospekt, nach der Feststellung von Beratungsfehlern, nicht auf weitere Fehler hin ausgiebig studiert zu haben.
Die Regelverjährung nach § 195 BGB beträgt drei Jahre. Maßgeblich ist demnach, wann sie zu laufen beginnt. Der Beginn der Frist setzt das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB voraus, wonach der Gläubiger (in diesem Fall der Anleger) von den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt haben oder seine diesbezügliche Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruhen muss.
Der BGH hatte in dem vorliegenden Fall nun zu entscheiden, wann dem Gläubiger (Anleger) grob fahrlässige Unkenntnis vorzuwerfen sei. Grundsätzlich sei dies der Fall, wenn dem Gläubiger (Anleger) die Kenntnis von den Umständen des potentiellen Schadensersatzanspruches deshalb fehle, weil er ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt und nicht beachtet habe, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen.
Entscheidung
Zunächst entschied der BGH, dass im Falle von Aufklärungs- und Beratungsfehlern die Verjährungsvoraussetzungen getrennt für jede einzelne Pflichtverletzung zu prüfen seien. Sofern ein Schadensersatzanspruch auf mehrere Fehler gestützt würde, so begänne die Verjährung daher nicht einheitlich, wenn bezüglich eines Fehlers Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vorläge und dem Anleger insoweit eine Klage zumutbar sei. Dem Gläubiger (Anleger) müsse es in einem solchen Fall unbenommen bleiben, eine ihm bekannt gewordene Pflichtverletzung - selbst wenn eine darauf gestützte Klage auf Rückabwicklung des Vertrages erfolgsversprechend sei - hinzunehmen, ohne Gefahr zu laufen, dass deshalb Ansprüche aus weiteren, ihm zunächst aber noch unbekannten Pflichtverletzungen zu verjähren begännen.

Und weiter:
Eine grob fahrlässige Unkenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen liege im Allgemeinen nicht schon dann vor, wenn sich die Kenntnis der Umstände einer Aufklärungs- und Beratungspflichtverletzung notwendigen Informationen aus dem Anlageprospekt ergäben, der Anleger aber dessen Lektüre unterlassen habe.
Vertraue der Anleger auf den Rat und die Angaben "seines" Beraters oder Vermittlers und sehe er deshalb davon ab, den ihm übergebenen Anlageprospekt durchzusehen und auszuwerten, so sei darin im Allgemeinen kein in subjektiver und objektiver Weise "grobes Verschulden gegen sich selbst" zu sehen.

Leitsatz
Der BGH verkündete daher den Leitsatz seiner Entscheidung wie folgt:
"Erhält der Kapitalanleger Kenntnis von einer bestimmten Pflichtverletzung des Anlageberaters oder - vermittlers, so handelt er bezüglich weiterer Pflichtverletzungen nicht grob fahrlässig, wenn er die erkannte Pflichtverletzung nicht zum Anlass nimmt, den Anlageprospekt nachträglich durchzulesen, auch wenn er bei der Lektüre des Prospekts Kenntnis auch der weiteren Pflichtverletzungen erlangt hätte"
Fazit
Mit dieser Entscheidung hat der BGH den Anspruchsgegnern von fehlberatenen Anlagern betreffend die Verjährung insoweit einen entscheidenen Einwand genommen. Bleibt zu hoffen, dass fehlberatene Anleger sich nicht "den Zahn der Zeit" ziehen lassen.