Listensprung muss nach Nichtannahme der Wahl in den Betriebsrat gegebenenfalls revidiert werden

Listensprung muss nach Nichtannahme der Wahl in den Betriebsrat gegebenenfalls revidiert werden
15.05.2013498 Mal gelesen
Führt der Schutz des Minderheitengeschlechts zu einem Listensprung, dann muss dieser rückgängig gemacht werden, wenn sich durch die Nichtannahme der Wahl eines Kandidaten herausstellt, dass es eines Listensprungs nicht bedurft hätte, meint das Landesarbeitsgericht Niedersachsen.

Fünf Mitarbeiter eines Betriebes haben eine Betriebsratswahl angefochten, weil strittig ist, ob statt eines vom Wahlvorstand als "gewählt" bezeichneten Arbeitnehmers eine Arbeitnehmerin in den Betriebsrat gewählt worden sei.

Am 20./21.04.2010 fand die Betriebsratswahl für das Jahr 2010 statt. Hierbei war ein 9-köpfiger Betriebsrat zu wählen. Es standen 3 Listen zur Abstimmung.

Die Liste 1 (ver.di-Liste) erhielt 99 Stimmen. Auf ihr befanden sich auf den ersten 5 Listenplätzen Frauen. Auf dem 6. Listenplatz erschien der erste Mann; der Beteiligte zu 7)

Die Liste 2 erhielt 78 Stimmen. Die ersten 3 Kandidaten dieser Liste waren Frauen. Erst der 4. Kandidat war ein Mann.

Die Liste 3 erhielt 41 Stimmen. Auf dem ersten Listenplatz kandidierte ein männlicher Bewerber. Der zweite Platz dieser Liste war mit einer Frau besetzt (die Beteiligten zu 5).

Ohne Berücksichtigung des Minderheitengeschlechts (hier die Männer) wären von Liste 1) 4 Kandidaten, von der Liste 2) 3 Kandidaten und von der Liste 3) beide Kandidaten, also auch die Beteiligte zu 5), gewählt worden.

Da ob dieser Konstellation nicht die erforderliche Mindestzahl von Männern in den Betriebsrat gewählt worden wären, stellte der Wahlvorstand zur Korrektur des Ergebnisses den Listensprung fest:

Die Mindestzahl der zu wählenden Männer beträgt im vorliegenden Fall "2". Dies führte dazu, dass die Liste 1 (ver.di)  in der Person des Beteiligten zu 7) zu Lasten der  Liste 3 ein weiteres Betriebsratsmandat zuerkannt bekam. Der zweite gewählte Kandidat der Liste 3, die Frau (die Beteiligte zu 5) galt somit durch den Listensprung als "nicht gewählt".

Kurz darauf teilte die an 3. Stelle der Liste 2 kandidierende Frau B. mit, dass sie die Wahl aus persönlichen Gründen nicht annehme.

Der Wahlvorstand gab sodann das Ergebnis wie folgt bekannt: Hiernach waren von der

Liste 1) der ver.di-Liste, 5 Personen  gewählt.

Die Liste 2) bekam  3 Sitze; 

die Liste 3)  lediglich einen Betriebsratssitz.

Fünf Arbeitnehmer, unter anderem auch die Beteiligte zu 5), der durch den Listensprung ihr Betriebsratsmandat aberkannt wurde, haben daraufhin beim Arbeitsgericht beantragt, die Betriebsratswahl für ungültig zu erklären, hilfsweise festzustellen, dass anstelle des Beteiligten zu 7), die Beteiligte zu 5 in den Betriebsrat gewählt worden sei

Durch die Nichtannahme der Wahl durch die an 3. Stelle der Liste 2 kandidierenden Frau war dem Schutz des Minderheitengeschlechts (hier der Männer) genüge getan. Es hätte also eines Listensprunges nicht bedurft, wie sich nachträglich herausgestellt hat. Der Listensprung sei daher zu revidieren. Wenn das Arbeitsgericht somit nicht die Nichtigkeit der Betriebsratswahl feststellt, so müsse zumindest festgestellt werden, dass anstelle des Beteiligten zu 7, die Beteiligte zu 5) in den Betriebsrat gewählt worden sei.

Das Arbeitsgericht hat den Hauptantrag abgelehnt und dem Hilfsantrag stattgegeben und das Landesarbeitsgericht hat diese Entscheidung bestätigt.

Das von dem Wahlvorstand ermittelte Ergebnis sei fehlerhaft gewesen; denn anstelle des Beteiligten zu 7) ist die Beteiligte zu 5) in den Betriebsrat gewählt worden. Aufgrund der Nichtannahme der Wahl durch die Kandidatin Frau B. hätte es eines Listensprunges nicht mehr bedurft. Aus verfassungsrechtlichen Gründen, dem Wahlgleichheitsgrundsatz, hätte dieser Listensprung durch den Wahlvorstand rückgängig gemacht werden müssen. Da dieses vor Ort durch den Wahlvorstand unterblieben ist, werde  dieses Versäumnis durch die Arbeitsgerichtsbarkeit ausgeglichen.

Der Wahlvorstand habe zwar entsprechend dem Wortlaut der Wahlordnung gehandelt und diese buchstabengetreu beachtet. Er habe zunächst die Verteilung der Betriebsratssitze auf die Vorschlagslisten ermittelt, hierbei einen Listensprung festgestellt, sodann die schriftliche Feststellung des Wahlergebnisses getätigt, anschließend die gewählten Kandidaten benachrichtigt und die Ablehnung der Wahl umgesetzt.

Dieses Ergebnis sei jedoch verfassungswidrig. Die verfassungskonforme Auslegung der Wahlordnung gebiete es, einen bereits erfolgten Schutz des Minderheitengeschlechts mittels Listensprung rückgängig zu machen, wenn sich durch die Nichtannahme der Wahl herausstellt, dass dem Schutz des Minderheitengeschlechts bereits genüge getan ist. Der schwerwiegende Eingriff in den Grundsatz der Wahlgleichheit, der zu einem Listensprung führt, sei nur dann gerechtfertigt, wenn er tatsächlich zur Beseitigung der fehlenden Berücksichtigung eines Geschlechterproporzes führt, aber nicht, wenn er sich (nachträglich) als unnötig herausstelle.

Aus diesem Grunde war dem Hilfsantrag stattzugeben.

 

(Quelle:  Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Beschluss vom 10.03.2011;  5 TaBV 96/10

Vorinstanz: Arbeitsgericht  Göttingen, Beschluss vom 19.10.2010; 2 BV 2/10)

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